Die Filmsatire „I Care a Lot" überspitzt den realen Horror in der Seniorenpflege. Rosamund Pike spielt fantastisch die wahrscheinlich gemeinste Frau des Jahres, die vorgibt, im Dienst der Senioren zu handeln.
Ein Blick auf die Filmliste von Rosamund Pike zeigt ein beachtenswertes Werk. In „James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag" (2002) hat sie Bond-Girl Halle Berry fast die Show gestohlen, im Kostümfilm „Stolz und Vorurteil" (2005) debütierte sie in einem Jane-Austen-Drama und in „Jack Reacher" (2012) bietet sie Filmmacho Tom Cruise starkes Kontra. Richtige Kinospannung verursachte die jetzt 42-Jährige aber in „Gone Girl – Das perfekte Opfer" (2014). Sie spielte eine Frau, die ihr Verschwinden vortäuscht, um ihrem Ehemann Ben Affleck ihren eigenen Mord anzuhängen. Nun ist Rosamund Pike im Netflix-Film „I Care a Lot" zu sehen. Es ist der spannendste Film seit Langem und Pike ist als Rentner ausnehmende Geschäftsfrau noch perfider und gemeiner.
Starres Lächeln und hartes Business
Auf den ersten Blick ist Marla Grayson (Rosamund Pike) ein Engel, der sich aufopfernd für alte Menschen einsetzt. Denn als professionelle und bei Gericht akkreditierte Betreuerin kümmert sie sich um alleinstehende Senioren. Doch hinter dem Hilfsangebot der starr lächelnden Frau steht ein hartes Business. Marla mit ihren Verbindungen zu wichtigen Behörden und Medizinern hat nichts Geringeres vor, als die Senioren ruckizucki zu entmündigen, um – zwar moralisch fragwürdig, aber auf völlig legale Weise – deren Vermögen einzuheimsen. So wie bei Jennifer Peterson. Die ältere Dame (Dianne Wiest) erscheint als das perfekte Opfer: richtig reich und ohne lebende Verwandte. Es dauert nicht lange, und die eigentlich topfitte Jennifer sitzt verblüfft und eingesperrt in einem Altenheim, während Marla eiskalt den Besitz der nun rechtlosen Seniorin verhökert.
So beginnt „I Care a Lot" als eine Satire auf die sozialen Missstände bei der Behandlung von Senioren. Beim Zuschauer macht sich dennoch die Angst breit. Marla pafft aus ihren Nasenlöchern den Dampf ihrer E-Zigarette wie den Rauch aus wie bei einem bald explodierenden Vulkan. Und Marlas betonierte Pagenkopf-Frisur scheint unerschütterlich wie ihr eiserner Wille, reich zu werden, ohne sich je von Männern einschüchtern zu lassen.
Aber es läuft nicht alles glatt. Jennifer Peterson ist nicht die unschuldige und alleinstehende Dame, die sie vorgibt zu sein. Während sie unter Beruhigungsmitteln im Seniorenheim dahindämmert, sucht ein Gangster (Peter Dinklage) nach ihr – und stößt auf Marlas Machenschaften. Zwischen den beiden ungewöhnlichen Verbrechern beginnt ein Kampf, bei dem beide Widersacher mächtig Federn lassen und bei dem lange offen ist, wer als Sieger hervorgeht.
Es ist wohl ein Zufall, dass „I Care a Lot" jetzt thematisch so aktuell ist. Gedreht worden ist der Film, bevor Senioren in ihren Wohnstiften zum Schutz vor dem Coronavirus ohne Verwandtenbesuch monatelang ausharren mussten. Nun unterstreicht der Film die Frage, ob die Behandlung von Senioren wirklich immer so sozial und humanitär ist wie sie sein sollte. Kein Wunder also, dass sich beim Zuschauer ein erhebliches Unbehagen ausbreitet. Der soziale Aspekt rückt im weiteren Verlauf der Handlung allerdings in den Hintergrund, um auf ihrem Höhepunkt von der Jagd nach Reichtum ersetzt zu werden. Erst in den letzten zwei Minuten wird noch einmal deutlich, welche emotionalen Folgen eine falsche Entscheidung bei der Betreuung von Senioren haben kann.
Unbehagen beim Zuschauer
Nachdem Rosamund Pike für ihre Rolle in „Gone Girl" eine Oscarnominierung bekommen hat, hätte sie diese Ehre auch für „I Care a Lot" verdient. Aber das wurde nichts, daher bleibt Pike immerhin ein Golden Globe für ihre Arbeit an dem hochspannenden Film. Auch die anderen Schauspieler sind perfekt besetzt. Erfreulich ist, die zweifache Oscarpreisträgerin Dianne Wiest nach einigen Jahren Fernseharbeit („Live in Pieces", 2015 bis 2019) wieder in einer Filmrolle zu sehen. Die 72-Jährige hat als eingesperrte Seniorin einige starke Szenen und schafft es, mit wenigen Worten ihrer perfiden Betreuerin Angst zu machen, dass sogar die starre Frisur durcheinanderkommt. Und Peter Dinklage („Game of Thrones") wechselt geschickt zwischen dem Charakter eines gewalttätigen Verbrechers und liebenden Sohnes, der die Zielstrebigkeit seiner Gegnerin Marla gehörig unterschätzt.