In den 1980er-Jahren machte man sich in beiden Teilen Berlins Gedanken darüber, wie man die Sanierung alter Bauten mit dem Bau neuer Wohnquartiere harmonisch verbinden könnte. Darum geht es in der Ausstellung „Anything Goes?" in der Berlinischen Galerie.
Nicht alles war machbar oder erwünscht. Und so steht aus gutem Grund ein Fragezeichen hinter dem Titel der Schau in der Berlinischen Galerie. Eine Ausstellung, die erstmalig untersucht, was und wer die für Ost- und Westberlin im letzten Jahrzehnt vor dem Mauerfall entwickelten Bauten und Visionen prägte. Zahlreiche Bilder und Modelle sind zu sehen. Manches davon ließ sich verwirklichen, anderes nur in abgewandelter Form oder gar nicht. Insgesamt handelt es sich um die Berliner Architekturhandschriften der 1980er-Jahre, die das Etikett Postmoderne verdienen.
Zwei Internationale Bauausstellungen (kurz IBA) stellten zumindest indirekt die Frage, was war und was soll nun folgen, präsentierten aber auch das bisher Geleistete. 1987 nahm Ostberlin, das sich zehn Jahre zuvor zur „Hauptstadt der DDR" ernannt hatte, den 750. Geburtstag Berlins zum Anlass einer rund dreimonatigen Bauausstellung.
Westberlin hingegen streckte seine IBA 1984/1987 auf drei Jahre, hatten sich doch zwei Fraktionen gebildet. Der einen ging es um eine „kritische Rekonstruktion", also um Neubau mit Rücksicht auf das vorhandene Umfeld. Die andere Fraktion setzte stattdessen konsequent auf Sanierung und Umnutzung erhaltener Gebäude. Architektur für die Menschen wurde in den 1980er Jahren jedoch diesseits und jenseits der Mauer zum Thema.
Viele Prestigeobjekte
In Ost-Berlin allerdings hatte der 750. Geburtstag der Stadt einen höheren Stellenwert als die Bauausstellung selbst und wurde aufwendigst gefeiert. Dazu gehörten auch umfangreiche Wiederaufbau-Aktivitäten. Der fast komplett zerstörte Gendarmenmarkt mit dem Konzerthaus –
damals Platz der Akademie mit dem Schinkelschen Schauspielhaus – wurde inklusive der beiden Dome wieder errichtet. Heute gilt er als einer der schönsten Plätze Deutschlands und steht seit Februar 2021 unter Denkmalschutz. Auch das Nikolaiviertel, Berlins ältestes Siedlungsgebiet und im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört, wurde pünktlich zum Stadtjubiläum wiederaufgebaut – unter Leitung des Architekten Günter Stahn. Rund um die rekonstruierte Nikolaikirche entstand ein Ensemble aus nachgebauten historischen Bürgerhäusern und dem Stil angepassten Plattenbauten. Ein Viertel, das in „Nicht-Corona-Zeiten" mit seinen Lädchen, Cafés und Restaurants Besucher aus aller Welt anzieht.
Ein Magnet anderer Art war und ist der Friedrichstadtpalast, erbaut 1984, den die Berlinische Galerie als Hingucker auf ihrer Homepage benutzt. Angeblich hatte die DDR Fachleute heimlich nach Paris geschickt, um zu erfahren, wie ein solches Revuetheater innen aussehen sollte. Hauptarchitekt Manfred Prasser hätte jedoch nach eigenen Worten niemals einen „schäbigen Amüsiertempel" entworfen. Nach Abriss und Wiederaufbau steht der Friedrichstadtpalast seit 2020 unter Denkmalschutz und ist dank seiner aufwendig inszenierten Shows meist ausverkauft.
Riesige Rekonstruktionsprojekte wie im Ostteil der Stadt gab es im weniger zerstörten Westberlin nicht zum Stadt-Jubiläum. Immerhin konnte der bereits von Hans Scharoun zusammen mit der Philharmonie geplante Kammermusiksaal pünktlich zur 750-Jahr-Feier eröffnet werden. Außerdem wurden der Martin-Gropius-Bau, der Hamburger Bahnhof und die Kongresshalle renoviert.
Gleichzeitig machte man sich in beiden Teilen der Stadt Gedanken über das zukünftige Bauen, da viele Bewohner der Neubauviertel in den Ostberliner Stadtteilen Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen sowie im Westberliner Märkischen Viertel und der Gropiusstadt unter der Anonymität litten, und zurück in die Innenstadt wollten.
Eine Architektur für die Menschen war vonnöten, und es bildeten sich zwei Fraktionen. Die eine unter der Führung von Josef Paul Kleihues wollte mit Rücksicht auf das vorhandene Umfeld neu bauen. An Stelle der sogenannten „Flächensanierung", die den Abriss von Altbauten und Wohnungsneubau am Stadtrand zum Ziel hatte. Zukünftig sollten Neubauten mit Bedacht in den Altbaubestand eingefügt werden.
Farbenfrohe Fassaden
Eine andere Herangehensweise wählte eine Gruppe von Architekten rund um Hardt-Waltherr Hämer – ihnen ging es um die behutsame Stadterneuerung, also um die Sanierung von Altbaugebieten mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Solche Projekte konnten im südlichen Tiergartenviertel, am Tegeler See (nun auch unter Denkmalschutz) und in Kreuzberg realisiert werden. Mit diesen beiden Varianten schuf die Westberliner Internationale Bauausstellung auch Leitbilder für ähnliche Projekte in anderen europäischen Städten.
Darüber hinaus entstanden Energiesparhäuser, aber auch „Wohnregale", preiswert errichtete, oft fröhlich wirkende Häuser, bei denen die späteren Mieter beim Bauen mithalfen und ihre Wohnräume selbst gestalten konnten. Insgesamt gehören die Bauten der 1980er-Jahre zur Postmoderne. Altes und Neues wurde nun fantasievoll und oft farbenfroh kombiniert so wie beim Philosophischem Institut der Freien Universität Berlin im Ortsteil Dahlem – ein Entwurf des Architektenpaares Baller – oder bei Bauten am Winterfeldplatz in Berlin-Schöneberg, die durch raffinierte Fassaden und Balkons auffallen.
In Corona-Zeiten ändern sich die Öffnungsmodalitäten ständig und momentan kann man (so bei Redaktionsschluss) die Ausstellung doch nicht besuchen. Warum also nicht einfach erst einmal draußen rund ums Museum einen Spaziergang vorbei an sehenswerten Beispielen der Architektur-Postmoderne machen? Denn wie betont es Ausstellungskuratorin Ursula Müller? „Die Berlinische Galerie liegt inmitten der 1980er-Jahre Architektur." Gemeint sind damit zunächst die bunt anmutenden Wohnhäuser in der Ritterstraße, sie wurden vom luxemburgischen Architekten Rob Krier entworfen – eine ganze Wohnanlage mit 35 Häusern und über 300 Wohnungen. Eines der umfänglichsten Projekte der Westberliner IBA. Zu ihren „Markenzeichen" gehören auch mehrere Torhäuser, vorne alte Backsteinbauten und dahinter die vom Lärm geschützten Wohnkomplexe. Auch das war Kriers Idee, die mehrere Architektenteams entsprechend umsetzten. Beim Eckbau Alte Jakobstraße 129-133 mit seinen roten und weißen Fassaden taten es Dieter Frowein und Gerhard Spangenberg.
Da auch das 1989 begonnene Jüdische Museum von Daniel Libeskind in der nahen Lindenstraße in die Ausstellung integriert wurde, eignet sich dieses als nächstes Ziel. Die Frühjahrssonne taucht den spektakulären zickzackförmigen Hauptbau mit den schiefen, sich kreuzenden Achsen am Nachmittag in ein flirrendes Licht. Irreal wirkt dann nach einem Regenschauer das Haus am Checkpoint Charlie des US-Architekten Peter Eisenman. Das beherbergt nun das Mauer-Museum, die Mauer selbst existiert nicht mehr. Die Bauten der Postmoderne in den 1980er-Jahren haben sie überdauert.