Im dritten Anlauf ist Dimitrios Grammozis doch noch Cheftrainer auf Schalke geworden. Den Klassenverbleib erwartet von dem fünften Trainer in dieser Saison niemand mehr ernsthaft. Wirklich liefern muss er erst ab Ende Juli.
Dimitrios Grammozis erhält die vielleicht längste Vorbereitung, die je ein Trainer im deutschen Profi-Fußball hatte. Am 2. März übernahm der Trainer den FC Schalke 04. Am Wochenende um den 24. Juli absolviert er mit den Königsblauen sein erstes Saisonspiel in der 2. Bundesliga. Okay, bis dahin wird Grammozis auch elf Erstliga-Spiele mit Schalke gemacht haben. Das sind genauso viele wie seine Vorgänger Manuel Baum und Christian Gross auf Schalke überhaupt im Amt waren. Doch im Gegensatz zu Baum und Gross, die Grammozis interessanterweise jeweils vorgezogen wurden – dazu später mehr –, ist der Klassenverbleib nicht mehr die Vorgabe an den 42-Jährigen. Insofern kann er seine ersten Bundesliga-Spiele getrost als Vorbereitung auf die kommende Zweitliga-Saison sehen. In der wird der Druck dann aber umso größer sein, denn alles andere als ein direkter Wiederaufstieg steht für den Verein nicht zur Diskussion. Auch wenn längst noch nicht absehbar ist, mit welchem Kader die finanziell arg gebeutelten Schalker in die Zweite Liga werden gehen können.
Körperliche Verfassung gegen Mainz erschreckend
So manch einer zweifelt schon daran, ob Grammozis mehr als diese elf Spiele bekommen wird und ob er nach dem bevorstehenden Abstieg, möglicherweise mit der schlechtesten Ausbeute in der Bundesliga-Geschichte nach Tasmania Berlin, nicht doch schon wieder verbrannt ist. Doch auf Schalke hat zumindest die Realität Einzug gehalten. Und deshalb hegt Grammozis diese Sorge nach eigener Aussage nicht. „Darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken, ob ich verbrannt werde oder nicht", sagte er der „Bild"–Zeitung: „Ich genieße es bei allem Druck erst einmal, in diesem großartigen Verein zu trainieren. Wir konzentrieren uns auf das Tagesgeschäft und die Planung, die natürlich parallel läuft, für die nächste Saison."
Zu hohe Erwartungen haben sie bis Sommer jedenfalls nicht an den neuen, inklusive Interimscoach Huub Stevens und dem schon nach zwei Spielen entlassenen David Wagner schon fünften Schalke-Trainer in dieser Saison. „Hauptschwerpunkt ist natürlich, wenn man sich die Situation anguckt, die Planung für die Zweite Liga", sagte der mindestens als Übergangs-Sportchef fungierende Peter Knäbel als Gast im Sport1-„Doppelpass". Der Abstieg sei „wohl unvermeidlich", man dürfe die restlichen Partien aber „nicht abschenken. Wir müssen die Spiele so angehen, als wenn es in jedem Spiel für uns um alles geht." Dabei geht es um den Stolz, um etwas Aufbruchsstimmung, und – das gestand Knäbel unumwunden ein – auch um Marktwerte. Gerade die Spieler, die einerseits auf eine persönliche Perspektive in der Bundesliga hoffen und andererseits auch nötige Ablöse generieren könnten, müssen sich also beweisen. Dazu dürfen es auch schon die zahlreichen Talente, die Schalke zumindest in der Hinterhand weiß. Damit man, möglichst von Grammozis geformt, eine schlagkräftige Truppe in die Mission Aufstieg schicken kann. Wie hoch der Druck dann auf Grammozis sein wird, deutete Knäbel bereits an: „Es ist auch sehr wichtig, sich von Anfang an oben zu positionieren." Wie ernüchternd die Perspektive in den abschließenden Bundesliga-Wochen ist, wurde Grammozis derweil schon nach wenigen Tagen klar. Drei Tage nach seinem Amtsantritt stand das Spiel gegen Mainz an, das als letzter Strohhalm galt. Waren die Mainzer doch Vorletzter vor den Schalkern. Es folgte ein 0:0, das irgendwie in die Bundesliga-Geschichte eingeht. Weil es erst das sechste Spiel war, dem das Fachmagazin „Kicker" die Qualitätsnote 6 gab. Und die Schalker waren nicht nur auch noch das deutlich schlechtere der beiden Teams mit unglaublichen 2:19 Torschüssen. Sie hatten dabei dermaßen gekämpft, dass man tatsächlich das Gefühl hatte, dass sie alles rausgeholt hatten.
Grammozis wurde erst im dritten Anlauf Schalke-Trainer
Und die körperliche Verfassung war geradezu erschreckend. Etwa ab der 60. Minute schien fast jeder Schalker Spieler im roten Bereich zu laufen, dauernd hielt sich einer irgendein Körperteil, stemmte die Hände in die Hüften oder lag mit einem Krampf auf dem Boden. „Es sieht nicht schön aus, wenn zwei, drei Spieler auf dem Boden liegen und sich dehnen müssen, um das Spiel durchzustehen", sagte Grammozis in einem „Sport1"-Interview. Bei der Funke-Mediengruppe ergänzte er: „Natürlich hat man gemerkt, dass bei dem ein oder anderen der Akku leer war. Ein schönes Bild war das nicht, das kann ich sagen." Doch dann bemühte er sich gleich wieder um eine positive Betrachtungsweise: „Wir wollen das Spiel nicht schön reden, fußballerisch haben wir viel Luft nach oben. Aber ich habe eine Mannschaft gesehen, die Leidenschaft und Charakter auf dem Platz gezeigt hat. Und das ist für mich eine ganz wichtige Basis." Dass Schalke für Grammozis zudem ein ganz besonderer Verein ist, kann man ihm durchaus glauben. Er ist in Wuppertal, rund 50 Kilometer entfernt, geboren. Und als Kind sei er „tatsächlich sehr oft im Parkstadion" gewesen, „weil mein Cousin ein total fanatischer Schalker ist. Das Erste, was er gemacht hat, war mir ein Schalke-Trikot zu kaufen. So ging es bei mir früh in diese Richtung, wir haben uns gemeinsam die Spiele angeguckt, und man konnte schon von einer großen Sympathie reden." Im Pott möge er die „Geradeaus-Mentalität" und das Malochertum, versichert der als Profi in Hamburg, Kaiserslautern oder Köln durchaus auch als Raubein bekannte Grammozis. In jedem Fall scheint er auf den ersten Blick gut zu Schalke zu passen.
Deshalb hat er offenbar auch jegliche Eitelkeit abgelegt, als er sich Ende Februar ein drittes Mal in dieser Saison vorstellen durfte. Die Frage, warum ihm zunächst Baum und dann Gross vorgezogen wurde, obwohl Grammozis doch so gut zu passen scheint, fragen sich nicht erst seit dem Scheitern seiner Vorgänger viele Fans. Ob er nicht irgendwann gedacht habe, dass Schalke ihm den Buckel runterrutschen könne, wurde der 42-Jährige auch gleich bei seiner Vorstellungs-Pressekonferenz gefragt. „Wichtig ist, dass man dranbleibt, wenn man von der Braut überzeugt ist. Da kann es dann auch vielleicht drei- oder viermal dauern", antwortete Grammozis mit einem Lachen. Die zunächst nicht erwiderte Liebe habe bei ihm „keine Irritationen hervorgerufen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, wenn es nicht geklappt hat, dass es mich noch mehr anstachelt, irgendwann mal dieses Gefühl zu erreichen". Entscheidend war wohl auch, dass sein Verhandlungspartner bei der dritten Anbahnung nicht mehr Jochen Schneider hieß, sondern eben Peter Knäbel. Der bezeichnete Grammozis als den „richtigen Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort". Diese Überzeugung überzeugte schließlich Grammozis. „Man kann also sagen, dass er die Braut zum Mann gebracht hat", sagte er mit Blick auf Knäbel.
Überzeugende Arbeit beim Zweitligisten SV Darmstadt 98
Kurios ist auch sein ganzer Werdegang als Trainer. Beim VfL Bochum, auch im Ruhrpott, hatte er 2013 in der Zweiten Mannschaft seine Karriere als Profi beendet und lernte dort in sechs Jahren den Trainerberuf von der Pike auf. Co-Trainer bei der U19 und der Zweiten Mannschaft, Chefcoach bei der U15, der Zweiten und der U17 und schließlich Co-Trainer beim Zweitliga-Team. Den Sprung zum Profi-Cheftrainer traute man ihm bei den Bochumern, die mit seinem langjährigen Chef Thomas Reis gerade in die Bundesliga streben, offenbar (noch) nicht zu. Also ging Grammozis andere Wege und überzeugte beim Zweitligisten Darmstadt. Den verließ er im vergangenen Sommer freiwillig, wohl in dem Glauben, einen guten Markt für sich vorzufinden. Immer wieder galt Grammozis auch als Kandidat. In Hamburg und in Nürnberg war er einer der aussichtsreichsten Kandidaten, in Köln fiel sein Name immer wieder als Schattenmann und dann eben auch schon zweimal auf Schalke. Dort ist er nun, im dritten Anlauf, eben gelandet. Ob das Ganze eine wirklich glückliche Ehe wird, wird man erst ab Ende Juli absehen können. Dann aber sehr bald. Und es wird natürlich davon abhängen, wer dann der starke Mann in Hintergrund sein wird. Knäbel oder doch Ralf Rangnick? Oder ein ganz anderer? Auf Schalke kann man derzeit für nichts garantieren.