Die Lage ist eigentlich zu ernst, um Witze zu machen. Dabei liefert die Bundespolitik vieles, was selbst Satiriker sprachlos macht, meint Marco Bülow, fraktionsloser Bundestagsabgeordneter von der Satirepartei Die Partei.
Herr Bülow, bei allem Ernst der Lage hat der Auftakt ins Bundestagswahljahr manchmal gewirkt wie ein Frontalangriff auf die gesamte satirische Zunft, die eigentlich von Zuspitzung und Übertreibung lebt. Was halten Sie dem entgegen?
Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass die politische Spaß-Guerilla ausgerechnet aus der Unionsecke zuschlägt. Eine Partei, die immer treu zu ihrer Führung stand. Die wirklich 16 Jahre alles mitgemacht hat, auch wenn es aus CDU-Sicht noch so unsinnig war. Wenn so eine Partei mit ihrem kleinen Schwesterchen dann so einen rabiaten Angriff auf unser aller Zwerchfell startet, ist es selbst für mich als Vertreter von Die Partei sehr, sehr schwierig, schnell und adäquat darauf zu reagieren. Vor allem darf man eines nicht vergessen: Laschet und Söder haben das ohne jegliche Absprache und ohne Regie, als Stand-up- Comedians durchgezogen. Kompliment, die beiden haben ordentlich hingelangt! Da wird es tatsächlich schwierig, sich nicht die Satire-Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Ihre Lehre aus den letzten Wochen?
Erhebliche Obacht und genau beobachten, wohin da jetzt im Wahlkampf die Unterhaltungs-Reise geht. Ich habe so etwas in beinahe 20 Jahren Bundestag noch nicht erlebt, und hier im Hohen Hause haben sich ja in dieser Zeit auch die Grenzen erheblich verschoben. Nicht wir sind die Spaßpartei, sondern die ist ja schon seit fast 16 Jahren am regieren und zwar, dank Großer Koalition, in doppelter Ausführung.
Woran machen Sie das fest?
Ganz einfach: Das für uns wirklich bedrohliche Satire-Szenario hat bereits im Herbst 2005 bei den ersten Merkel-Koalitionsverhandlungen mit dem damaligen SPD-Chef Müntefering angefangen. Er und seine Sozialdemokraten wollten keine Mehrwertsteuererhöhung, die Union wollte diese aber um zwei Prozentpunkte erhöhen.
Rausgekommen ist am Ende eine Erhöhung der Verbrauchssteuer um drei Prozent! Entschuldigen Sie bitte, so was hat Kabarettisten den Job gekostet, so einen Unfug kann man sich nicht mal einfach ausdenken. Oder die Unions-Atomparteien steigen aus dem Atomausstieg aus, klarer Fall, die grüne Uhr musste zurückgedreht werden. Um dann wenig später mit einem Federstrich aus dem Atomausstieg-Ausstieg wieder auszusteigen!
Bei so viel Wortwitz, sind selbst wir als Satirepartei machtlos.
Aber für Sie als Die Partei und auch den politischen Kabarettisten müssten das ja spaßige Golfgräberzeiten sein.
Vorsicht! Wie gerade beschrieben ist das alles so absurd, was da abläuft, und zwar nicht nur in der Union, sondern im gesamten Parlament, dass man das alles gar nicht mehr zuspitzen kann. Man droht da ganz schnell übers humoristische Ziel völlig hinausschießen. Irgendwann wird es einfach nur noch affig, weil die gesamte Politik und damit auch die Satire dem gesunden Menschenverstand nicht mehr vermittelbar ist.
Hier geht es nämlich im Kern um den kapitalen Grundsatz: Eine gut gemachte Satire braucht immer einen ernsten Hintergrund. Also was steckt tatsächlich hinter dieser oder jener Initiative oder einem Gesetzesvorhaben? Ich habe immer mehr den Verdacht, es geht hier fast ausschließlich um vollendete Machtklempnerei in allen Lagen.
Das ja auch in Ihrer Ex-Partei, der SPD, kuriose Blüten getrieben hat?
Richtig, auch da geht es spätestens seit dem einzig wahren Kanzlerkandidaten Martin Schulz nur noch um Machtklempnerei, wobei ich da Martin eher als Opfer sehe. Aber allein schon das Spektakel vor zwei Jahren bei der Wahl der Parteispitze, als es hieß: „Wir wählen eine Doppelspitze". Da wird Olaf Scholz mit Absicht von den Parteimitgliedern nicht gewählt, weil man endlich aus dem 20-Prozent-Keller mit den alten Gesichtern rauswill. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung ist tatsächlich ein personeller Neustart mit Saskia Esken und Norbert Walter Borjans. Okay, in den Umfragen hat das damals nicht viel bewegt. Doch dann beruft ausgerechnet Saskia Esken Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten.
Anschließend wundern sich alle, dass es in den Umfragen weiter bergab geht. Zur völligen Realsatire wird das Ganze nicht nur damit, dass die SPD mit Umfragewerte um 15 Prozent einen Kanzlerkandidaten kürt, sondern dass „Eskia" unermüdlich von Rot-Grün-Rot schwadroniert, während der Rest der Republik über eine grün-schwarze Bundesregierung diskutiert, weil von den Umfragen, rein rechnerisch, derzeit gar nichts anderes möglich ist. Das kann niemand mehr ernst nehmen.
Aber bei allem Spaß, den man bei der Betrachtung dieser Begebenheiten hat: Es könnte gefährlich für unsere Demokratie werden?
Ja natürlich. Die Menschen in Deutschland können viele Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen, weil niemand mehr erklären kann, wie diese Entscheidungen zustande kommen. Nehmen Sie nur die jüngst bundesweit verhängte nächtliche Ausgangssperre. Niemand kann schlüssig erklären, warum allein Joggen vor Mitternacht geht, aber nach Mitternacht bis 5 Uhr morgens wegen der Infektionsgefahr verboten wird. Da ist selbst in Großstädten und Ballungsräumen kaum ein Mensch auf der Straße. Das ist völliger Humbug, läuft aber so, und die Menschen gewöhnen sich an die satirischen Züge der politischen Entscheidungen. Doch damit wächst auch der Frust. Nicht Kabarettisten verulken das Publikum, sondern die regierenden Politiker haben den Job übernommen, und sowas kann sehr schnell, auch in einer gewachsenen Demokratie gefährlich werden.
Zum Beispiel, wenn „Alltagshelden" gefeiert, ein halbes Jahr später bei den Tarifverhandlungen dann aber im Regen stehen gelassen werden?
An dieser Stelle denken wir alle an den letzten Sommer. Führende Politiker haben zum „Klatschen für die Pflege" aufgerufen! Wie affig ist das denn bitte? Das hätte eine Aktion von „Titanic" oder Die Partei sein können. Wir stellen uns alle hin und klatschen für die Pflege. Als wären das Künstler auf der Bühne, die was Nettes aufgeführt haben. Nur mit dem Unterschied, dass wir alle keinen Eintritt bezahlt haben und auch nach der Vorstellung nicht bereit sind, auch nur irgendetwas zu bezahlen. Wir von Die Partei waren dann zumindest so fair und haben bundesweit vor den Pflegeheimen Merci-Schokoriegel verteilt, dass die Menschen in den Pflegeberufen auch was in der Hand haben und sich nicht total veralbert vorkommen.
Haben die Ihnen nicht den Schokoriegel um die Ohren gehauen?
Nein, ganz im Gegenteil, die haben den satirischen Aspekt „Klatschen allein reicht nicht" sofort verstanden und mussten schmunzeln. Nur die politischen Akteure vor Ort, aber auch hier im Bundestag, wollten wieder mal nicht verstehen, dass es eigentlich um etwas sehr Ernstes geht, nämlich um den nötigen Respekt.