Bislang ging man davon aus, dass sich unser Sonnensystem über einen Zeitraum von bis zu zwei Millionen Jahre gebildet hat. Neueste Forschungen deuten darauf hin, dass es wohl deutlich schneller ging – nämlich nicht einmal 200.000 Jahre.
Bereits 1755 hatte Immanuel Kant Grundlegendes erkannt und dies auch beschrieben. In seinem kosmogonischen Werk „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels" konnte er dennoch keinen nur annähernd wissenschaftlich exakten Zeitrahmen für die Entstehung unseres Sonnensystems berechnen. Das gelang erst 2010 den beiden Wissenschaftlerinnen Audrey Bouvier und Meenakshi Wadhwa für die Arizona State University – durch einen in der marokkanischen Wüste gefundenen Meteoriten, den sie mittels Uran-Blei-Methode untersuchten. Doch bereits Kant hatte etwas verstanden und es in einer Hypothese formuliert: nämlich dass sich die größeren Körper unseres Sonnensystems aus einer im Kosmos rotierenden Wolke aus Staub und Gas gebildet hatten.
Der Forschung zufolge hat sich im All vor rund 4,56 Milliarden Jahren dieses Szenario abgespielt: Wo heute unser Sonnensystem zu finden ist, bewegten sich ausgedehnte, hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium bestehende Molekülwolken durch den Weltraum. In denen waren zusätzlich noch mikrometergroße Staubpartikel aus schwereren Elementen und Kohlenstoffverbindungen enthalten. Vieles spricht dafür, dass etwas diese Wolken zusammengestaucht hat: die Schockwelle einer nicht allzu fernen Supernova, also die gigantische Explosion eines massereichen Sterns, der um ein Vielfaches schwerer als unsere heutige Sonne war. Die Wolken brachen daraufhin in kleinere Strukturen auseinander. Ihre massiven Teilfragmente kollabierten unter der extremen Wirkung ihrer eigenen Schwerkraft, sprich sie hatten sich immer weiter verdichtet.
Als würde eine Geburt zwölf Stunden dauern
Bei diesem Prozess nahm nicht nur die Dichte enorm zu, sondern es wurde auch die Gravitationsenergie in extreme Wärme umgewandelt. Eine der dabei entstandenen stabilen Gaskugeln war die Urform unserer heutigen Sonne. Im Inneren des Gaskörpers stiegen Druck und Temperaturen so weit an, bis der Wasserstoff schließlich mit schweren Elementen fusionierte – bis also der Kernfusionsprozess mit der Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Heliumkernen eingeleitet wurde. Das hatte die Freisetzung solch gigantischer Energiemengen zur Folge, dass der sich schließlich herausbildende Stern, also die Sonne, nun über Milliarden Jahre hinweg lang leuchten kann. Die kosmisch betrachtet überschaubare Größe unserer Sonne ist aber keineswegs ein Nachteil für die Erde und die weiteren sieben Planeten unseres Sonnensystems.
Was den Zeitraum der Entstehung unseres Sonnensystems betrifft, inklusive Transformationsprozess von der Gaswolke bis hin zum massiven, selbstleuchtenden Stern, war die Wissenschaft bislang von ein bis zwei Millionen Jahren ausgegangen. Wobei sie diese Annahme aus der astronomischen Beobachtung diverser junger Sternenobjekte abgeleitet hatte, bei denen sich genau diese Dauer in der Abfolge von der Gas- und Staubwolke bis zur Kollabierung zu einem neuen Stern hatte nachweisen lassen. Nun hat aber ein internationales Forscherteam den Nachweis erbringen können, dass unser Sonnensystem vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren innerhalb eines für astronomische Verhältnisse vergleichsweise kurzen Zeitraums entstanden sein muss. Und zwar in weniger als 200.000 Jahren, wie das Team erklärt, welches unter Federführung von Planetologen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster steht, das von Prof. Thorsten Kleine geleitet wird.
Um die Schnelligkeit der Geburtsstunde unseres Sonnensystems zu veranschaulichen, zogen die Wissenschaftler in ihrer Mitte November 2020 im Fachmagazin „Science" veröffentlichten Studie den Vergleich mit einer Schwangerschaft. Anstelle von neun Monaten würde die Entbindung nur noch ungefähr zwölf Stunden dauern – unser Sonnensystem war also gewissermaßen das Ergebnis einer Blitzgeburt. Neben Forschern der Universität Münster waren an der Studie auch Wissenschaftler des Lawrence Livermore National Laboratory aus der US-Stadt Livermore, des California Institute of Technology aus Pasadena, der University of California in Santa Cruz und des Berliner Museums für Naturkunde beteiligt.
Bei ihrer Untersuchung gingen sie von der Annahme aus, dass sich die Geschichte unseres Sonnensystems in Meteoriten konserviert hat. In deren Inneren sind mikrometer- bis zentimetergroße Einschlüsse enthalten, die so etwas wie die ersten Festkörper sein müssen, die sich aus der Gas- und Staubwolke gebildet hatten. Diese sogenannten Calcium-Aluminium-reichen Einschlüsse (CAI) sind für die Wissenschaftler daher die stillen Zeugen der Entstehung des Sonnensystems. Da sich die meisten dieser CAIs vor 4,567 Milliarden Jahren gebildet hatten und zwar laut den Forschern über einen Zeitraum von etwa 40.000 bis 200.000 Jahren, schien das der bisherigen Annahme einer viel länger dauernden Entstehung unseres Sonnensystems zu widersprechen. Kosmochemiker Dr. Gregory Brennecka vom kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory erklärte: „Da die beobachtete Zeitspanne der Bildung von Sternensystemen von rund ein bis zwei Millionen Jahren viel länger ist als die Zeit, in der sich die CAIs bildeten, warf dies die Frage auf, welche astronomische Phase in der Entstehung des Sonnensystems durch die Bildung der CAIs erfasst wird. Und letztlich wie schnell das Sonnensystem entstanden ist." Es sollte sich herausstellen, dass unser Sonnensystem etwa fünf- bis zehnmal schneller entstanden sein muss, als man es aus der Beobachtung anderer, jüngerer Sternensysteme hätte erwarten können.
Tod der Sonne wird spektakulär werden
Die Forscher nutzten für ihre Untersuchungen verschiedene CAIs, die sie sogenannten kohligen Chondriten entnommen hatten. Bei diesen Chondriten handelt es sich um sehr große sogenannte primitive Meteoriten, die im äußeren Sonnensystem entstanden sind und noch Material aus der Geburtsstunde des Sonnensystems enthalten müssen. „Wir haben festgestellt", so Prof. Thorsten Kleine, „dass die unterschiedlichen Molybdän-Isotopen-Zusammensetzungen der CAIs im Wesentlichen die gesamte Bandbreite des Materials der protoplanetaren Scheibe – die Scheibe aus Gas und Staub, aus der die Planeten entstanden sind – abdecken. Mit anderen Worten: CAIs zeichnen möglicherweise die gesamte Geschichte des Kollapses von der Molekülwolke bis zur Entstehung der Sonne auf." Und da bekannt ist, wann die CAIs entstanden waren und wie lange deren Bildung gedauert hat, ließ dies direkte Rückschlüsse auf die Dauer der Entstehung des Sonnensystems zu. Es müssen weniger als 200.000 Jahre gewesen sein. „Man geht davon aus, dass die große Mehrheit aller CAIs innerhalb von 40.000 bis 200.000 Jahren entstanden sind", sagt Dr. Gregory Brennecka. „Angesichts dieses bekannten Zeitfensters können wir die Hauptakkretionsphase der Sonne auf weniger als 200.000 Jahre eingrenzen."
Obwohl unsere Sonne nun schon seit mehr als 4,5 Milliarden Jahre verlässlich scheint, wird auch ihr Brennstoff nach zehn bis 13 Milliarden Jahren aufgebraucht sein. Dann steht ihr ein spektakuläres Ende bevor: Sie wird sich noch einmal gewaltig aufblähen, den hundertfachen Durchmesser von heute erreichen, ihre Leuchtkraft im Vergleich zu heute verdoppeln, als „Roter Riese" aus Helium die Erde auf 1.000 Grad aufheizen und damit alles Leben auf der Erde vernichten. Und schließlich wird sie selbst zu einem superverdichteten Sternenrest, einem „Weißen Zwerg", zusammenschrumpfen. Tröstlich immerhin, dass die wichtigsten Bausteine des Lebens auf der Erde – wie Wasserstoff, Sauerstoff oder Kohlenstoff – wohl so stabil sein werden, dass sie zumindest als Staub oder Gas im All erhalten bleiben werden. Dort können sie dann womöglich durch Zusammenballung mit anderen Atomen wieder als Grundelemente für einen neuen Stern samt Planeten dienen. Wodurch letztlich auch der Mensch zu einem Teil des ewigen kosmischen Kreislaufs werden kann, worauf Prof. Henrik Beuther vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie jüngst in einem Beitrag der „Rhein-Neckar-Zeitung" hingewiesen hatte: „Im Grunde sind wir alle reprozessierte Sterne. Unsere Bestandteile sind Sternenstaub."