Israel attackiert mit verdeckten Operationen iranische Atomanlagen
Der seit Jahren andauernde Schattenkrieg zwischen Israel und dem Iran ist um ein Kapitel reicher. Am vergangenen Sonntag sorgte eine Explosion in der iranischen Atomanlage Natans für einen Zusammenbruch des gesamten Stromnetzes. Kurz zuvor waren 200 moderne Zentrifugen zur Anreicherung von Uran in Betrieb genommen worden. Schwach angereichert ist das Metall ein wichtiger Stoff für die medizinische Forschung und die Erzeugung von Kernenergie. Die Regierung in Teheran behauptet, dass es ihr bei ihrem Nuklear-programm nur darum gehe. Israel erhebt hingegen den Vorwurf, dass das Mullahegime an der Herstellung von hochangereichertem Uran arbeite, womit auch Atombomben produziert werden können.
Die „New York Times" stufte die Attacke auf die Nuklearfabrik in Natans als israelische Spionageoperation ein. Sie beruft sich dabei auf hochrangige amerikanische und israelische Nachrichtendienstler. Israelische Medien sehen den Auslandsgeheimdienst Mossad ebenfalls als Drahtzieher der Natans-Aktion.
Nach Einschätzung der „New York Times" hat der Angriff die Position des Irans bei den neuen Atomgesprächen in Wien erheblich geschwächt. Der Grund: Teheran soll die neuen Zentrifugen zur Urananreicherung als Druckmittel eingesetzt haben, um die Amerikaner an den Verhandlungstisch zu zwingen und die Sanktionen aufzuheben. Präsident Joe Biden hatte seine Bereitschaft erkennen lassen, den von seinem Vorgänger Donald Trump 2018 eingeleiteten Ausstieg aus dem internationalen Nuklearabkommen rückgängig zu machen. Vorausgesetzt, der Iran – der mittlerweile mehr Uran anreichert als ursprünglich erlaubt – erfüllt ebenfalls alle Bedingungen der Vereinbarung.
Genau das will Israel verhindern. Jede Annäherung zwischen Washington und Teheran lässt in Jerusalem die Alarmglocken schrillen. Die israelische Regierung hat ein strategisches und ein taktisches Ziel. Das strategische Kalkül: Die Mullahs, die immer wieder mit der „Auslöschung des zionistischen Regimes" gedroht haben, dürfen nie über Atomwaffen verfügen. Die taktische Überlegung: Teheran soll durch verdeckte Operationen zu scharfen Gegenreaktionen verleitet werden, um der Welt zu beweisen, dass der Iran tatsächlich ein unberechenbarer Unruhefaktor ist.
Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif witterte die Gefahren dieses Szenarios. Teheran werde nicht zulassen, dass der Angriff auf Natans die Wiener Gespräche beeinträchtige. Sein Land müsse es vermeiden, „in die von Israel gestellte Falle zu tappen", sagte Sarif. Andere drohten hingegen Israel mit „Vergeltung" – „wo und wann Teheran möchte".
Israel verfolgt eine Politik der Nadelstiche und kalkulierten Provokationen. Im November 2020 wurde der Gründer des iranischen Nuklearprogramms, Mohsen Fachrisadeh, in der Nähe von Teheran getötet. Er war auch General der Revolutionswächter, der Prätorianergarde der herrschenden Ajatollahs. Der Mossad hatte den Mann mit dem grauen Vollbart seit Jahren im Visier. Premierminister Benjamin Netanjahu hatte bereits 2018 in einer weltweit beachteten Pressekonferenz betont: „Merken Sie sich diesen Namen."
Im vergangenen Sommer wurde der Iran von seltsamen Explosionen und Bränden erschüttert. Am
26. Juni gab es eine heftige Druckwelle bei Teheran. Satellitenaufnahmen zeigten, dass die Raketenproduktionsstätte Khojir betroffen war. Am 2. Juli brach ein riesiges Feuer in der Atomanlage in Natans aus. Der Brand habe „beachtliche Schäden" angerichtet, hieß es aus dem Iran, und das Atomprogramm zurückgeworfen. Die „New York Times" zitierte einen „Geheimdienstbeamten aus dem Nahen Osten" mit der Erklärung, Israel habe eine Bombe in Natans gezündet.
Doch auch der Iran spielt seine militärischen Optionen aus. Er rüstet schiitische Milizen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen mit GPS-gesteuerten Raketen auf – Israel fühlt sich eingekreist und bedroht. Beide Länder beschuldigten sich gegenseitig mehrerer Schiffsangriffe.
Die derzeit in Wien stattfindenden Gespräche über die Rückkehr zum Atomabkommen sind ein letzter Hoffnungsschimmer. Führen sie nicht zu einem Durchbruch, besteht die Gefahr, dass bei den iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni ein Hardliner ins Amt kommt. Dann bleibt es möglicherweise nicht nur beim Schattenkrieg am Persischen Golf.