Alba Berlin hatte zuletzt viel von seiner Qualität vermissen lassen. Ausgerechnet im Topspiel bei Bayern München war der Titelverteidiger wieder in Topform. Der Rekordsieg kam gänzlich unerwartet.
Alba Berlin – das ist der Hauptstadtclub, bei dem erfolgreich Basketball gespielt wird. Das weiß jeder halbwegs Sportinteressierte. Doch Alba Berlin hat sich während des vergangenen Jahres auch einen Namen als digitaler Sport-Anbieter gemacht. Albas „tägliche Sportstunde" auf Youtube avancierte in Zeiten des Lockdowns zum Hit, Kinder waren froh über ein bisschen Bewegung, Eltern über ein bisschen gewonnene Zeit. Aufgrund des großen Erfolgs hat der Club sein digitales Sportangebot erweitert, unter anderem mit der 25-minütigen Serie „Sport macht Spaß".
„Inakzeptabel gegenüber dem Verein"
Und nach dem Topspiel in der Basketball-Bundesliga muss man sagen: Auch Alba macht (wieder) Spaß! Die Berliner gewannen nicht nur das Prestigeduell bei Bayern München, sie demontierten den Gegner und setzen im Titelkampf ein Achtungszeichen der allerersten Güte. Viele Profis, egal ob in Rot oder Gelb gekleidet, blickten auch nach der Schlusssirene immer wieder erstaunt Richtung Anzeigetafel: 62:100. Alba hat die Bayern vor den Augen von Bundestrainer Henrik Rödl förmlich aus deren Halle gefegt. Schon zur Halbzeit war der Vorsprung riesengroß, Bayern-Coach Andrea Trinchieri kam nach einer sehr kurzen Ansprache früh wieder aus der Kabine. Sollte er versucht haben, mit der Aktion sein Team aufzuwecken und anzustacheln – der Plan ging nicht auf. Die Leistung seiner Mannschaft sei „inakzeptabel" gewesen, sagte Trinchieri hinterher mächtig sauer, „gegenüber uns selbst, gegenüber dem Verein". Die Münchner ließen jede Gegenwehr vermissen, und Alba spielte sich in einen Rausch. „Wir wollten sie dominieren", sagte Kapitän Niels Giffey. „Wir wollten ihnen keine Chance lassen." Und so war es dann auch.
„Was für ein Spiel!", twitterte Alba nach dem höchsten Sieg gegen München überhaupt (+38). Und was für eine Mannschaftsleistung! Es gab keinen Spieler, der alles überragte und alle anderen mitzog. Die Punkte waren auf viele Schultern verteilt, auch wenn Giffey und Ben Lammers mit je 15 Punkten am Ende in der teaminternen Statistik vorne lagen. Zwölf Spieler standen mindestens zehn Minuten auf dem Parkett – die Bank war also auch ein erheblicher Faktor. Im Prinzip klappte genau das, was in den Wochen zuvor die großen Probleme des Double-Gewinners waren. Und genau das machte den Coup so unerwartet.
„Im Moment ist das ganz sicher keine Standortbestimmung", hatte Alba-Manager Marco Baldi vor dem Duell gegen die Bayern gesagt und damit einer Niederlage verbal vorgebeugt. Der Pessimismus war nicht unbegründet, Alba steckte im Formtief, was sich zuletzt auch in den Ergebnissen widerspiegelte. Die zwei überraschenden Heimpleiten gegen die Braunschweig Löwen (82:87) und Hamburg Towers (68:75) waren Rückschläge, bei denen das Team von Trainer Aíto García Reneses ungewohnt fehlerhaft und unkonzentriert agierte. Auch beim zwischenzeitlichen Sieg gegen die Gießen 46ers (102:96) überzeugte Alba nicht. Die Mannschaft agierte nicht als Einheit auf dem Parkett – und das hatte den Verantwortlichen große Sorgen bereitet. „Alle sind ein bisschen mit sich beschäftigt", vermutete Baldi. „Wir haben unsere Geschlossenheit nicht, und es wirkt alles etwas uninspiriert. Das ist nicht flüssig." Akzente von der Bank – in den vergangenen Jahren Albas stärkste Waffe im Kampf um den Titel – kamen zuletzt so gut wie keine. Bis zum Bayern-Spiel. Auf einmal war kaum ein Qualitätsunterschied zu erkennen, wenn ein Tim Schneider, Johannes Thiemann oder Malte Delow den Stars um Luke Sikma, Ben Lammers oder Niels Giffey mal Verschnaufpausen verschafften. Und nicht nur das: Endlich unterstützte wieder jeder jeden, es wurde viel kommuniziert und sich angefeuert.
Der Lohn: Bayern fand zu keiner Zeit zu seinem Spiel und konnte seine individuellen Qualitäten nicht mal ansatzweise ausspielen. Hinzu kam: Alba war brutal effektiv. Die Wurfquote von 73 Prozent aus dem Zweierbereich war sensationell, 88 Prozent von der Freiwurflinie ebenfalls stark. Alba verhinderte mit einer Basketball-Gala, dass sich aus der „schwierigen Phase" (Baldi) keine handfeste Krise entwickelte. Und der Club festigte den zweiten Tabellenplatz hinter Spitzenreiter MHP Riesen Ludwigsburg. Der Trainer sah dennoch keinen Grund für grenzenlose Euphorie. Der Sieg gegen Bayern sei „nicht unser bestes Spiel" gewesen, meinte Reneses. „Nachdem Bayern schwächer wurde, hatten wir diesen Fokus auf die Intensität in Offensive und Defensive nicht immer." Außerdem verwies der Spanier auf die Doppelbelastung des Gegners im Viertelfinale der Euro-League, „deswegen hatten sie Probleme mit ihrer Intensität, als wir uns einen Vorsprung erarbeitet hatten". Doch auch für Alba war es bereits das 66. Pflichtspiel in dieser Saison, die beiden Euro-League-Starter trifft die Terminhatz in Corona-Zeiten besonders hart. „Der Spielplan ist ein Problem, alle Ligen und der Weltverband wollen viele Spiele haben", kritisierte Reneses ungewohnt offen. „Es wird immer mehr, mehr, mehr – und das ist nicht möglich." Für den 74-Jährigen, dem angesichts der vielen Spiele und den anschließenden Regenerations-Maßnahmen kaum Zeit für ein gescheites Training bleibt, warnte die Verantwortlichen eindringlich: „Jeder schaut nur auf seine Situation, und ich denke, das ist nicht gut für den Basketball."
„Es wird immer mehr, mehr, mehr"
Aber die ungewöhnliche Situation bringt auch Gewinner hervor, Malte Delow ist einer davon. Der 20 Jahre alte Flügelspieler kommt aus dem eigenen Nachwuchs und profitiert von der aktuellen Spieleflut, die ihm mehr Einsatzzeiten bei den Profis beschert als er sich in normalen Zeiten hätte erträumen können. In der Vorsaison lief er in der Regel bei Kooperationspartner Lok Bernau in der drittklassigen Pro-B-Liga auf, in dieser Spielzeit kommt er schon auf 24 BBL-Einsätze. Delow nutzte seine Chance. Der 1,97 Meter große Athlet ist zwar kein Ausnahmetalent, aber „er lernt schnell", wie Manager Baldi anerkennend sagte. Und lernen kann Delow bei einem Trainer wie Reneses, der es wie kaum ein Zweiter im europäischen Basketball versteht, Talente zu erkennen und zu fördern, „extrem viele Sachen", wie er selbst sagt: „Abgezocktheit, Ruhe, Athletik, Defensive. Mein Wurf fällt noch nicht so sehr, wie er sollte. Das Spiel lesen, was Coach Aíto auch immer will von seinen Spielern." Diese Lernwilligkeit beeindruckt Reneses. Delow sei „ein smarter Spieler", meinte der Trainer. „Er weiß, er muss noch ein paar Dinge verbessern. Aber daran arbeitet er jeden Tag." Auch, weil Alba nicht irgendein Verein für den gebürtigen Berliner ist. Der Club bedeute ihm „extrem viel", sagt er, „ich bin immer Alba-Fan gewesen und ich liebe den Verein."