Im Naturpark Schöneberger Südgelände sind ein alter Rangierbahnhof und die Natur eine wunderbare Verbindung eingegangen. Sogar seltene Tierarten haben sich in der Technik-Brache angesiedelt.
Wer sich unter den in die Jahre gekommenen Begriffen Eisenbahn und Dampflokomotive nichts mehr Richtiges vorstellen kann, der mache einen Ausflug in den „Naturpark Schöneberger Südgelände".
Nicht allzu weit vom Eingang steht die 503707-2, ein kraftstrotzender Koloss, schwarz lackiert der Kessel und das Führerhaus, rot glänzend die mächtigen Kolben und wuchtigen Räder. 23 Meter lang und 4,5 Meter hoch. Das war ein anderes Reisen damals, ein sinnliches Erlebnis, wenn der Fahrtwind durch das heruntergeschobene Fenster die Kabinenvorhänge flattern ließ und feine Ascheflocken ins Auge flogen. Es roch nach Kohle und Schmieröl, und Lokführer und Heizer waren rußgeschwärzt, wenn sie aus dem Führerhaus auf die Signalanlage starrten. Aber die Dampflokomotive 503707-2, als standardisierte Zugmaschine der Deutschen Reichsbahn Anfang der 1930er-Jahre konzipiert, sie fährt nicht mehr. Ein erstarrtes Relikt aus der Welt von gestern.
Es reicht der stillgelegten Lok, eine der viel bestaunten Attraktionen des Schöneberger Südgeländes zu sein, einem 18 Hektar großen Areal, auf dem vor knapp 150 Jahren einer der größten Rangierbahnhöfe und Ausbesserungswerke der aufstrebenden Hauptstadt entstand. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung, der zunehmende Waren- und Personenverkehr im deutschen Kaiserreich verlangte neue, schnelle Verbindungen und dies bedeutete vor allem den Ausbau des Schienenverkehrs. Immer mehr Züge zusammenzustellen, Lokomotiven zu warten und zu reparieren, damit waren dann Anfang der 1930er-Jahre auf diesem Gelände 360 Reichsbahner beschäftigt, Maschinisten, Lagerarbeiter, Handwerker, Büroangestellte. Und das alles ging nicht ohne Werkstätten und Rangieranlagen, ohne Wasserkräne, Schienenstränge, weiträumige Lokomotivhallen und Lichtmasten. All dies ist heute noch zu sehen, verstreut über das ganze Gelände.
Von Weitem schon ragt der 55 Meter hohe Wasserturm in den Himmel, das eigentliche Wahrzeichen des Parks, eine 1927 gebaute kühne Stahlkonstruktion auf fünfeckiger Grundfläche mit halbförmigem Kuppeldach. Einen Steinwurf nur entfernt die Alte Lokhalle mit 4.000 Quadratmetern Grundfläche, lichtdurchflutet, massive Wände aus Ziegelsteinen, Metallstreben bis unters Dach. Und weiter hinten im Park, der sich über 1,7 Kilometer in die Länge streckt, ist auch noch die große Drehscheibe zu sehen, über die die einzelnen Lokomotiven auf verschiedene Schienenstränge gebracht wurden. Welch emsige Betriebsamkeit, welch getaktete Arbeitsabläufe!
Doch schon wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das weiträumige Gelände in einen Dornröschenschlaf. Die Betriebsrechte wurden an die Reichsbahn im sowjetisch besetzten Sektor übertragen, aber der Rangierbetrieb kam 1952 zum Erliegen, weil die Gütertransporte durch Westberlin nahezu eingestellt wurden. Der Eiserne Vorhang bedeutete auch Stillstand und Stagnation. Und da es mit dem Aufbau des Sozialismus nicht so richtig vorangehen wollte, pusselten die Werktätigen nur noch ein bisschen vor sich hin. Der Glanz der früheren Jahre war dahin.
Gute Orientierung durch Infotafeln
Doch in der Brache keimt das neue Leben, die Natur schert sich nicht um politische Systeme. Obgleich das Gelände durch Schotter und Sand aufgeschüttet worden war, bot auch der nährstoffarme Kies ausreichend Grundlagen für angepasste Tierarten und Pflanzen. Moose, Sträucher und Bäume kehrten zurück – ergänzt und bereichert durch merkwürdige Einwanderer. Die französische Höllenspinne oder verschiedene Habichtkrautarten waren mit dem vormals transportierten Getreide oder Tierfutter aufs Gelände gekommen, sie fielen von der Rampe, wuchsen und vermehrten sich. Auf offenen Flächen und zwischen wuchernden Waldbeständen haben sich im Schöneberger Südgelände wieder zahlreiche bedrohte Tierarten angesiedelt wie Zauneidechsen, Heidegrashüpfer und verschiedene Wildbienenarten. Zu Recht also nennt sich das Gelände Naturpark.
Für die Rückkehr gibt es kaum ein treffenderes Bild. Überall stehen Bäume zwischen den alten Schwellen, die Schienenstränge werden immer weiter vom Moos bedeckt, überwuchert von Büschen und Gestrüpp. Die Natur ist im Vormarsch, sie erobert sich ihr Terrain zurück. Und der Mensch tut gut daran, sie gewähren zu lassen. Seit 1999 ist das Gelände als Natur- und Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen, und die zahlreichen Besucher wissen dieses Refugium inmitten der Stadt zu schätzen. Auf Eisenrohren wurde ein Metallsteg gelagert, der einer ehemaligen Bahnstrecke folgt. Über ihn und andere ausgewiesene Wege lässt sich das Gebiet bequem und behindertengerecht durchqueren und erkunden. Zahlreiche und ausführliche Text- und Schautafeln bieten eine gute Orientierung und lassen erkennen, dass die Natur vielfältiger und einfallsreicher wirkt als der flüchtige Blick auf den ehemaligen Rangierbahnhof vermuten lässt.
Wer mag, kann vom Schöneberger Südgelände zu einem anderen Park gelangen, dem weiter nördlich gelegenen Gleisdreieck. Diese Verbindung ist kein Zufall, sondern wurde 2015 als ausgewiesener Fuß- und Radweg geschaffen. Ein kluger Plan, eine gute Absicht, denn so entsteht eine Grüntangente im städtischen Zentrum, eine Vernetzung von ehemaligen Brachflächen, die auch von der Tierwelt angenommen und genutzt wird.
Kehrt man zum eigentlichen Ausgangspunkt des Naturparks, dem mächtigen Lokschuppen, zurück, so kann man von Menschenhand neu Geschaffenes betrachten. Abstrakte Skulpturen und Installationen aus Stahl, das Werk der Künstlergruppe Odius, die sich 1982 an der Hochschule für Bildende Künste formierte, sollen an die ehemalige industrielle Nutzung des Geländes erinnern. Hier ist Fantasie gefragt.
Die ausrangierte Dampflokomotive 503707-2 nimmt das gelassen. Um sie herum ragen die Birken in den Himmel und das Moos überwuchert immer weiter all die Schienenstränge. Vielleicht träumt die alte Lok ein wenig von vergangenen Zeiten. Aber sie sieht so aus, als wäre sie mit sich und der Rückkehr der Natur im Reinen.