Was macht eine Stadionband, wenn sie nicht in den Arenen rocken darf? Sie spielt im Studio melancholische Hymnen gegen den Corona-Blues ein. Im Interview spricht Kings of Leon-Leadgitarrist Matthew Followill (36) über die Faszination alter Instrumente und darüber, was den Rock’n’Roll am Leben hält.
Matthew, Ihr letztes Album „Walls" war ein weltweiter Nummer-eins-Erfolg. Welche Vision hatten Sie da von dem Nachfolgewerk „When You See Yourself"?
Was das Ziel war, weiß ich nicht. Es ist jetzt unsere achte Platte, und natürlich will man als Band am liebsten einen Klassiker machen. Wir wollten uns wie immer weiterentwickeln und ein bisschen anders klingen als beim letzten Mal. Wir haben zum Beispiel versucht, nicht zu viele Effekte zu verwenden. Das Schlagzeug haben wir etwas trockener als sonst klingen lassen. Es sollten auch Stücke dabei sein, die radiokompatibel sind.
Was war Ihnen sonst noch wichtig?
Dass wir dieses Album für uns selbst machen und nicht für die Plattenfirma oder sonst jemanden. Gedanken an eine etwaige Zielgruppe gilt es beim Musikmachen auszuschalten.
Sie hatten diesmal mehr Zeit als sonst. Heißt das, Sie haben monatelang an einzelnen Stücken herumgefeilt?
Nach der Tour zu unserem letzten Album „Walls" hatten wir uns ein Jahr freigenommen, um wieder zu uns selbst zu finden. Die folgenden zwölf Monate waren wir dann mit der Produktion der neuen Platte beschäftigt. Doch auf einmal kam die Pandemie über uns, und wir beschlossen, die Veröffentlichung zu verschieben. Es ist tatsächlich so, dass wir diesmal mehr Zeit hatten. Der Grund ist, dass wir die Platte in unserer Heimatstadt Nashville aufgenommen haben. Ich glaube, deswegen sind einige der Songs auch so gut geworden.
Aufgenommen wurde das Album „When You See Yourself" in den berühmten Blackbird Studios in Nashville. Sind Tonstudios für Sie magische Orte?
Es macht mir auf jeden Fall Spaß, in einem Studio zu arbeiten. Es wird zu einem magischen Ort, wenn eine Band wie wir dort Musik macht. Ein Studio ist wie eine vibrierende kreative Zelle. Das wirkt sich auf deine Stimmung ungemein aus.
Ein Tonstudio ist ja eine ganz eigene Welt, zu der Normalsterbliche keinen Zutritt haben. Welche Gesetze und Regeln gelten dort?
Jesus, was sind die Regeln? Wir sind bereits in einigen Studios rund um den Globus gewesen. Es gibt dort definitiv keine Regeln! Alles geht. Wir haben aber für uns selbst ein paar Regeln aufgestellt: Zum Beispiel kein Alkohol vor dem Feierabend. Kein Bier zum Mittagessen.
Auch keine Joints?
Ich denke, ein Joint könnte vielleicht in Ordnung sein. Er macht dich noch ein bisschen kreativer.
Kam im Studio viel Vintage-Equipment zum Einsatz?
Oja, wir benutzen alle Vintage-Equipment. Caleb und ich spielen alte Gitarren über Verstärker aus den 60ern und 70ern. Nathan trommelt auf einem alten Schlagzeug von Gretch. Diesmal habe ich auch ein paar alte Synthesizer mit ins Studio gebracht. Alte Instrumente und Geräte vernetzen dich mit der Zeit, aus der sie stammen. Sie sorgen für bestimmte Schwingungen, die moderne Teile nicht so hinkriegen. Ich bilde mir auch ein, dass der Schweiß, der im Lauf der Jahrzehnte in eine Gitarre hineingeflossen ist, sie anders klingen lässt.
Klingen alte Orgeln, Synthesizer und Verstärker wirklich besser als moderne?
Das hängt davon ab, wie man „besser" definiert. Für uns ist ein Vintage-Sound auf jeden Fall besser. Aber wir könnten definitiv auch ohne diese alten Geräte Musik machen. Der Song und dein Beitrag dazu sind immer das Wichtigste.
Der Song „Time In Disguise" handelt davon, wie Sie mit dem riesigen Erfolg umgehen. Haben Sie gelernt, damit klarzukommen?
Nicht wirklich. Ich habe auch nicht das Gefühl, richtig berühmt zu sein. Natürlich haben wir als Band immer wieder Rote-Teppich-Erlebnisse. Die sind manchmal ziemlich bizarr und man fühlt sich dabei nicht wirklich wohl. Aber man gewöhnt sich dran. Am meisten Spaß macht es immer noch, sich jenseits des stressigen roten Teppichs mit Fans über unsere Musik zu unterhalten.
Das Album lässt sehr schnell eine melancholische Stimmung aufkommen. Hat das etwas mit den chaotischen Zeiten zu tun, in denen wir leben?
Ich habe noch nie darüber nachgedacht, wo unsere melancholischen Songs eigentlich herkommen. Wir als Band fühlen uns mehr von entspannten Stücken angezogen, die auch inhaltlich etwas aussagen. Einfach nur Liebeslieder zu schreiben befriedigt uns nicht. Wir wollen Musik machen, die so intensiv ist wie die Musik der Künstler, die uns inspirieren. Ein Album benötigt aber auch ein paar hart rockende Nummern, damit es spannend bleibt. Diese Stücke sind besonders wichtig für unsere Liveshows. Aber in der Rückschau finde ich unsere melancholischen Sachen am gelungensten.
War Grammy-Preisträger Markus Dravs (Arcade Fire, Coldplay, Florence + the Machine) eigentlich sein Geld wert?
Ja, denn er ist ein großartiger Künstler. Er hat uns dabei geholfen, fokussiert zu bleiben. Ehrlich gesagt habe ich gar keine Ahnung, wie Markus für den Job bezahlt wurde. Über solche Dinge haben wir nicht mit ihm gesprochen. Seine Gage ist wahrscheinlich in unserem Budget mit drin gewesen. Ich denke aber, Markus Dravs ist definitiv sein Geld wert.
Welche Aufgabe hatte Dravs im Studio?
Er hat so einige Tricks drauf, die er sich bei der Arbeit mit zahlreichen talentierten Künstlern erworben hat. Seine Rolle im Studio ist, dass er sich vollkommen einbringt und uns bei allen Aspekten hilft: beim Sound, beim Editing, bei den Arrangements. Für Markus ist jeder einzelne Song superwichtig. Er versteht es wirklich, Alben zu machen, die in sich geschlossen sind.
„Bandit" liest sich wie ein Mini-Western. Wie kam es zu dem Song?
Unser Sänger Caleb hat den Text geschrieben. Er sagte, er habe sich dazu von Townes van Zandt inspirieren lassen. Der Song handelt von einem alten Kopfgeldjäger, der einen Kriminellen jagt. Mit der Zeit hat sich eine gegenseitige Bewunderung entwickelt.
Ist Townes van Zandt ein Künstler, auf den sich alle in der Band einigen können?
Ich denke, Caleb ist der größte Townes-van-Zandt-Fan in der Band. Er steht total auf diesen Singer-Songwriter-Stil. Ich muss zugeben, dass ich mich damit nicht besonders auskenne. Ich sollte mich wohl nach diesem Interview einmal damit beschäftigen.
Hören Sie sich privat noch viel Musik an?
Es gibt Momente der Stille in meinem Leben. Speziell während der Pandemie habe ich viel Zeit zu Hause mit meiner Familie verbracht. Ich musste über das verrückte letzte Jahr nachdenken. Normalerweise spiele ich aber so oft wie möglich Gitarre, Piano und Synthesizer.
Sie sammeln Geld für Live Nations Hilfsfonds für Livemusik-Crews. Hat das Coronavirus die Art und Weise, wie wir Kultur konsumieren, für immer verändert?
Das müssen wir abwarten. Corona hat definitiv vieles verändert. Ich hoffe inständig, dass wir zu dem Live-Geschehen vor der Pandemie zurückkehren können. Ich gehe aber davon aus, dass einige der Neuerungen bleiben werden. Zum Beispiel, dass man Liveshows mitschneidet und sie zu einem späteren Zeitpunkt streamt. Aber eine Rückkehr zur Normalität wäre wünschenswert.
Sie haben einen zehnjährigen Sohn. Sind Sie gut im Homeschooling?
Haha, nein, ich bin darin sehr schlecht! Das liegt aber nicht an meiner Intelligenz, sondern an meiner Geduld. Ich habe davon einfach zu wenig. Seit Corona empfinde ich großen Respekt vor Lehrern. Das sind für mich Superhelden, die so gut bezahlt werden müssten wie Ärzte und Anwälte. Nichts ist doch wichtiger als Bildung!
Sind Sie wenigstens ein geduldiger Musiklehrer?
Ich versuche es zumindest. Momentan bringe ich meinem Sohn das Klavierspiel bei, die Klassiker und so. Dabei bin ich sogar etwas geduldiger als sonst.
Junge Menschen stehen vor allem auf Hip-Hop. Manche behaupten, Rock sei tot, weil er sich seit Jahrzehnten immer nur wiederhole. Wie denken Sie darüber?
Kids stehen eher auf Elektronik und Hip-Hop. Ich finde aber nicht, dass Rock tot ist. Es ist schon so, dass heutzutage im Rockbereich vieles nicht besonders originell klingt. Eine Band kopiert die andere. Aber nach wie vor geht von echten Instrumenten eine große Faszination aus. Wenn ein Gitarrist spielt, höre ich da seine Persönlichkeit heraus. Das wird den Rock’n’Roll niemals sterben lassen.
Was bringt Sie als Gitarrist und Songschreiber weiter nach 20 Jahren im Musikgeschäft?
Wir betreiben diese Band jetzt schon so lange, dass es den Hauptteil meines bisherigen Lebens ausmacht. Ohne Musik würde mir gefühlt ein Arm oder Bein fehlen. Künstler suchen einfach immer nach Inspiration. Es braucht eigentlich nur ein paar Minuten, einen neuen Song oder eine Idee im Kopf zu hören. Das ist wie eine Droge. Deshalb liebe ich diesen Job auch so.