Hotels, Gaststätten und der Einzelhandel haben sich vom 20. Corona-Gipfel endlich eine Öffnungs-Perspektive erwartet. Stattdessen wird über die Feiertage total zugemacht – und danach auch nicht wirklich geöffnet.
Gereizt war die Stimmung schon vor den neuerlichen nächtlichen Lockdown-Verhandlungen. Handfest und gleichsam symbolisch für alle Fragen stand die Mallorca-Diskussion.
„Wir müssen aufpassen, dass wir hier gleich nicht eine Neiddebatte lostreten: die Balearen gegen Deutschland. Sondern wir freuen uns für die Hotel- und Gastro-Mitarbeiter auf Mallorca und verstehen nicht, dass wir in Deutschland nicht öffnen dürfen." Der Vorsitzende des Hotelverbandes Deutschland, Otto Lindner, wollte noch mal klarstellen, dass es nicht innerhalb der Branche gegeneinander geht, sondern die gesamte Branche, und nicht nur die, von der Bundesregierung endlich eine nachvollziehbare Öffnungsstrategie erwartet, die Planungssicherheit gibt.
In der Nacht zum Dienstag hatte sich selbst der Sender Phoenix entnervt irgendwann aus der Live-Berichterstattung ausgeblendet, als endlich die Ergebnisse kundgetan wurden: Ein in dieser Form nicht erwarteter Sonderlockdown um Ostern.
„Da ist doch überhaupt keine Perspektive drin für uns", wettert Guido Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes sichtlich entsetzt über die Ergebnisse. „Nach Mallorca geht, auf den Campingplatz in Deutschland nicht. Das versteht doch niemand mehr." Auch Stephan von Bülow, Dehoga-Beauftragter für die Systemgastronomie, ist platt vom Corona-Osterhammer. Nicht mal die Außengastronomie darf bis zum 18. April aufmachen.
Verwirrung um Extra-Ruhetage
Die drei Topmanager aus Übernachtungsgewerbe, Tourismus und Systemgastronomie hatten große Hoffnungen in die inzwischen 20. Ministerpräsidenten-Kanzlerin-Verhandlungen gesetzt. Sie wurden herb enttäuscht. Und nicht nur sie. Anfang April, von Grün-Donnerstag bis Ostermontag, wird das Land praktisch abgeschlossen. Wie üblich war in den Tagen vor dem Treffen vieles an Vorschlägen und Ideen im üblichen Interviewmarathon in die Welt gesetzt worden. Ein spezieller Oster-Lockdown war nicht dabei. Damit war die Verwirrung quer durch die Republik ziemlich perfekt.
Wenn alles fünf Tage am Stück weitgehend stillgelegt werden soll, nur Lebensmittelgeschäfte am Ostersamstag öffnen dürfen: Wie soll das gutgehen können mit Abstand und ähnlichem? Nur eine von vielen Fragen, die quer durchs Land seit Dienstagmorgen für ebenso heftige Diskussionen wie verständnisloses Kopfschütteln sorgen.
Was umso heftiger ausfällt, nachdem die vorausgegangene Mallorca-Diskussion offenkundig gemacht hat, dass ein einigermaßen nachvollziehbares Vorgehen immer weniger erkennbar ist. Was selbst Teilnehmern dieser Runde durchaus klar ist. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil war stocksauer: „Die Menschen dürfen nach Mallorca fliegen, aber bei uns in der Lüneburger Heide nicht übernachten! Das kann ich doch keinem mehr erklären", so der SPD-Politiker. Der Chef des Hotelverbandes Otto Lindner räumt gegenüber FORUM ein: „Die Mallorca-Entscheidung hat nicht nur die Hotel- und Gaststätten-Branche in Deutschland völlig irritiert, sondern vor allem die Menschen total verunsichert". Dem Non-Food-Einzelhandel geht es nicht besser. Seit Anfang März hatte sich ein bisschen Hoffnung breitgemacht, nachdem mit Anmeldung und Zeitfenstern zum Einkauf vor Ort die Geschäfte wieder aufmachen durften. Dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE, Stefan Genth, stehen die letzten verbliebenen Haare zu Berge. „Click and Collect mit den entsprechenden Zeitfenstern in den Geschäften hat absolut funktioniert. Es war die große Hoffnung des stationären Einzelhandels, jetzt zumindest das Ostergeschäft, wenn auch in abgeschwächter Form, mitzunehmen, doch auch diese Hoffnung wird uns wieder zunichtegemacht." Der studierte Verwaltungswirt weiß langsam nicht mehr, wie er seinen mehr als 100.000 Mitgliedsunternehmen noch Hoffnung machen soll, nach dem Lockdown-Osterhammer und der Verlängerung bis zum 18. April.
Die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz legen sich wie ein lähmender Grauschleier auf den Einzelhandel. „Nach einem Jahr Corona-Maßnahmen haben die Handelsunternehmen keine finanziellen Puffer mehr, die Luft für uns wird nicht nur dünn, sie ist schlicht nicht mehr da", ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Handelsverbandes wenig zuversichtlich und denkt bereits jetzt mit Grauen an die Zeit nach Ostern, in der er mit einem Öffnungschaos rechnet, wenn Bundesländer wieder unabgestimmt ihre eigenen Wege gehen. Doch das ist noch einige Zeit hin, jetzt ist erstmal Schluss mit Shoppen. Wobei die Entscheidung der Ministerpräsidenten und Kanzlerin auch arbeitsrechtliche Fragen aufwirft. Schließlich wird damit praktisch der Gründonnerstag zum Feiertag und der Ostersamstag zum Ruhetag erklärt. Die zusätzlichen Ruhetage stehen so nicht in den jeweiligen Landesverfassungen, immerhin handelt es sich jetzt um „gesetzliche Ruhetage". Oder ist das tatsächlich durch die vom Bundestag festgestellte „pandemische Notlage" gedeckt? Verwaltungs- und Verfassungsrichter laufen sich unterdessen schon warm, denn die Handelsunternehmen werden sich solche politischen Eigenmächtigkeiten wohl nicht so ohne weiteres gefallen lassen.
Andere Kennziffern gefordert
Die inzwischen neunte Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns über Ostern ruft auch erneut Landräte, Stadtkämmerer und Bürgermeister auf den Plan. Denn mit geschlossenen Geschäften, Hotels und Gaststätten fällt die Gewerbesteuer noch bis mindestens Mitte April aus, und die ist nun mal die harte Währung der Kommunen, um ihre Aufgaben zu finanzieren.
Vor allem nimmt die Kritik an der Berechnung des Inzidenzwertes zu. Vertreter von Städte- und Gemeindebund und des Deutschen Städtetags halten den Wert für zu einseitig berechnet, weil er nicht in Relation zu der Zahl der Getesteten steht. „Wir sollten in Deutschland einen neuen Corona-Indikator einführen, der auch die Impfquote, die Belastung der Intensivstationen und die Fallsterblichkeit berücksichtigt", so Städtetagspräsident Burkhard Jung. Der Leipziger Oberbürgermeister mahnt damit etwas an, was schon lange für Diskussionsstoff sorgt. Der Vorschlag: Die positiven Testergebnisse müssen in Relation zu den durchgeführten Tests gestellt werden und erst dann auf 100.000 Einwohner hochgerechnet werden, damit würde man dann einen prozentualen Wert und eben nicht einen Inzidenzwert haben. Also keine absolute Zahl, die nur in Relation zu sich selbst steht, sondern die ins Verhältnis der Getesteten auf die Einwohner stellt. Das, so die Erwartung, würde eine realistischeres Bild der Entwicklung geben und differenzierte Maßnahmen rechtfertigen.
Doch in der Politik reagiert man zurückhaltend, auch weil es an technischen Möglichkeiten fehlt. Das liegt unter anderem auch daran, dass es bundesweit keine einheitliche Software zur Erfassung der Getesteten in Gesundheitsämtern gibt. Die Zahlen der positiv Getesteten werden „per E-Mail, Fax oder aber auch fernmündlich" übermittelt, wie das Robert Koch-Institut auf FORUM-Nachfrage bestätigte. Das heißt im Klartext: Im Zweifelsfall, wenn das Fax wieder kaputt ist, ruft das Gesundheitsamt vormittags beim RKI an und macht die Testergebnis-Ansage. Darüber amüsiert sich die Welt. Und das führt hierzulande zu Beschlüssen, die immer schwieriger vermittelbar werden.