Mit Juri Gagarins Jungfernflug am 12. April 1961 hatten die USA das Rennen ins Weltall endgültig gegen die Sowjetunion verloren. Sie nahmen diese Niederlage jedoch zum Anlass, einen neuen Wettkampf hin zum Mond zu starten.
Es war bereits die dritte krachende Niederlage in Folge, die die technologisch von den Amerikanern weit unterschätzte Sowjetunion der konkurrierenden Weltmacht USA am 12. April 1961 im Kampf um das Weltall zugefügt hatte. Ihnen war es mit dem Kosmonauten Juri Gagarin gelungen, den ersten Menschen ins All zu bringen. Zuvor hatten die Sowjetrussen das amerikanische Establishment im Oktober 1957 mit dem ersten künstlichen Satelliten Sputnik geschockt.
Und nur wenige Tage später gelang es ihnen Anfang November 1957, mit der Hündin Laika das erste Lebewesen gezielt in eine Umlaufbahn um die Erde zu befördern. Doch die erfolgreiche Mission um Gagarin im Frühling 1961 machte die Sowjetunion zum unbestrittenen Sieger beim Wettlauf ins All. An Bord seiner Wostok getauften Kapsel gelang es ihm als erstem Menschen nicht nur den Weltraum zu erreichen, sondern auch im Orbit den gesamten Planeten zu umkreisen und anschließend wohlbehalten wieder auf die Erde zurückzukehren.
Damit hatten die Sowjetunion und Gagarin das Zeitalter der bemannten Raumfahrt eingeleitet. Den Amerikanern war im Laufe von dreieinhalb Jahren immer nur die schmachvolle Rolle des Nachzüglers geblieben. In Zeiten des Kalten Krieges, in denen Weltraummissionen neben den seit jeher dominierenden militärischen Aspekten immer stärker zum Prestigeobjekt im Wettstreit um das auch technologisch bessere und fortschrittlichere Gesellschaftssystem aufgestiegen waren, war dies für die USA auf Dauer kaum zu ertragen. In Washington wollte der gerade gewählte Präsident John F. Kennedy nach dem Gagarin-Coup das Ruder im „Space Race" entsprechend möglichst schnell herumreißen, auch wenn neben reichlich Ehrgeiz noch viel mehr Ratlosigkeit aus seiner überlieferten Notiz an seinen Vize Lyndon B. Johnson sprach: „Haben wir eine Chance, die Sowjets zu schlagen, indem wir ein Labor im Weltraum errichten oder durch einen Flug zum Mond oder durch eine Rakete zur Landung auf dem Mond, die einen Menschen hin- und zurückbringt?"
Auch erste Frau im All war Russin
Basierend auf einem vom deutschstämmigen Nasa-Raumfahrt- und -Raketenspezialisten Wernher von Braun am 29. April 1961 überreichten Gutachten, das realistische US-Siegesaussichten bei einem Wettlauf um den Mond prognostiziert hatte, verkündete Kennedy im Mai 1961 sein Vorhaben, noch vor Ende des Jahrzehnts die Landung eines amerikanischen Astronauten auf dem Erdtrabanten realisieren zu wollen – was bekanntlich mithilfe des milliardenschweren Apollo-Programms gelang. Damit konnten die USA aber letztlich nur das Rennen um den Mond gewinnen. Die Sowjets verbuchten zuvor 1963 noch den Erfolg der ersten Frau im All oder dem ersten Weltraumspaziergang 1965. Dass Neil Armstrongs erste Schritte auf dem Mond im Juli 1969 im Gedächtnis der westlichen Weltöffentlichkeit viel tiefer verankert geblieben sind als der Weltraumflug des in seiner Heimat als Volks- und Propaganda-Held gefeierten Juri Gagarin, ist ebenso eine ganz andere Geschichte. Tatsächlich ist es auch ein Mythos, dass die USA allein durch die Mondlandung das „Space Race" doch noch für sich entschieden haben. Die Sowjetunion war keineswegs so sehr geschockt, wie im Westen gerne kolportiert wird. Bereits zwei Jahre nach der Mondlandung gelang ihr mit der Etablierung der ersten Weltraumstation „Saljut 1" der nächste Paukenschlag im All.
Während Wernher von Braun ungeachtet seiner politischen Vergangenheit als Hitlers Raketenbaumeister mit der Nazi-„Wunderwaffe" V2 auch in den USA nach seiner Einbürgerung 1955 eine viel beachtete Karriere als Chef des US-Weltraumprogramms hinlegte, blieb der Name des sowjetischen Raketen- und Weltraum-Chefkonstrukteurs Sergej Koroljow im Westen so gut wie unbekannt. Bereits direkt nach Kriegsende war er nach Deutschland entsandt worden, um sich dort auf die Suche nach den von den USA und der Sowjetunion gleichermaßen begehrten Konstruktionsplänen oder den Restexemplaren der legendären V2-Rakete zu machen. Mit ihrem über mehr als 27 Tonnen Schub verfügenden Triebwerk Aggregat 4 war sie die erste funktionsfähige Großrakete der Welt gewesen. Niemand sonst war damals global dazu in der Lage, Flüssigkeitsraketentriebwerke jenseits von 1,5 Tonnen Schub zu bauen.
Koroljow kam allerdings zu spät, die Amerikaner hatten bereits so gut wie alle Forschungsberichte sowie rund 100 einsatzfähige V2-Raketen im thüringischen Dora erbeutet und darüber hinaus auch die wichtigsten deutschen Konstrukteure zur Übersiedlung nach Übersee überredet. Viel mehr als Trümmerteile von Raketen konnte Koroljow daher bei seinen Recherchen rund um das thüringische Bleicherode nicht sicherstellen. Doch bei seiner Rückberufung in die Sowjetunion 1946 konnte er dennoch wertvolle Mitbringsel in Gestalt Tausender hochqualifizierter Ingenieure und Handwerker verschiedenster Spezialisierungen präsentieren. Während sich die Amerikaner die Kreativ-Spitzen der V2 gesichert hatten, hatte Koroljow sich die Dienste der praktischen Baumeister der Rakete unter den Nagel gerissen. Die deutschen Fachkräfte wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die Sowjetunion deportiert und mussten ihre geheime Arbeit auf einer nördlich von Moskau gelegenen Insel in der Waldai-Region aufnehmen. Der technologische Vorsprung der Sowjetunion in Sachen Weltraum entsprang nicht zuletzt der Tatsache, dass die Amerikaner zunächst erst einmal das Personal ausbilden mussten, um die Ideen der deutschen Spitzenkonstrukteure um Wernher von Braun umsetzen zu können.
Kürze des Flugs aus Sicherheitsgründen
Vor seinem Flug ins All hatte Juri Gagarin 1960 ein knallhartes Auswahl- und Ausbildungsverfahren durchlaufen müssen. Die benötigte Raketentechnik lieferte das Team von Koroljow mit der R-7, der weltweit ersten Interkontinentalrakete, die bis heute fast unverändert unter dem Namen Sojus im Einsatz ist. Für Gagarins Weltraummission musste die R-7 ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Raumschiff Wostok transportieren, bestehend aus einer kugelförmigen Landekapsel sowie einem angrenzenden kegeligen Geräteteil, das bei der Rückkehr zur Erde abgeworfen werden sollte. Da man im Rahmen des Testprogramms bei einem Tier Symptome der Raumkrankheit festgestellt hatte, wurde der bemannte Raumflug, dessen Erfolgschancen im Vorfeld übrigens gerade mal auf 50 Prozent taxiert worden waren, auf einen Erdumlauf begrenzt. Eigentlich ein Himmelsfahrtkommando.
Kurz vor 7 Uhr Ortszeit wurde Gagarin am 12. April 1961 mithilfe eines Aufzugs an die Spitze des 50 Meter hohen, im kasachischen Kosmodrom Baikonur startbereit aufgestellten Raketenungetüms befördert. Dort betrat er das Raumschiff durch eine Einstiegsluke und aktivierte um 7.10 Uhr den Funkkontakt mit dem Kontrollzentrum. Als möglichen Schutz vor einem Druckverlust hatte man ihn in einen zehn Kilogramm schweren Raumanzug eingekleidet. An Bord gab es eine Lebensmittel-Notfall-Ration für zehn Tage und für etwaige Probleme nach der Landung ein Schlauchboot sowie einen Kompass und ein tragbares Funkgerät. Eigentlich war vorgesehen, dass Gagarin das Raumschiffs mittels Schleudersitz vor dem Erdaufprall der Kapsel verlassen sollte.
Kleines Problem beim Rückflug
Ein wissenschaftliches Arbeitspensum war bei diesem ersten Flug nicht vorgesehen. Gagarin sollte lediglich seine Beobachtungen der Erdoberfläche per Funk übermitteln und die Bordcomputer überwachen. Die manuelle Flugsteuerung war zugunsten eines Automatik-Programms deaktiviert worden. Um 9.07 Uhr wurde die Rakete mit 20 Millionen PS in die Atmosphäre katapultiert. Die auf Gagarin wirkenden G-Kräfte waren enorm, sein Puls stieg kurzzeitig auf 150 Schläge pro Minute. Nach Eintritt in die Erdumlaufbahn vermeldete Gagarin, dass alles in Ordnung sei und er sich gesundheitlich gut fühlte. Anschließend schwärmte er vom „Blauen Planeten" und begann nach gut einer Stunde Flugzeit mit den Vorbereitungen für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.
Kurz nach der um 10.25 Uhr eingeleiteten Bremszündung kam es zum einzigen schwerwiegenden Zwischenfall der Mission, weil sich das Geräteteil nicht komplett von der Kaspel getrennt hatte und diese dadurch von Flammen umtost in einen Drehstrudel geriet. Um 10.35 Uhr wurde das Problem, das für Gagarin tödliche Folgen hätte haben können, praktisch von alleine gelöst. Die atmosphärische Reibung sorgte dafür, dass der Kabelschlauch, der die beiden Module noch immer zusammenhielt, verglühte und die Module sich somit endlich trennten. In einer Höhe von 7.000 Metern öffnete sich der Hauptfallschirm des Raumschiffs, wenig später wurde Gagarin mittels Schleudersitz aus der Kapsel katapultiert und konnte nach einer Flugzeit von einer Stunde und 48 Minuten mit Hilfe seines Fallschirms wohlbehalten auf einem Brachgelände unweit der am Ufer der Wolga gelegenen Stadt Engels landen.
Den USA war ihre erneute Niederlage im All-Wettlauf übrigens bereits 55 Minuten nach dem Raketenstart durch eine Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass genüsslich unter die Nase gerieben worden: „Das erste Raumschiff der Welt, ‚Wostok’, ist heute von der Sowjetunion aus mit einem Menschen an Bord in einen Orbit über der Erde gestartet worden. Der Kosmonautenpilot des Raumschiffs ‚Wostok’ ist ein Bürger der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Fliegermajor Juri Alexejewitsch Gagarin."