Über die Hausarztpraxen soll das Impftempo Fahrt aufnehmen. Sie müssen sich nicht an die altersbedingte Impfreihenfolge halten. Doch Ungewissheit und organisatorische Schwierigkeiten stehen noch im Weg.
Impfungen sind der einzige Weg, die Corona-Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Neben den Impfzentren sollen dazu die Hausarztpraxen beitragen – ursprünglich vor allem mit dem Serum von Astrazeneca. Nachdem dieses wegen vereinzelter Nebenwirkungen in Verruf geriet, herrschte Konfusion. Die Impfzentren wendeten ihn bei unter 60-Jährigen nicht mehr an, auch Hausarztpraxen waren gehalten, auf das Vakzin von Biontech auszuweichen. Aber damit Impfstoffe nicht im Kühlschrank verderben und damit die Kampagne voranschreitet, dürfen Praxen seit dem 23. April anmelden, welches Serum sie verwenden wollen; außerdem liegt die Priorisierung nach Altersstufen und Risikogruppen nun in ihrem eigenen Ermessen.
Eine Hausarzt-Gemeinschaftspraxis in Berlin-Tempelhof. Die drei Ärztinnen impfen schon seit Mitte März gegen das Coronavirus. Die Praxis hatte sich im Rahmen eines Modellprojekts der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erfolgreich als Pilotpraxis beworben. „Wir wollten schnell loslegen. Dafür belieferte uns die KV anfangs mit vielen Dosen des Astrazeneca-Vakzins und einer begrenzten Zahl von Biontech-Dosen", erklärt eine der drei Ärztinnen. Trotz der knappen Zeit ist sie bereit, ein paar Fragen zu beantworten. Stand 22. April hatte die Praxis damit rund 300 Impfungen durchgeführt. Mitte April endete die Belieferung mit Astrazeneca jedoch, das Impfen stockte.
In Aussicht gestellt wurden inzwischen größere Kontingente von Biontech-Dosen – eine Ankündigung, die bei der Hausärztin gemischte Gefühle weckt. „Die Impfdosen von Astrazeneca sind lange haltbar und gut handhabbar, sie können einfach aus der Ampulle aufgezogen werden. Der Umgang mit dem Biontech-Impfstoff ist aufwendiger, er ist unpraktisch für Hausarztpraxen." Das betrifft zum einen die Kühlung: Einmal aufgetaut muss das Serum innerhalb von fünf Tagen verimpft werden. Ist eine Packung geöffnet, muss das Serum aus zwei Komponenten angemischt und innerhalb von zwei Stunden verabreicht werden. „Weil die Verabreichung von Biontech so schwierig ist, können wir damit viel weniger Menschen impfen als mit Astrazeneca. Und wenn mal jemand absagt, müssen wir ganz schnell einen Ersatz finden. Organisatorisch ist Biontech für uns eine Katastrophe."
„Medienwirbel hat Menschen verunsichert"
Das Interesse der Patienten an einer Impfung ist riesig, aber viele haben Vorbehalte gegenüber Astrazeneca. „Der Medienwirbel hat die Menschen verunsichert. Unsere Aufklärungsarbeit hat sich verdoppelt. Wir schätzen den Astrazeneca-Impfstoff und raten vielen Leuten dazu, müssen dafür aber lange Gespräche führen", so die Hausärztin. Sie selbst habe auch unter 60-Jährige mit Astrazeneca geimpft, wenn diese es wollten und die Kapazitäten vorhanden waren. Entscheidend sei immer die individuelle Indikation, wer eine Impfung am dringendsten braucht. „Das war uns Hausärzten freigestellt. Pro Impfung erhalten wir 20 Euro, reich werden wir davon nicht", tritt sie einem Gerücht entgegen. „Im Interesse unserer Patienten tun wir es dennoch gern." Eine Einladung ins Impfzentrum können Hausärzte nicht forcieren. Sie können aber Impfatteste ausstellen, in denen sie bescheinigen, dass Patienten eine Impfung besonders nötig haben. Damit können sich die Menschen bei der Hotline melden und sich auf die Liste setzen lassen.
Prinzipiell hält die Ärztin die Zentren für die Impfungen besser gerüstet: Dort arbeiten mehr Leute, der Ablauf kann effizienter organisiert werden. „Für uns ist auch der organisatorische Aufwand sehr groß, Formulare sind auszufüllen, Einwilligungen abzufotografieren. All das funktioniert in den Impfzentren besser." Nachdem Astrazeneca in die Kritik geraten war, wurde der Impfstoff zwar nicht verboten, aber es gab die Empfehlung, ihn nicht für alle zu verimpfen. Daher bekam in den letzten Wochen keiner unter 60 in den Zentren noch einen Termin.
Nach dem Auslaufen des Modellprojekts sei das Hauptproblem für die Praxis die derzeitige Ungewissheit: „Ich würde mir wünschen, dass wir planbar genügend Astrazeneca bekommen können für Patienten, die sich über die Risiken bewusst sind und sie in Kauf nehmen wollen. Allerdings wissen wir nicht, wie viele das sein werden." Daher habe man zunächst die Lieferung von Astrazeneca storniert. „Einige Dosen davon haben wir noch, aber wir wissen nicht, ob wir sie für Zweitimpfungen unserer Patienten aufheben sollen. Vielleicht will die dann keiner mehr, weil alle Biontech verlangen." Dann müsse sie diese Patienten an die Impfzentren verweisen; allen mit Astrazeneca geimpften Patienten eine Zweitimpfung mit Biontech zu verabreichen, sei nicht zu leisten. Vielleicht wachse aber auch das Vertrauen in den Astrazeneca-Impfstoff und die Praxen könnten weiter damit arbeiten. Welches Vakzin geliefert wird, womit man impfen kann und impfen darf, war bisher von Woche zu Woche eine Überraschung. Sie begrüße es, dass die Hoheit über die Impfstoffe jetzt bei den Praxen liegt. „Wir müssen uns nicht mehr dauernd rechtfertigen. Das ist für uns Hausärzte wichtig, damit wir nicht noch Ärger dafür bekommen, dass wir impfen."
„Müssen uns nicht mehr dauernd rechtfertigen"
Die Information der Bürgerinnen und Bürger – speziell zu Astrazeneca – sei nicht gut gelaufen. Leider wurde das äußerst geringe Risiko, eine gefährliche Hirnvenenthrombose zu erleiden, nicht ins Verhältnis gesetzt zu den weitaus größeren Risiken einer Infektion mit Covid-19. Auch das Long-Covid-Syndrom werde unterschätzt, ebenso die Möglichkeit, sich symptomlos zu infizieren und andere, die daran sterben können, anzustecken. „Bei einer solchen Abwägung bin ich klar auf der Seite der Impfung, egal womit. Die derzeitige Abwarterei ist eigentlich das schlimmste: Wir hinken hinterher, dümpeln bei einer Impfquote von 22 Prozent herum, während andere Länder schon bei 50 oder 60 Prozent liegen. Gleichzeitig gingen wir in Lockerungen hinein. Das macht mir große Sorge, diesen Rückstand können wir kaum aufholen", so die Hausärztin.
Anfangs sei die Skepsis gegenüber mRNA-Impfstoffen immens gewesen. „Viele meinten, sie seien nicht ausreichend erprobt. Aber das war schon die erste Fehlinformation, denn mRNA-Impfstoffe werden schon lange beforscht und erprobt. Als Astrazeneca kam, waren erst alle begeistert, Vektorimpfstoffe waren schon länger auf dem Markt." Die Meldungen über deren Nebenwirkungen haben alles umgekrempelt: Die Furcht vor mRNA-Impfstoffen verschwand, alle wollten sie. „Das Chaos war gewaltig."
Das Kommunikationsproblem betreffe alle: Bürger, Politiker und Ärzte. Sie mache niemandem einen Vorwurf –
jeder bemühe sich, wie er kann. Impfungen zu stoppen und zu prüfen, wenn Nebenwirkungen aufgetreten sind, sei richtig und nachvollziehbar. Und sich an die Empfehlungen von Studien zu halten, sei im Prinzip richtig. „Wir kennen leider bisher weder die Impfung noch die Krankheit im ausreichenden Maße, sodass man immer wieder neu reagieren muss. Der Impfstopp mit Astrazeneca war in der derzeitigen Situation jedoch kontraproduktiv."