Die Internationalen Musikfestspiele Saar bereichern die Region vom 1. bis zum 15. Mai mit dem ersten Teil ihrer Festivalausgabe „Ursprünge I". Bernhard Leonardy, Intendant und Künstlerischer Geschäftsführer, im Interview.
Herr Leonardy, Sie haben „Ursprünge" zum Motto des Festivals erkoren. Zurück auf die Bäume? Oder an welche Ursprünge haben Sie dabei gedacht?
(lacht) Der Themenkomplex Ursprünge soll unser Hauptthema widerspiegeln, damit ist eine Kombination von Natur und Industrie gemeint: Die Natur als Ausgangspunkt allen wirtschaftlichen Arbeitens – ein Dialog zwischen der Natur als Ursprung und der Dynamik, die daraus entstehen kann. Eine Energie wird freigesetzt, die die Natur neu interpretiert. Man kann das Motto „Ursprünge" auch dahingehend neu denken, weil wir versuchen, mit Kultur noch einmal neu zu starten. Man kann es sogar doppeldeutig sehen. Wir wollen unser Festival in diesem Jahr ganz bewusst nicht mehr „Unerhört" nennen, weil es im letzten Jahr unerhört war – zwar ein guter Titel, aber ein schlechtes Omen.
… da Sie im letzten Jahr das Festival absagen mussten. Einige Künstler, die damals eingeladen waren, kommen, darunter das A-cappella-Ensemble Voces8. Die Sänger werden die Musikfestspiele Saar in der Abteikirche St. Mauritius in Tholey eröffnen. Erklangen im Mittelalter schon die Stimmen der Mönche an dem Ort?
Die Abtei in Tholey gilt als die älteste in Deutschland. Als Musiker spürt man die Gesänge von Jahrtausenden in den renovierten Mauern. Auch der helle, wunderbar warme Sandsteinton prägt die Atmosphäre dieses Ortes. Das Konzert mit Voces8 ist das erste große Chorkonzert, das dort stattfindet, nach der vollständigen Renovierung. (Die neuen Kirchenfenster gestalteten die Künstler Gerhard Richter und Mahbuba Maqsoodi, Anm. d. Red.) Es gilt zu hören wie das schönste Instrument, das uns Gott geschenkt hat, in solch altehrwürdiger Umgebung klingt.
Nimmt das A-cappella-Ensemble Voces8 programmatisch Bezug zum Ort?
Ja. Beim Eröffnungskonzert wird das Programm sakral bestimmt sein, mit einem kleinen weltlichen Auszug.
Sie präsentieren das Festival in zwei Teilen. „Ursprünge I" von 1. bis 15. Mai und „Ursprünge II" von 1. September bis 1. Oktober. Weshalb?
Ursprünglich wollten wir das gesamte Festival – wie bewährt – im Mai veranstalten. Zunächst wollen wir im Mai mit dem Prolog „Ursprünge I" starten, der mit kleineren Formaten durchführbar sein wird. Wir wollen ein Zeichen setzen: Die Kultur ist zurück! Konzerte mit großen Ensembles können – wenn es in Richtung Normalität geht – im Herbst auftreten.
Die Orgel ist Instrument des Jahres. Sie wird als „Königin der Instrumente" bezeichnet. Warum?
Der Komponist und Organist César Franck sagte: Meine Orgel ist ein Orchester. Eine Orgel beinhaltet nicht nur verschiedene Pfeifen, sondern auch verschiedene Klanggruppen. Diese Klanggruppen erfahren eine Rückkopplung zu den jeweiligen Instrumenten. Eine Deutung mag auch sein, dass der Klang der Orgel einer Vorstellung von Ewigkeitsklang nachkommt sowie Himmel und Erde einander nahebringt.
Olivier Latry, Titularorganist der Kathedrale Notre Dame, wird die drei Orgeln zum Klingen bringen. Ungefähr 50.000 Orgeln findet man in Deutschland, in der Basilika St. Johann stehen drei davon. Das lässt mich staunen …
Die Orgelanlage in der Basilika St. Johann ist ziemlich einzigartig. In der Tat befinden sich dort drei Instrumente. Auf der Hauptempore eine italienisch-barocke Orgel, und jeweils eine in den früheren zwei Fürstenlogen. In der rechten befindet sich eine Kopie der Orgel aus der Catedral Nueva in Salamanca, die Pfeifen stehen nicht vertikal, sondern horizontal. Auf der linken Seite steht eine Kopie einer Orgel von Cavaillé-Coll, dem berühmtesten Orgelbauer der Romantik. Hier schließt sich der Kreis zu Olivier Latry, dem Organist der Kathedrale Notre Dame, denn wie durch ein Wunder ist diese wertvolle Cavaillé-Coll-Orgel von Notre Dame von dem Feuer verschont geblieben.
„Berlin. Die Sinfonie der Großstadt", der Dokumentarfilm von 1927, erzählt von dem sich stetig beschleunigenden Rhythmus der Großstadt mit all ihren Kontrasten – das Sonic.Art-Saxofonquartett spielt zu Walter Ruttmanns Stummfilm. Ziehen Sie mit der Filmauswahl eine Entsprechung zur Gegenwart?
Zur Gegenwart vor Corona – mit Sicherheit. Wie die Zukunft aussehen wird, wird sich erst noch zeigen. Kultur wird in der Zeit nach Corona vielleicht einen größeren Stellenwert bekommen. Vielleicht wird sich das Interpretationstempo in der Musik ändern. Vielleicht ist man nicht mehr so getrieben. Vielleicht hat man mehr Zeit, ein Adagio zu genießen. Die Interpretationen wurden zunehmend sportlich, immer schneller. Der „Minutenwalzer" von Chopin dauert nur noch einige Sekunden. Die Interpreten agierten immer zirkushafter. Diese Überziehungen und Extreme sind Auswüchse eines verzweifelten Geltungsdrangs eines Künstlers und weniger eine Verbeugung vor dem Komponisten. Insofern ist der Film „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" ein wichtiges Zeitdokument als Scharnier zwischen gestern und morgen.
Einige Freiluftkonzerte sind geplant. Gibt es Plan B, falls es regnet?
Nein, nach all den Unglücken glaube ich, dass uns das Schicksal hält.
Die Spielorte in Frankreich können nicht beibehalten werden. Sie haben aber auch neue Spielorte gefunden.
Mit den Spielorten in Frankreich, das ist schade. Wir sind aber noch dabei, Möglichkeiten zu finden. Grundsätzlich verstehen wir uns als deutsch-französisches Klassik-Musikfestival – da wollen wir auch wieder hinkommen. Wir versuchen immer, Spielorte zu finden, die unser Thema widerspiegeln, wie beispielsweise die Orte der Industriearchitektur.
Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlandes, bezeichnet die Musikfestspiele Saar als „musikalisches Ausrufezeichen". Welches Echo erzeugten ihre finanziellen Ausrufe in Richtung Land?
Wir haben vorweg positive Gespräche geführt und den Finanzierungsplan ans Land geschickt. Mit dem Wirtschaftsministerium konnte ich kürzlich telefonieren. Wir sind uns auch sicher, dass wir Gehör finden und als touristisches Highlight wahrgenommen werden. Dem Ausrufezeichen könnte ich also noch ein zweites hinzustellen. Mit Kulturministerin Streichert-Clivot haben wir Ende April einen Gesprächstermin. Ich denke, Corona lehrt auch, dass wir die Kräfte bündeln müssen. Wir engagieren uns daher als Institution, wenn es darum geht, verschiedene Partner zusammenzubringen.
Wie steht es um die Bereitschaft der Sponsoren?
Da wir seit Jahrzehnten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit pflegen, lassen sie uns nicht hängen. Ich sehe auch, dass unsere Sponsoren erkennen, dass wir versuchen, einen Perspektivwechsel einzuleiten, in dem Sinn, dass wir sagen: Wir machen jetzt was!
Wir haben positive Rückmeldungen, aber natürlich gibt es auch Sponsoren, die selber kämpfen müssen, das ist ganz selbstverständlich, dass die momentan zurückhaltend sind; ich kann das auch verstehen.
Die Kartenpreise waren bis dato moderat. Bleibt das so?
Das ist unser Anspruch, selbst wenn wir nur 50 Plätze anbieten können. Die Eintrittspreise werden sich nur marginal erhöhen, wir haben auch größere Aufwendungen …
Wegen der Umsetzung der Hygieneregeln?
Mittlerweile haben wir die Zusage der Ärztekammer des Saarlandes, dass man uns begleiten und Hilfestellung geben wird. Wir werden auch nicht zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften unterscheiden – wir sind gemeinnützig und wollen es bleiben.
Sollten keine Präsenzveranstaltungen möglich sein: Wird es eine Verlegung der Aufführungen ins Digitale geben?
Die Veranstaltungen in Kirchen, eingebettet in eine Liturgie, können auf jeden Fall stattfinden. Wenn eine Präsenzveranstaltung nicht stattfinden darf, wird sie in den Herbst verlegt und im Livestream angeboten. Livestream ist teuer, aber wir würden gerne jede Indoor-Veranstaltung streamen. Ein Nur-Streaming im Mai möchten wir vermeiden, deshalb bleibt eine Verschiebung für den Herbst eine Option.
Ich bin die gute Fee. Sie haben einen Wunsch für das Festival frei. Welchen?
Mein größter Wunsch wäre vonseiten des Landes die kontinuierliche Zusage einer Zusammenarbeit, um die Professionalisierung und Vorausplanung, die ein Festival benötigt, sichern zu können.