In Zeiten der beliebten Superfoods erlebt derzeit auch das Fermentieren eine große Renaissance – die uralte, auf Gärungsprozessen beruhende Methode zum Haltbarmachen verderblicher Lebensmittel.
Den Vorsatz, sich möglichst gesund zu ernähren, findet man inzwischen nicht mehr nur in Kreisen früher Biokost-Verfechter – er ist längst ins Bewusstsein eines immer größeren Teils der Gesellschaft vorgedrungen. Geradezu rastlos gerät die Suche nach ständig neuen, die Gesundheit und das persönliche Wohlbefinden steigernden Lebensmitteln. Beispielsweise bei den aktuell besonders angesagten sogenannten Superfoods. Die Liebe zu Aroma und Geschmack soll dabei möglichst nicht auf der Strecke bleiben. Nachhaltigkeit und Rücksichtnahme auf die Umwelt bei der Produktion von Lebensmitteln und ein wertschätzender Umgang mit ihnen spielen eine immer wichtigere Rolle bei der Kaufentscheidung der Konsumenten. Dass es sich lohnen kann, auch mal in der Vergangenheit nach Altbewährtem zu fahnden und dabei eine natürliche Konservierungsmethode mit uralter Tradition wieder zum Leben zu erwecken, beweist der aktuelle Hype um das Fermentieren.
Die Renaissance des Fermentierens war ganz wesentlich einem legendären Restaurant zu verdanken. Denn schon in den Anfangsjahren des zum Gourmet-Tempel gekürten dänischen Lokals „Noma" war dessen Chef René Redzepi auf der Suche nach neuen Zutaten gewesen, „um unsere Vorratskammer mit Sachen zu füllen, mit denen sich unsere Speisekarte auch in der kalten Jahreszeit interessant gestalten ließ". Heute gibt es im „Noma" à la carte so gut wie kein Gericht mehr ohne wenigstens eine milchsauer vergorene Beilage. Fermentierter Bienenpollen hört sich dabei besonders spektakulär an.
Ein Drittel der Nahrung ist fermentiert
Aber auch in der Alltagsnahrung nehmen wir größtenteils ganz unbewusst Fermentiertes zu uns, beispielsweise Käse, Joghurt, Gurken, Sauerkraut, Kimchi, Sauerteig-Brot, Salami, Bier oder schwarzen Tee. Experten gehen davon aus, dass heute bis zu einem Drittel der Lebensmittel, die weltweit gegessen werden, fermentiert sind.
Der Begriff Fermentieren wurde abgeleitet aus dem lateinischen Wort „fermentum" und lässt sich als „Gärung" übersetzen. Früher, in Zeiten ohne Kühlschränke, wurde die Technik genutzt, um die Ernte des Sommers für die kargen Wintermonate haltbar zu machen. Letztlich handelt es sich um eine Gärung unter Ausschluss von Sauerstoff, wobei Kohlehydrate wie Zucker oder Stärke organischer Stoffe mithilfe von Mikroorganismen wie Bakterien, Enzymen oder Pilzen in Säure, Gas oder Alkohol umgewandelt werden. Da die Lebensmittel für diese Form der Haltbarmachung nicht erhitzt werden müssen, handelt es sich um ein besonders schonendes Verfahren, bei dem nicht nur die wertvollen Inhaltsstoffe wie Vitamine und Nährstoffe erhalten bleiben, sondern sich im Laufe des Gärungsprozesses, gewissermaßen als Ausscheidungsprodukte der Mikroorganismus, zusätzliche Aromen, Nährstoffe und Vitamine bilden können.
Die für das Fermentieren notwendigen Mikroorganismen kommen von Natur aus auf der Oberfläche nahezu sämtlicher Lebensmittel vor. Für manche hauseigenen Konservierungsprozesse, beispielsweise für die Herstellung von Joghurt, Kefir, Miso, Sojasauce oder Kombucha, müssen aber zusätzliche Bakterienkulturen benutzt werden. Sogenannte Starterkulturen, die in Reformhäusern, Bioläden oder auch im Internet angeboten werden. Die Fermentation wirkt wie ein natürlicher Geschmacksverstärker. Dabei ist die Lagerzeit ein entscheidender Faktor: Bei fermentiertem Gemüse beispielsweise gilt: Je länger es gelagert wird, desto saurer schmeckt es. Eine Lagerung bei kühlen Temperaturen stoppt die Fermentation weitestgehend, sodass sich der Geschmack kaum mehr verändert. Im Wesentlichen gibt es zwei Arten von Lebensmittel-Fermentation: mit Milchsäure- oder mit Hefebakterien. Die Milchsäurebakterien wandeln Zucker und Stärke von Gemüse oder Milchprodukten in Milchsäure um, die Hefebakterien zersetzen den Zucker aus Früchten oder Getreide in Alkohol.
Wichtig für die perfekte Arbeit der Mikroorganismen ist auch die richtige Wohlfühltemperatur, was vor allem für die Milchsäuregärung zur Herstellung von Milchprodukten, sauer fermentiertem Gemüse oder Sauerteig gilt. Denn die Milchsäurebakterien werden erst ab 20 Grad so richtig aktiv. Ein kalter Keller ist daher ebenso ein falscher Produktionsort wie Räumlichkeiten, in denen die Temperatur jenseits der 30 Grad liegt, weil von solcher Wärme weniger die nützlichen Mikroorganismen profitieren, dafür umso mehr für das Konservieren schädliche Bakterien. Bei der Fermentation läuft gewissermaßen eine Vorverdauung der Speisen durch die Mikroorganismen ab, weil diese die Zellstrukturen der Nahrungsmittel schon vorab aufbrechen und diese dadurch für unseren Körper leichter verwertbar machen. Dank des Abbaus der Kohlehydrate und des Zuckers werden die Speisen zudem kalorienärmer. Da das Fermentieren den Einsatz von bedenklichen Konservierungsstoffen überflüssig macht, kann es auch dem angesagten Trend zum Clean Eating zugerechnet werden. Umgangssprachlich werden Einlegen und Fermentieren häufig gleichbedeutend verwendet. Dabei handelt es sich um zwei grundsätzlich verschiedene Prozesse. Beim Einlegen wird Obst oder Gemüse durch einen Aufguss gegen schädliche Keime haltbar gemacht. Beim Fermentieren werden Nahrungsmittel durch lebende Mikroorganismen so kontrolliert zersetzt, dass sich schädliche Bakterien und Pilze im sauren Milieu samt einem deutlich gesunkenen pH-Wert erst gar nicht ansiedeln können.
Gesundheitliche Vorteile wurden bestätigt
Was dem Hype um Fermentiertes neben den interessanten Aroma-Aspekten aber jüngst den Hauptschub verpasst hat, sind die nachgesagten positiven Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Allerdings gibt es dafür bislang noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege. Ob die in fermentierter Kost enthaltenen probiotischen Bakterien tatsächlich die Darmflora verbessern, als Appetitzügler geeignet sind, den Stoffwechsel beschleunigen oder das Immunsystem stärken können, wird erst noch genauer erforscht werden müssen. Eine 2017 veröffentlichte Studie postulierte für fermentierte Kost sogar eine Reduzierung des Risikos für Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht oder Thrombose. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat bislang erst zwei fermentierten Nahrungsmitteln offiziell durch den Verzehr bewirkte Gesundheitsvorteile bestätigt, nämlich Rotschimmelreis (zur Cholesterinspiegel-Stabilisierung im Blut) und lebenden Joghurtkulturen (zur Erleichterung der Laktose-Verdauung bei Menschen mit Laktose-Intoleranz). Auf jeden Fall sind fermentierte Lebensmittel reich an Vitaminen und können daher als Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung angesehen werden.
Im Web kursieren derzeit unzählige Anleitungen und Rezepte zum hauseigenen Fermentieren. Den Klassiker Sauerkraut, den Großmütter noch gleichsam im Schlaf beherrscht haben, steht an vorderster Stelle. Das Prozedere bei der Sauerkraut-Herstellung lässt sich auf die einfache Konservierung fast aller anderen Gemüsesorten übertragen. Man braucht eigentlich neben dem Gemüse nur einen Fermentiertopf oder eine große Schüssel, einen Teller und etwas Salz. Nach dem Zerkleinern des Gemüses wird dieses in das Gefäß gegeben und durch Beigabe von Salz die Bildung einer Lakelösung in Gang gesetzt. Wichtig ist, dass sämtliche Gemüsebestandteile von der Lake bedeckt sind, gegebenenfalls kann etwas Wasser zugeschüttet werden. Um den restlichen Sauerstoff aus der Gemüse-Lake-Mischung herauszupressen, wird nun ein Teller direkt darauf gelegt, der die Luftzufuhr unterbindet, aber das Entströmen von Gärungsgasen erlaubt. Frühestens nach rund sieben Tagen sollte der Gärtopf, bei dem es sich auch um ein Bügel- oder Schraubglas handeln kann, luftdicht verschlossen werden, um das Einsetzen von Fäulnisprozessen auszuschließen. Danach gilt es einfach nur, geduldig zu warten. Als grober Richtwert kann von drei Wochen ausgegangen werden.