142 Quadratkilometer umfasst das Gartenreich Dessau-Wörlitz in Sachsen-Anhalt mit seinen Schlössern und den historischen Parkanlagen und gehört seit 20 Jahren zum Unesco-Weltkulturerbe. FORUM sprach mit Brigitte Mang, der Direktorin der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, über das vergangene Corona-Jahr und Pläne für die Zukunft.
Frau Mang, wie hat das Gartenreich Dessau-Wörlitz die letzten zwölf Monate in der Corona-Pandemie erlebt?
Von Anfang Mai bis Ende Oktober 2020 war die Zahl der Gäste im Gartenreich enorm gestiegen. Die Besucher wollten einfach Urlaub in Deutschland machen. Aber es waren nicht nur die Deutschen, die kamen, sondern auch zahlreiche Gäste aus der Schweiz, den Niederlanden, aus Österreich und Frankreich.
Die große Zahl hat uns sehr erstaunt. Wir konnten gar nicht allen Interessierten das Schloss Wörlitz zeigen, weil wir bei den Führungen nicht mehr die ursprüngliche Gruppengröße von maximal 25 Personen haben durften, sondern coronabedingt nur noch sechs Teilnehmer. Durch die Gruppenverkleinerungen und die verspätete Öffnung im Frühjahr sank die Besucherzahl in den Schlössern insgesamt aber deutlich.
Was hat sich durch die Pandemie verändert?
Corona hat unglaublich viel bewegt. Quasi von heute auf morgen haben wir ein Onlineticket-System installieren können. Jetzt ist der Kartenverkauf auch über unsere Homepage möglich. Da haben sich Dinge in einem Tempo weiterentwickelt, das hätte man sich ohne Corona nicht vorstellen können.
Auch beim Personaleinsatz mussten wir flexibel sein. Die Führungen im Schloss Wörlitz haben wir sehr dicht getaktet. Dazu haben wir neue Kurzführungen angeboten.
Bei den Gondeln, die auf dem Wörlitzer See fahren, durften nicht so viele Gäste an Bord. Statt zwölf nur noch vier Personen. Da musste einfach mehr gefahren werden als sonst. Meine Gondelfahrer sagten, sie sind dieses Jahr gerudert „wie die Weltmeister".
Was hat sich als schwierig erwiesen?
Die Herausforderung, einen Betrieb mit rund 150 Mitarbeitern unter Corona-Bedingungen so zu organisieren, dass immer alle motiviert bleiben, fand ich für mich als Kulturmanagerin sehr fordernd. Denn jede neue Landesverordnung zieht ja eine Umorganisation nach sich. Corona fordert von jedem, sich ständig umzustellen. Das mögen manche Menschen gern und andere nicht so gern. Da hieß es für mich auch oft, Ängste zu nehmen, den Betrieb so zu organisieren, dass jeder optimal geschützt ist und sich schützen kann, um sich nicht anzustecken.
Wie blicken Sie heute zurück auf dieses Corona-Jahr?
Was wir alle gelernt haben, ist, dass wir auf uns selbst achtgeben müssen – und auf alle um uns herum. Und dass man gerade auch die Menschen, die es schwer nehmen, mitzieht und ihnen Sicherheit gibt. Alles in allem habe ich es als ein unglaublich anstrengendes Jahr empfunden.
Wie sieht es mit dem Mehraufwand durch die Corona-Pandemie bei Ihnen aus?
Wir bekommen die zusätzlichen Kosten und Einnahmeausfälle von Land und Bund ersetzt. Diese Mehrkosten durch Corona beziffern sich auf gut eine Million Euro. Da sind Hygienemaßnahmen dabei, wie etwa Plexiglasscheiben, diverse technische Einrichtungen und extra Personalkosten.
Wir sind eine öffentliche Stiftung. Kunst und Kultur ist eine öffentliche Verpflichtung. Da fährt man hoch, auch bei erhöhtem Aufwand – aber das kostet natürlich Geld.
Was hat Corona deutlich gemacht für das Gartenreich?
Als viele andere Kulturstätten geschlossen waren, zeigte sich das Gartenreich als guter Ort, um die Pandemie mit einer gewissen Gelassenheit überstehen zu können.
Für mich persönlich brachte die Corona-Zeit einen noch intensiveren Blick auf das Gartenreich. Ich habe es mir noch einmal neu erobert, durch lange Spaziergänge und beim Joggen, am Abend nach der Arbeit oder am Wochenende. So habe ich ein neues Verständnis für das Gartenreich bekommen. Ich kenne es jetzt um ein Vielfaches besser.
Meistens war ich mit mir selbst unterwegs. Wenn man alleine durch die Parks streift, sieht und hört man sehr viel mehr, als wenn man beispielsweise Gäste durch den Park führt. Ich empfand es als eine unglaubliche Bereicherung. Zum Beispiel habe ich noch nie in meinem Leben so viele Füchse in freier Natur gesehen wie im letzten Jahr. Und noch nie habe ich die Vielfalt der Vogelstimmen so deutlich wahrgenommen. Eine Bereicherung, die es für mich und viele andere Menschen ohne Corona nicht gegeben hätte.
2020 wollte das Wörlitzer Gartenreich eigentlich 20 Jahre Unesco-Weltkulturerbe-Titel feiern. Was haben diese zwei Jahrzehnte Welterbe-Titel eigentlich gebracht?
Der Unesco-Titel bietet noch einmal einen besonderen Schutz, zusätzlich zu dem schon hervorragenden Schirm des Denkmalschutzes. Und selbstverständlich bringt der Unesco-Titel auch Touristen. Aber ich sehe vielmehr die Verantwortung, die wir im Kultur-Management gemeinsam mit dem Land und dem Bund innehaben: nämlich weltweit einmalige Denkmale zu bewahren und den Menschen ihre Bedeutung zu vermitteln.
Hat der Titel im konkreten Fall schon einmal helfen können?
Ja, das war zum Beispiel ein wichtiges Argument bei der Diskussion um die Windräder, die ganz in der Nähe des Gartenreiches aufgestellt werden sollten. Mit dem Argument des Unesco-Titels konnte verhindert werden, dass die historischen Sichtachsen des Gartens durch Windräder zerstört werden. Der Titel hilft auch bei der Argumentation für die Mittel für unseren Masterplan. Wir benötigten nämlich 150 Millionen Euro für die nächsten großen Bauvorhaben, dem Welterbe-Zentrum im Ensemble Gelbes Haus und dem Marstall in Wörlitz und den Restaurierungen der Schlösser Oranienbaum und Mosigkau.
Haben Sie Sorgen, dass die bereits bewilligten Mittel durch die coronabedingte hohe Staatsverschuldung vielleicht zurückgezogen werden?
Nein, diese Sorge habe ich im Moment nicht. Allerdings sind diese Mittel auf zehn Jahre ausgelegt. Wenn alles nach Plan läuft, könnte das neue Welterbe-Zentrum in Wörlitz als große Informationsstätte für das Gartenreich, aber auch für die Welterbestätte Bauhaus in Dessau, die Luther Gedenkstätten in Wittenberg, den Naumburger Dom und auch Quedlinburg 2024/2025 fertig sein.
Auf der Museumsinsel in Berlin sind vor wenigen Monaten wertvolle Kulturgüter beschädigt worden. Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung preußischer Kulturbesitz, spricht von einem neuen Ausmaß von Vandalismus, von einem neuen Bedrohungsszenario. Sind Sie in den Schlössern und Gärten des Gartenreiches ebenfalls von solchem Vandalismus betroffen?
Das Thema Vandalismus haben wir dadurch, dass wir uns in einer ländlichen Region befinden, glücklicherweise noch nicht. Allerdings sind wir sehr gefordert beim Thema ‚Umgang mit den Parkanlagen‘. Man muss immer wieder deutlich machen, dass man in einem historischen Gartendenkmal zum Schutz der Besucher und der Wege nicht einfach durchradeln kann, dass man nicht picknicken soll und den eigenen Müll korrekt entsorgen möge. Aber auch in diesem Punkt sind wir aus Berliner Sicht bisher auf einer ‚Insel der Seligen‘.
Wo sehen Sie Ihr Gartenreich Dessau-Wörlitz in zehn Jahren?
In diesem Jahr konnten wir ja glücklicherweise den Abschluss der 20 Jahre dauernden Sanierung von Schloss Wörlitz verkünden. Das ist wirklich ein Meilenstein in der Geschichte der Kulturstiftung, dass man dieses Kleinod des Klassizismus einmal durchrenoviert hat. Und in zehn Jahren wird das Wörlitzer Welterbe-Zentrum längst eröffnet sein.
Insbesondere für unsere Gärten und Parks hoffe ich sehr, dass sie durch den Klimawandel keinen zu großen Schaden nehmen. Auch wenn wir uns um ein gutes Wassermanagement kümmern, insgesamt brauchen auch wir einfach mehr Regen.