Neue Programme sollen die vertraute Corona-Warn-App ersetzen. Sie könnten das leisten, was Gesundheitsämter sich wünschen: Kontakte nachverfolgen und Infektionsketten brechen.
Ohne Kontaktverfolgung keine Öffnung und ohne Öffnung keine Kontakte. Wenn demnächst tatsächlich Restaurants, Biergärten, Geschäfte, Hotels wieder für alle zugänglich sind, ist dies das A und O bei der Pandemie-Bekämpfung. Als im vergangenen Jahr der Lockdown aufgehoben wurde, lagen überall Zettel aus. Jeder Wirt musste eine Liste führen, Bedienungen servierten Tischnummern und Vordrucke, bevor sie die Speisekarte brachten. Die Zettel waren für die Gesundheitsämter bestimmt. Sie sollten damit nachsehen können, wenn es irgendwo einen Corona-Ausbruch gegeben hat, wer noch vor Ort und damit gefährdet war. Manch einer war von den Zetteln genervt, trug Fantasienamen wie Mr. Spock oder Dagobert Duck ein, und viele kritisierten, dass jeder Namen und Adressen einsehen konnte.
Mit der neuen App Luca soll das alles anders werden. Der Gedanke ist so verblüffend einfach, dass man sich fragt, warum niemand eher darauf gekommen ist: Ein QR-Code soll die Kontaktnachverfolgung übernehmen. Wer zum Beispiel ein Restaurant betritt, soll mit seinem Smartphone im Restaurant einen vorhandenen QR-Code scannen. Die Daten werden aufgenommen und an einen zentralen Server weitergeleitet. Wenn sich herausstellt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Corona-Infizierter anwesend war, können die Gesundheitsämter die Daten vom Server abrufen und die Betroffenen benachrichtigen.
Den Schlüssel hat nur das Amt
Die persönlichen Daten und das dokumentierte Bewegungsprofil auf dem Server (der natürlich extrem geschützt werden muss) können nur von den Gesundheitsämtern abgerufen werden – nur sie verfügen über die entsprechende Software, den Schlüssel. Der Vorteil sind die Anonymität – man muss keinen Zettel vor Ort ausfüllen – und die Schnelligkeit: Sich die Daten herunterzuladen, geschieht in Sekundenbruchteilen.
Datenschützer wird es grausen, aber das ist der entscheidende Unterschied zur teuren Corona-Warn-App der Bundesregierung: Die Luca-App verlangt von jedem den vollen Namen, Adresse, E-Mail, Telefonnummer. Dafür bekommt jeder seinen persönlichen QR-Code, mit dem man sich in einem Geschäft einloggen, der aber auch dazu benutzt werden kann, ein privates Treffen zu speichern. Der Vorteil der Luca-App liegt darin, dass die Nutzer, einmal eingescannt, nicht mehr aktiv werden müssen. Verlässt er oder sie die Veranstaltung oder das Lokal wieder, wird man über eine Geofencing-Erkennung automatisch ausgecheckt. Ein „Geofence" ist ein geografisch definierter elektronischer „Zaun".
Bei der Corona-App des Bundes müssen die Nutzerinnen und Nutzer selbst aktiv werden, wenn eine automatische Ansteckungswarnung auftaucht. Sie zeigt nur an, dass es einen Kontakt mit einer infizierten Person gegeben hat, aber weder wann noch wo. Die App stellt mithilfe des Bluetooth-Funks anonym fest, ob sich zwei Menschen über mindestens fünf Minuten gefährlich nahegekommen sind. Die Nutzer konnten der Warnung nachgehen und einen Test machen lassen – sie konnten sie aber auch ignorieren und nichts tun. Diese App litt von Anfang an unter der Unvereinbarkeit zweier Ziele: Einerseits sollte sie zur Nachverfolgung der Kontakte die persönlichen Daten schützen. Andererseits sollten die Gesundheitsämter nach einem lokalen Ausbruch die Gäste von Veranstaltungen kontaktieren können.
Bei Luca ist ein bewusstes Einchecken an einem Eventort, Geschäft, Verkehrsmittel oder Restaurant notwendig. Da Luca auch die Zettelwirtschaft bei Restaurantbesuchen oder ähnlichen Gelegenheiten ablösen soll, ist ein Einchecken nur mit Kontaktdaten möglich. Dabei wird über den persönlichen QR-Code ein „Fingerabdruck" der Begegnung erstellt, und die Kontakte können später nachvollzogen werden. Infektionsketten lassen sich so einfach ermitteln. Entwickelt hat Luca das Berliner Start-up Nexenio, eine Ausgründung des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts. Verbreitung und Weiterentwicklung liegen bei der Cultur4life GmbH. Michael Schmidt, bekannt als Smudo von der Hip-Hop-Band Die Fantastischen Vier, beteiligte sich an der Entwicklung, vor allem an der Finanzierung der App. Seine Werbeauftritte wie zum Beispiel in der Talkshow bei Anne Will machten Luca bundesweit bekannt.
Verbreitet ist die App bisher nur in Rostock und auf einigen Nordseeinseln, vereinzelt auch in Thüringen und in Sachsen-Anhalt. Dort sind die Menschen aufgerufen, sich die App herunterzuladen. Mecklenburg-Vorpommern erwarb als erstes Bundesland für 440.000 Euro eine Lizenz, das heißt Gaststätten, Veranstalter und Handel sind dabei, sie zu installieren, und nach und nach wird sie sich in der Bevölkerung verbreiten.
Gesundheitsämter ohne Software
„Mecklenburg-Vorpommern ist das erste Bundesland, in dem die Luca-App flächendeckend genutzt werden kann", sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) laut dpa. Diese schnelle Möglichkeit zur Nachverfolgung von Kontakten sei eine wichtige Voraussetzung, um öffentliche Einrichtungen Schritt für Schritt wieder für den Publikumsverkehr zu öffnen. „Zugleich entlasten wir die Gesundheitsämter, die schnell und sicher Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen können."
Mit Thüringen und Baden-Württemberg soll es Gespräche geben. Ob und wie die App wirklich funktioniert, lässt sich derzeit noch gar nicht sagen, denn weder sind ausreichend Gesundheitsämter angeschlossen noch ist sie weit genug verbreitet. Zudem arbeiten nach Angaben des Netzaktivisten Sascha Lobo die meisten der bundesweit 400 Gesundheitsämter noch ohne eine entsprechende Software. Mancherorts müssen sogar Daten per Hand abgetippt werden.
Ganz abschreiben sollte man die Bundes-App aber nicht. Sie ist mit ihrer anonymen Warnfunktion bereits auf 26 Millionen Handys installiert worden. Das ist ihr großer Vorteil. Könne man darauf eine Registrierung aufschalten, die den Zeitpunkt, den Ort (Veranstaltung, Restaurant, Einkauf) erfasst, hätten auf einen Schlag 26 Millionen Bürger eine Technik zur Kontaktverfolgung in der Tasche. Dazu müssten Jens Spahn und das RKI ihrem Eid abschwören, einen unbedingten Datenschutz zu gewährleisten. Ob und wann das passiert, ist völlig offen.
Das ist der Grund, weshalb sich die Länder nach Apps wie Luca umsehen. Sie wollen ihren Einzelhändlern und Gastronomen Sicherheit geben, damit sie öffnen können, und nehmen dafür auch in Kauf, dass der Datenschutz nicht perfekt garantiert ist. Auf den Bund vertraut keiner mehr. Und Luca ist nicht die einzige Kontakterfassung-App. In Nordrhein-Westfalen haben junge Leute „Darfichrein" entwickelt, eine App, die von der Universität Paderborn benutzt wird. Außerdem werden im Internet noch Railslove, Kontakterfassung.de oder Hygiene-Ranger erwähnt.
Schon haben NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Kanzleramtschef Helge Braun öffentlich ihre Sympathie für Luca geäußert. Mit den Ländern sei vereinbart worden, dass die sich auf ein möglichst „einheitliches System" einigen sollten, sagte Braun. Mit der besseren Verfügbarkeit von Impfstoffen komme es auf die nächsten drei bis vier Monate an. „Uns wäre es sehr recht, wenn die Länder eine möglichst einheitliche Lösung haben, die wir schnell an die Gesundheitsämter anbinden können – also kein Schnittstellen-Wirrwarr, sondern möglichst eine klare Lösung."
Die Macher von Luca haben versprochen, dass sie die Schwächen der App – die Zentralisierung – beheben und bis Ende März ihren Quellcode veröffentlichen werden. Das bedeutet: Die Programmierung liegt dann offen für Anwender vor und kann dank Open Source auch verändert oder angepasst werden. Die Voraussetzungen für Luca sind also günstig. Aber wenn sich die Ministerpräsidenten nicht bald auf eine Kontaktverfolgungs-Software einigen können, hängen nachher 17 verschiedene QR-Codes in einer Bar, 16 für die Bundesländer und eine für die Bundes-App.