Die deutsche Nationalmannschaft ist trotz guten Starts mit einem schlechten Gefühl aus der Qualifikation für die WM herausgekommen. Die Niederlage gegen Nordmazedonien legte nun die bekannten Probleme erneut offen. Bis zur EM sollte einiges passieren.
In der deutschen Nationalmannschaft gelten Joshua Kimmich und Leon Goretzka als junge Leader, die für eine bessere Zukunft stehen. Zum einen durch ihre Leistungen auf dem Platz, zum Aaaltung daneben. Als die Niederlage gegen Nordmazedonien besiegelt war, verschwanden die beiden deutschen Vorzeigefiguren als Erste vom Platz in die Kabine. Auf dem Rasen feierten die Außenseiter ihren Sieg, vor dem Stadion wurden von in Deutschland heimischen Nordmazedoniern Hupkonzerte und eine Parkplatzparty veranstaltet.
In der Pressekonferenz nach dem Spiel richtete Joachim Löw dann einen flammenden Appell an Fußball-Deutschland: „Auf keinen Fall dürfen wir jetzt völlig den Glauben verlieren an die Stärke, die die Mannschaft hat. Auf keinen Fall dürfen wir auch das Gefühl verlieren, dass wir in der Lage sind, ein sehr gutes Turnier zu spielen. Das habe ich eben auch den Spielern gesagt." Dass diese Worte notwendig waren, lag vor allem am Schlendrian und der immer vorhandenen Schwerfälligkeit der Löw-Elf. Denn die Niederlage gegen die Nordmazedonier war die erste für Löw in einer WM-Qualifikation. Als einziger Makel standen da bisher nur zwei Unentschieden gegen Finnland sowie ein Unentschieden gegen die Schweden. Wenn im Sommer Schluss für Löw ist, übergibt er an seinen noch nicht bekannten Nachfolger sicherlich keinen hoffnungslosen Fall, dennoch sollte die Qualifikation zur WM 2022 nicht unbedingt durch weitere Ausrutscher torpediert werden. Denn sollte am Ende nur ein zweiter Platz in einer durchaus machbaren Gruppe herauskommen, könnte der Weg durchaus steinig werden. Genau ein solches Szenario kann der krisengeschüttelte Deutsche Fußball-Bund überhaupt nicht gebrauchen.
Dauer-Debatte um Müller und Hummels
Löws Problem ist diese Weltmeisterschaft in einem Jahr nicht mehr, sein Fokus liegt auf der im Sommer stattfindenden Europameisterschaft, für die er selbst noch genug Probleme zu beseitigen hat. Denn allein die Kaderzusammenstellung für das anstehende Turnier birgt einen gewissen Unruhefaktor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Dachorganisation Uefa aufgrund der Corona-Pandemie ein XXL-Aufgebot von mehr als 25 Spielern erlaubt. Entschieden wird das Ende April. Deshalb gibt es für Löw die Kardinalsfrage zu klären: Können die aussortierten Weltmeister Mats Hummels und Thomas Müller für mehr Stabilität in der Abwehr und für mehr Klarheit im Angriff sorgen? Obwohl der Druck von außen enorm wächst, bleibt Löw bei der allseits bekannten Rhetorik: „Wir haben gesagt, dass die Entscheidung insgesamt dann im Mai fällt." Und das, obwohl der Druck seit dem 0:6-Debakel gegen Spanien durchaus groß geworden ist. „Wir werden uns die nächsten Tage, die nächsten Wochen intensiv Gedanken machen, werden alles noch mal überprüfen und dann Entscheidungen treffen", kündigte der 61-Jährige an. Nicht wenige Experten sahen in Löws Gesicht dabei eine gewisse Ratlosigkeit.
Mittlerweile hat sich gezeigt, dass ohne die aussortierten Weltmeister eine gewisse feste Struktur fehlt. Denn sobald Löw kleinste Korrekturen vornimmt und wie gegen Nordmazedonien Robin Gosens auf links und Matthias Ginter auf rechts stellt, scheint das ganze Gebilde enorm wacklig. Selbst Ilkay Gündogan, der in den vergangenen Wochen in der Form seines Lebens war und für Manchester City zum wichtigsten Spieler wurde, scheint im DFB-Dress auch nicht wirklich aus sich herauszukommen. Insgeheim wird Löw sich erhofft haben, dass drei souveräne Siege in der Qualifikation – gegen sicherlich mehr als schlagbare Gegner – wieder eine gemeinsame Linie und vor allem Vertrauen herstellen, das die Namen Hummels und Müller vergessen lässt. Doch diese Hoffnungen waren relativ schnell ad acta gelegt. Der Bundestrainer befindet sich auch jetzt wieder im absoluten Krisenmodus. „Das war ein richtiger Rückschlag", gestand Löw ein, der sich von der Verantwortung fürs erneute Versagen nicht freisprechen konnte. Die Auftritte gegen Island und Rumänien wurden zum einen von den Verantwortlichen ein wenig schön geredet, zum anderen war die fehlende Frische einiger nicht performender Leistungsträger selbst verschuldet: Neun der zehn Feldspieler standen in drei Partien in sieben Tagen auf dem Platz, hinzu kommt noch die geraubte Nacht nach der Rückreise aus Budapest. Gegen die Rumänen wechselte Löw nur einmal – in der Nachspielzeit. Diese fehlende Frische fiel der Mannschaft gegen Nordmazedonien bei den Gegentoren auf die Füße, wo sie fast schon teilnahmslos wirkten. In der Ursachenforschung muss auch die teilweise fahrlässige Chancenverwertung angesprochen werden. Diese gipfelte in der ausgelassenen Torchance von Timo Werner. Löw verortete hier „ein bisschen einen Knacks" für seine Mannschaft; der Stürmer des FC Chelsea würde sich „selbst die größten Vorwürfe" machen. Ansonsten empfahl er, sich bloß nicht „irgendwelche Alibis zu suchen", sondern sich Gedanken zu machen, „was können wir verbessern?" Seine Prognose im Hinblick auf die für den 25. Mai im österreichischen Seefeld beginnende EM-Vorbereitung wirkte gleichwohl ausgesprochen optimistisch: „Wenn wir etwas Zeit haben, dann werden wir da schon auch Konstanz reinbringen." Gelingt das nicht, könnte die EM nach den beiden Spielen gegen Frankreich und Portugal schon gelaufen sein.
Die Frage ist, wie diese angesprochene Konstanz aussehen soll. Eher Ballbesitzfußball oder doch Umschaltspiel? Dreier-, Vierer- oder Fünferkette? Wie geht der Bundestrainer mit dem Überangebot im Zentrum um? Wie mit der fehlenden Breite in der Spitze oder auf anderen Positionen? Wenigstens hat Löw die vergangenen drei Spiele genutzt, um ein wenig Konstanz reinzubringen, es hat ein Umdenken stattgefunden. Löw sieht sich nicht mehr als Ausbilder, sondern will einfach nur noch das beste Ergebnis bei der kommenden EM einfahren. Doch welche Schlüsse werden aus diesen drei mageren Auftritten gezogen?
Probleme hinten wie vorne
Im Tor wird Löw keine Probleme haben. Deutschland war schon immer ein Land für Torhüter, selbst Bernd Leno, der zwischen Position drei und vier schwankt, wäre in fast jedem anderen Land die Nummer eins. Die Diskussion um Manuel Neuer oder Marc-André Ter-Stegen ist in der Öffentlichkeit abgeflacht, da andere Personalien weitaus dringender diskutiert werden. In der Abwehr fehlt es beispielsweise immer noch an Erfahrung. Antonio Rüdiger zeigte sich im Nationaldress stark verbessert, neben ihm wirkten Matthias Ginter oder Emre Can teilweise zu wild und unbeständig. Niklas Süle wird im Zentrum mit großen Hoffnungen zurückerwartet, außerdem geistert der Name Mats Hummels weiterhin durch die Zeitungen. Eigentlich kommt der Bundestrainer nicht mehr darum herum, über den wiedererstarkten Dortmunder nachzudenken. Auf den defensiven Außenbahnen sieht es dagegen noch bescheidener aus. Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg haben sicherlich die Qualität, diese Probleme zu beheben, zeigten es im DFB-Dress bisher aber nicht. Emre Can wird sein EM-Ticket allein aufgrund seiner Vielseitigkeit im Defensiv-Verbund sicher haben. Robin Gosens hat auch gute Karten, sollte er bei der Nationalmannschaft an seine Leistungen im Dress von Atalanta Bergamo anknüpfen können. Auf der rechten Seite ist sicherlich auch Riedle Baku in der Verlosung. Im zentralen Mittelfeld hat Jogi Löw dagegen eher ein Überangebot. Kimmich, Goretzka, Altmeister Toni Kroos, Gündogan, auch Kai Havertz oder auch der zuletzt nicht berücksichtigte Marco Reus. Doch je besser es sich im zentralen Mittelfeld darstellt, desto schlechter ist es in der vordersten Linie. Eine klare Nummer Neun zeichnet sich auch in den nächsten Monaten nicht ab, sehr wahrscheinlich wird es auf eine „falsche" Neun herauslaufen, wobei Timo Werner einem klassischen Stürmer noch am nächsten kommt. Löw sieht ihn aber eher auf der Außenbahn, ebenso Leroy Sané. Im Zentrum spielte dann immer Serge Gnabry. Gerade hinter dieser jungen Dreierreihe könnte Thomas Müller seine wiedergewonnene Torgefährlichkeit und Vorlagenqualität zur Genüge ausleben. Warum der Bundestrainer da noch überlegen muss, verstehen die wenigsten Experten.