Während in der Union der Machtkampf tobt wie noch nie zwischen den Schwesterparteien, geht es bei den Grünen seit drei Jahren friedlich und gediegen zu. Selbst die Partei-Jugend muss zum Jagen getragen werden, damit ihr nicht mitten im Wahlkampf zu langweilig wird.
Die beiden Jungstars im grünen Bundesvorstand, Jamila Schäfer und die ehemalige Vorsitzende der Grünen Jugend, Ricarda Lang, trauten Anfang April in der Montagsrunde ihren Ohren nicht. Die gerade jetzt frisch gekürte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock forderte die beiden auf, dafür zu sorgen, dass sich zumindest der Nachwuchs mit dem im Wahlprogramm skizzierten Klimazielen nicht zufrieden geben soll. Schäfer und Lang gehörten und gehören bis heute nicht gerade zum grünen Revolution-Kommando, aber wenn die Vorsitzende und jetzt auch Kanzlerkandidatin einen kleinen parteiinternen Protest bestellt, soll sie ihn bekommen.
Kandidatin der Doppelspitze
Einige Tage später gab es eine Pressemitteilung der Grünen Jugend, in der weitaus schärfere Klimaziele gefordert wurden als im Wahlprogramm formuliert. Klima-Aufstand sieht anders aus, aber mehr Protest ist derzeit offenbar selbst der Grünen Jugend um Fridays for Future-Star Luisa Neubauer nicht mehr zu entlocken. Dass die Öko-Nachwuchsorganisation ein eher total verschlafender Haufen ist, der auf Bundesparteitagen gern Billigpizza vom Bestellservice nascht, hat FORUM bereits vor drei Jahren vom Baerbock/Habeck-Wahlkonvent in Hannover zu berichten gewusst. Auf diesem Parteitag mit der Wahl der beiden zur Doppelspitze Ende Januar 2018 setzte dann auch die allgemeine Verschlafenheit der ganzen Partei ein. Selbst von den üblichen Verdächtigen vom Rest des linken Flügels der Bündnisgrünen ist seitdem innerparteilich nicht mehr viel bis noch weniger zu hören. Die Betroffenheitssirene Claudia Roth hat sich offenbar der verbalen Selbstkasteiung verschrieben. Das selbsternannte linke Gewissen, die Nachfolgerin von Christian Ströbele als Direktkandidatin im Bundestagswahlkreis Kreuzberg/Friedrichhain, Canan Bayram, ist die wohl größte Enttäuschung für die noch verbliebenen letzten Ökofundamentalisten. Anstelle parteiintern gegen den explodierenden bürgerlichen Mainstream der Partei auf die Barrikaden zu gehen, macht die 55-jährige zweifache Eigentumswohnungsbesitzerin in ihrem Wahlkreis mit Aktivitäten in militant-besetzten Häusern Schlagzeilen.
Damit herrscht seit über drei Jahren eine bislang ungekannte Ruhe in der Bundestagsfraktion und der gesamten Partei. Als sich nach dem virtuellen Bundesparteitag im November Basismitglieder über den ausgemachten „Personenkult um Annalena und Robert" beschwerten, gab es einen internen Rüffel von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Kritik ja, aber nicht so plump und bitte nicht persönlich werden. Die Doppelspitze genießt Autorität, um die sie derzeit vor allem die CDU, aber auch die SPD mehr als beneiden. Selbst der grünen Spitze wird ihr eigener ultimativer Parteidurchgriff anscheinend etwas unheimlich, darum der anfangs erwähnte Aufruf an die Parteijugend, doch mal ein bisschen mehr zu fordern als im Wahlprogramm steht.
Warum die rebellische Partei nach beinahe 40 Jahren plötzlich zu einem Hort der politischen Gediegenheit geworden ist, können selbst die führenden Parteienforscher nicht schlüssig erklären. Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke haben nach der deutschen Wiedervereinigung parteiintern den gleichen steinigen Weg des politischen Zusammenraufens hinter sich. Doch die Linke steckt immer noch mitten in der Selbstfindung, obwohl es genügend soziale Verwerfungen und damit Themen in diesem Land gibt. Die Mitgliederzahlen sind weiter rückläufig. Umgekehrt bei den Grünen. Fridays For Future hat sicherlich für Aufwind gesorgt, allerdings haben sich die FFF-Aktivisten klar von den Grünen als „zu lahm und rückständig in Umweltfragen" distanziert. Eine Erklärung für den Höhenflug und die neue Friedfertigkeit innerhalb der Partei ist ganz sicherlich der Erfolg von Annalena Baerbock und Robert Habeck. Führende Fußballtrainer bestätigen, Erfolg diszipliniert und macht folgsam. Vor allem jetzt bei Bündnis 90 / Den Grünen, denn es geht um etwas. Sicherlich auch um das Kanzleramt, auch da könnten nach dem 26. September viele Posten mit Grünen neu besetzt werden. Doch dann müssen ja auch ganze Ministerien mit allem Zipp und Zapp personell neu aufgestellt werden.
Wer da in den letzten Monaten intern aus der Reihe getanzt ist, eventuell mit Intrigen gegen Baerbock oder Habeck geglänzt hat, braucht sich als Staatssekretär, Abteilungsleiter, für die Stabs- oder Pressestelle gar nicht erst zu bewerben. Das ist der Kitt, der Parteien mit der sicheren Aussicht auf Regierungsverantwortung ohne viel Macht-Tam-Tam vor einer Wahl zusammenhält. Was derzeit bei der CDU überhaupt nicht mehr funktioniert, obwohl die Christdemokraten noch bei den Umfragen haarscharf vor den Grünen liegen.
Viele mit Ambitionen bei Wahlerfolg
Dieser parteiinterne grüne Frieden wird erwartbar und ganz automatisch nach der Bundestagswahl Risse bekommen, spätestens wenn die neue Regierung gebildet worden ist und die tatsächliche Regierungsarbeit beginnt. Egal ob mit Baerbock als Kanzlerin, oder doch „nur" als Bundesministerin und Vizekanzlerin. Denn bei der Postenverteilung werden nicht alle das bekommen, was sie sich vorgestellt haben. Nicht wenige werden sogar leer ausgehen und die vielzitierten „wichtigen Aufgaben in der Bundestagsfraktion" übernehmen müssen, wie es dann immer so schön heißt. Der schwierige Auftrag Postenvergabe fängt in der Parteispitze schon an. Baerbock ist gesetzt als Regierungschefin oder Vize mit Ministerialbereich. Ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck führt bereits jetzt die Partei federführend, denn dazu wird Baerbock in den nächsten Monaten nicht mehr kommen. Nach einer erfolgreichen Bundestagswahl wird das Habeck dann aber zu wenig sein. Schon von seinem Selbstverständnis her wird er auf das Umweltministerium pochen. Immerhin hat er in Schleswig-Holstein das Umwelt- gekoppelt mit dem Landwirtschaftsministerium geführt. „Zwei Ministerien die überhaupt nicht zusammengehen", wie Habeck gegenüber FORUM damals ausführte. Diese ministeriale Quadratur des politischen Kreises will er vermutlich auch mal auf Bundesebene ausprobieren. Doch auch der derzeitige Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, wird den Anspruch auf das Landwirtschaftsministerium erheben, wenn sich die Frage dann nach dem 26. September ergibt, was sehr wahrscheinlich ist. Habeck gilt als bürgerlich, Hofreiter als links. Das ist eine der Proporzhürden bei der sehr wahrscheinlichen Bündnis-Grünen-Postenvergabe nach der Bundestagswahl. Dazu kommt die paritätische Besetzung Mann/Frau und Divers, auch das muss beachtet werden. Da wird es schon eng, nicht alle können bedacht werden und das wird dann garantiert für erneuten grünen Zwist sorgen. Aber eben erst nach der Bundestagswahl und nicht, wie in der Union, davor. Damit gilt für die Grünen im Bundestagswahlkampf: gut von der „alten" CDU abgeguckt und dann auch noch alles richtig gemacht. Allerdings gibt es ein nicht kalkulierbares Damoklesschwert bei den Bündnis-Grünen. In den letzten 16 Jahren waren sie schon oft in den Umfragen ganz weit vorne und die Regierungsverantwortung zum Greifen nahe. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren wurden sie bereits mit 16 bis 18 Prozent gehandelt. Schwarz-Grün galt als sichere Option. Rausgekommen ist damals für die Grünen gerade mal die Hälfte, 8,9 Prozent. Der „Veggieday" wirkte offenbar nach. Doch vielleicht beherzigen sie diesmal den Leitsatz von Altkanzler Helmuth Kohl: „Ich will keine Umfragen gewinnen, ich will Wahlen gewinnen."