Erst Click and Meet und dann Negativtest: Nach wochenlangem Lockdown öffnete das Berliner Eco-Label Chapati seine Filialen wieder – und muss sie gleich wieder schließen. Wie so viele andere kleine und mittelständische Unternehmen kämpft das Modelabel ums Überleben.
Vor etwa einem Monat hielt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller stolz ein DIN-A4-Papier vor laufenden Kameras in die Höhe. „Das ist ein Plan, wo jeder eins zu eins nachvollziehen kann: Wo stehen wir jetzt und worauf kann ich mich einrichten? Was ist für mich, für meinen Bereich die nächste Perspektive?", beschrieb der Politiker den mehrstufigen Öffnungsplan, der schrittweise aus dem Lockdown führen sollte. Vielen erschien er zu kompliziert. Einer der zahlreichen Punkte war das Click-and-Meet-Prinzip für den Einzelhandel. Danach durften die Läden nach vorheriger Terminabsprache eine limitierte Anzahl von Kunden für einen streng begrenzten Zeitraum in ihre jeweilige Filiale lassen.
An dieses Konzept hielt sich auch der Mode-Designer und Geschäftsinhaber Hamid Mohammadi vom Berliner Modelabel Chapati. „Ich bin froh, dass es überhaupt eine Möglichkeit gibt", sagt der gebürtige Iraner. Nach einem wochenlangen Lockdown durfte er nun seine Läden wieder öffnen.
Gegründet hat der kreative Kopf sein Modelabel im Jahr 1997, nachdem er als Händler mit einem bunt angemalten Trabant auf dem Karneval der Kulturen in Berlin-Kreuzberg Kleidung verkaufte. Bald schon wurde der erste Laden eröffnet und weitere folgten. Eingenähte Kapuzen, ungewöhnliche Schnitte und Naturmaterialien aus überwiegend nachhaltiger Produktion bestimmen heute den Charakter des Modelabels, das nach GOTS (Global Organic Textile Standard) zertifiziert ist. Diese Zertifizierung ist ein weltweit angewendeter Standard für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch hergestellten Naturfasern.
Mittlerweile ist Hamid Mohammadi Besitzer von fünf Shops von Kreuzberg über Mitte bis Prenzlauer Berg mit 42 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein Franchise-Unternehmen befindet sich in Aachen. Zudem soll noch im April eine neue, sechste Filiale mit 280 Quadratmetern im Einkaufscenter Wilma in Berlin-Wilmersdorf eröffnet werden. „Ich wollte einen Schritt nach vorn gehen und nicht zurückblicken", sagt der Modemacher und gießt sich ein Glas Mineralwasser ein.
Nach vorne gehen, nicht zurückblicken
Weit entfernt von Hamid Mohammadis Büro an der Storkower Straße sind bei Chapatis Partnerunternehmen in Indien weitere 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest angestellt. Seit 18 Jahren produziert Saran Export India exklusiv für das Berliner Unternehmen Jacken, Mäntel, Hosen, Röcke und Kleider. „Unser Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen in unserer Produktionsstätte in Indien so weit wie möglich denen der Europäischen Union anzugleichen", heißt es in der Unternehmensbroschüre. Unter anderem wird Kinderarbeit ausgeschlossen, auf faire Löhne geachtet und ein dreizehntes Monatsgehalt gezahlt. „Social Compliance ist uns sehr wichtig", sagt der Geschäftsmann. „Wenn ich in der Produktionsstätte in Indien bin, nennen mich dort alle Mister Chapati, Chapati ist das indische Wort für Brot, und für sie bin ich ihr Brotgeber."
Die Covid-19-Krise habe ihn anfangs schlaflose Nächte gekostet. „Doch wir haben alle Register gezogen", sagt der Geschäftsmann. Das Unternehmen sei während dieser Zeit digitaler geworden. Im November vergangenen Jahres sei der Webshop ausgebaut worden. „Corona hat uns dazu gezwungen", sagt er. „Aus den Steinen, die einen in den Weg gelegt werden, muss man Kathedralen bauen."
Anfang März, nach dem zweiten Lockdown, haben die Shops von Chapati wieder geöffnet. Während dieser etwa dreiwöchigen Periode konnten Interessierte nach dem Click-and-Meet-Prinzip in der Zentrale von Chapati an der Storkower Straße anrufen und einen Termin vereinbaren. Möglich war auch die Terminbuchung im Internet, etwa vom heimischen Computer aus. Die dritte Option war die Nutzung eines der Quick-Response-Codes (QR), die sich im Eingangsbereich der Chapati-Shops befinden. Gescannt wird der Code mit dem eigenen Smartphone. Man landet direkt auf der Firmen-Webseite und kann so nach einem freien Zeitfenster zum Shoppen Ausschau halten. „Durch das Click-and-Meet-Prinzip hatten wir täglich durchschnittlich 15 Termine in allen fünf Läden", sagt Hamid Mohammadi. Die Kundinnen hatten eine halbe bis dreiviertel Stunde Zeit, sich im Laden umzugucken, Kleidungsstücke anzuprobieren und gegebenenfalls zu kaufen.
In Vor-Corona-Zeiten war die Kundenfrequenz nach Angaben des Wahlberliners noch eine ganz andere: Im Schnitt besuchten damals mehr als 130 Kunden täglich fünf Filialen. Das waren achtmal mehr als heute. Die Einbußen machten sich bei Chapati auch finanziell bemerkbar. Im Jahr 2020 hatte das Berliner Modeunternehmen nach eigenen Angaben im Vergleich zum Vorjahr einen Umsatzverlust von 1,4 Millionen Euro, was einem Einbruch von 40 Prozent entspricht.
Die Firma Chapati steht mit ihren Umsatzeinbrüchen nicht allein da. Denn die Covid-19-Pandemie hat fast alle Bereiche der mittelständischen Wirtschaft bis ins Mark getroffen. Viele haben der Krise trotz der Insolvenzaussetzung und der Staatshilfen nicht standhalten können: Laut IW-Angaben sind im vergangenen Jahr rund 16.300 Unternehmen pleitegegangen. Weitere 5.000, sogenannte Zombie-Unternehmen, kommen hinzu, weil es für sie trotz der Hilfen kaum eine Perspektive mehr gibt. „Die Corona-Krise war und ist ein Schock für die deutsche Wirtschaft, der seinesgleichen sucht", sagt IW-Direktor Michael Hüther. „Die Hilfspakete der Bundesregierung und das Kurzarbeitergeld konnten zwar schlimmere Folgen abwenden. Allerdings haben die Auszahlungen der Hilfen lange, teilweise zu lange, auf sich warten lassen."
„Wir sind gut aufgestellt mit dem Onlineversand durch unseren Webshop, und es gibt eine große Nachfrage der Kunden für Eco-und-Fair-Mode", hofft Hamid Mohammadi. „Und wenn es uns doch trifft, dann werden viele es nicht schaffen, und das bedeutet den Zusammenbruch des ganzen Mittelstandes beziehungsweise des Einzelhandels." Hoffentlich sei das auch der Politik bewusst.
Überbrückungshilfen nicht angekommen
Hamid Mohammadi wartet auf eine der versprochenen Corona-Hilfen immer noch. „Bisher haben wir von der versprochenen Überbrückungshilfe III nur die Hälfte bekommen", sagt er. Er habe Schulden aufnehmen müssen, und sein Dispositionskredit befinde sich auf Kante. „Wir produzieren immer ein Jahr im Voraus", erläutert er. Das investierte Geld sei in die Gehälter seiner Belegschaft in Deutschland sowie an die Mitarbeiter der indischen Produktionsstätte geflossen. „Die Händler haben letztes Jahr bei uns bestellt, und so haben wir die neue Kollektion produziert und für 300.000 Euro vorfinanziert." Der Firmenchef rechnete noch 2020 fest damit, dass der Einzelhandel spätestens im April 2021 wieder öffnen dürfe.
Doch das war eine Illusion bei den steigenden Fallzahlen. „Ich weiß nicht, ob wir noch einen Lockdown wirtschaftlich überleben werden." Die Verunsicherung des Modemachers ist groß. „Von der Politik erwartet man keine Planbarkeit, aber doch, dass sie über den Tellerrand hinausblicken kann", kritisiert er. Die Politiker hätten den Bezug zur Realität verloren. Lockern und unter strengen Auflagen ein bisschen verkaufen, geht eben nicht.
Wie es für Chapati und viele andere kleine und mittelständische Unternehmen weitergeht, steht in den Sternen. Im Laden sind jetzt keine Terminvereinbarungen mehr möglich. Dafür wurde am 27. März vom Regierenden Bürgermeister verkündet, dass die Geschäfte von den Kunden einen aktuellen Schnelltest mit Negativergebnis vor ihrem Einkauf verlangen müssen, tagesaktuell. Zudem muss jeder eine FFP2-Maske tragen und den Abstandsregeln folgen. Ein medizinischer Mundnasenschutz in Form einer OP-Maske reicht nicht mehr aus. Dazu kommt, dass der Senat für den Einzelhandel mit Ausnahme der Supermärkte verbindlich vorschreibt, dass digitale Möglichkeiten zur Anwesenheitsdokumentation genutzt werden müssen, zum Beispiel die Luca-App.
Anfangs versuchte Hamid Mohammadi noch, Kunden über das Internet zu gewinnen. Eine Woche lang, doch niemand kam. „Wir haben alles versucht", sagt er. Das mit den Tests war vielen offenbar zu aufwendig: Erst im Testzentrum anstehen, dann noch im Laden, wenn er zu voll ist, nein danke. Jetzt sind seine Läden wieder geschlossen. Die „Lockerung" hat nichts gebracht.