Geliefert wird im Fünf-Kilometer-Radius, getrunken analog zu Hause und geplaudert am Monitor: Mit „Galander Online" präsentiert sich die Kreuzberger Bar als charmanter und einzigartiger Trink-Treff.
Ich bin ein richtiges Chick, heiße aber trotzdem Ute. Mein Küken-Avatar und mein Online-Ich betreten die „Galander Online Bar" über den roten Teppich. „Komm zu uns", winkt mich Barkeeper Dominik Köhler an den virtuellen Tresen. Ich navigiere mich per Pfeiltasten zu einem freien Barhocker und nehme neben Martin und Sebastian Platz. Dominik stellt mich vor, und wir kommen miteinander ins Gespräch. Genau so wie „früher" im Real Life, in einer „echten Bar". Den White Mojito für meinen Barbesuch habe ich höchst analog vor mir stehen, das hausgemachte Popcorn mit Orangenlikör ebenso. So weit dürfte das digitale Trinken nicht gehen, als dass ich auf einen analogen Drink verzichten würde! Das muss ich auch gar nicht, denn genau die Kombination aus Bar-Besuch am Monitor und „Echt-Trinken" mit ins Haus gelieferten Drinks ist das Konzept der „Galander Online Bar".
Nach einer Weile streife ich mit meinem Avatar weiter und lasse mich im Konzertraum nieder. Ich bin gerade passend zum Beginn des Sets von Gitarrist und Sänger Andreas Geffarth eingetroffen. „The House of the Rising Sun" erreicht mit glasklarem Sound in einer sehr straighten, puren Interpretation mein Ohr. Nach einem Jahr Pandemie hätte ich nicht geglaubt, so plötzlich in einem Livekonzert zu sein. Neben mir lassen sich Stephanie und Claudia nieder und sprechen mich an. Die Freundinnen haben sich aus Berlin-Lichtenberg und aus Österreich über ein Tagesticket eingewählt. Sie sind auf ein, zwei, drei Gläser Wein miteinander verabredet.
Virtuelle Events mit bis zu 250 Teilnehmern
„Auf einen Konferenz-Call hätten wir keine Lust gehabt", sagt Stefanie. Und selbst, wenn sie ohne Corona gewollt hätten, wäre ein spontanes Treffen wohl kaum möglich gewesen. Aus dem Fünf-Kilometer-Lieferradius für die Bottled Drinks fällt Stefanie heraus. Wer den eigenen Flaschen-Vorrat oder die Hausbar bemühen muss, bucht für fünf Euro ein Tagesticket. So wird die Infrastruktur ein bisschen refinanziert. Aber auch diejenigen, die für lau herumlungern wollen, bleiben außen vor. Die virtuellen Räume von „Galander Online" sind charmant gestaltet: so dunkel und gediegen wie ein britischer Herrenclub und das Offline-Original in der Großbeerenstraße.
Inhaber Dominik Galander ist in der Gamer-Szene aktiv und baute seine Bar in einem ursprünglich für virtuelle Messen gedachten Programm beinah Eins-zu-eins nach. Tresen, Salon mit Sitzgrüppchen, Musikzimmer, Toiletten. „Es hat Videospielcharakter und ist charmanter als ein Zoommeeting", sagt Barkeeper Dominik Köhler. „Man bewegt sich frei im Raum, und wenn du dich einer anderen Figur näherst, geht ein Zweier-Call auf." Er kann sich überall zuschalten und mit den Gästen sprechen. Barchef Nils Lutterbach wiederum sitzt an der virtuellen Bühne und kümmert sich vom hinteren Raum aus um die Live-Übertragung aus Andreas Geffarths Wohnung. Nils hilft auch Neulingen wie mir bei den ersten Schritten durch die Bar und erklärt den virtuellen Raum.
Seit meinem ersten Besuch vor Ostern ist geradezu ein Online-Bar-Imperium entstanden: „Wir haben virtuell das Nachbarhaus links okkupiert und unsere Charlottenburger Bar und unsere ehemalige Dive Bar eingebaut." Nun gibt es noch mehr als die bisherigen vier Räume bei „Galander Online". Das ist gut so, denn auf einem virtuellen Firmenevent tummelten sich schon einmal 250 Personen. Da wird es für Avatar oder Mensch zu eng!
Für solche größeren Veranstaltungen liefert das „Galander" seine Bottled Drinks vorab. Alternativ können sie in der Großbeerenstraße oder im benachbarten „Galander Liquor Store" abgeholt werden. An einem „normalen" digitalen Bar-Freitagabend können die Drinks sogar während des Barbetriebs bestellt werden. Ein Fahrer liefert fix aus. „Unser Rekord waren zwölf Minuten von der Bestellung über die Zubereitung bis zum Drink auf dem Tisch", sagt Dominik Köhler.
Er ist mit Headset auf dem Kopf ab 18 Uhr „auf Sendung". Köhler befindet sich zweifellos in der bizarrsten Situation des Abends: Anstelle von Barhockern steht ein großer Monitor vor dem Tresen, eine Ultra-HD-Kamera auf dem Stativ. „Bar-TV!", entfleucht es mir, als ich mir vor Ort meine beiden Drinks am frühen Abend abhole. Er switcht vor Ort zwischen Online-Bestellung, Mixen, Auslieferung oder Abholung der Drinks hin und her. Es geht zu wie im echten Leben: Je später der Abend, desto voller die Bar. „Wenn ich acht oder zehn Stunden allein in der Bar, aber in vollen virtuellen Räumen stehe, ist das anstrengend. Anders anstrengend."
Drinks nicht immer eins zu eins umzusetzen
Bisheriger Höchststand: 92 Gäste an einem Abend ohne Firmenevent. Dann kommt aber ein weiterer Barkeeper hinzu. Am Brett geht’s hochdynamisch zu: Es wird abgemessen, abgewogen und aus dem Handgelenk ins Rührglas gegossen. Geschüttelt, gerührt und umgefüllt. 200 Milliliter fasst eine Flasche, ein bis zwei Gläser. Ein Drink, inklusive freier Eintritt in die Online-Bar, kostet 14 bis 19 Euro. Kirsche, Karamell, Pu-Err-Tee, Wasser sind die Basis für den alkoholfreien Salted Caramel Cherry, den ich zu Hause trinken werde. Ein Tamarindenauszug „gibt Körper und Fülle, er stützt Kirsche und Karamell", erläutert Dominik parallel zum Mixologen-Ballett. Alkoholfreie Drinks stehen in der Online-Bar zunehmend im Fokus.
Mir ist danach ganz herb-fruchtig, aber nicht blümerant zumute, als ich später online meinen Tresen-Plausch mit Martin fortsetze. Er hat sich aus Frankfurt zugeschaltet, ist ebenfalls Barkeeper und verschwindet kurz aus dem Bild, um sich einen neuen Drink zu mixen. Ich steige vor meinem Rechner in Berlin auf einen White Mojito um, den ich im Kühlschrank geparkt hatte. Eine Mojito-Spielart für den Transport zu entwickeln sei nicht trivial, erklärt Dominik Köhler. „Der Grundgedanke war, einen gefälligen Drink zu kreieren, der den Sommer nach Hause bringt."
Die Drinks können nicht eins zu eins wie in der Bar umgesetzt werden. Minze wurde in einen selbstgemachten Sirup verwandelt. Als Blättchen würde sie braun werden und wäre zu flüchtig. Der sommerliche Touch transportiert sich über einen mit Kokosfett „fat washed" weißen Rum. Ebenso wichtig: die „alternative Limette". Sie bringt ihre Säure über Zesten in den Drink ein. Das Sodawasser gibt’s in einem Extrafläschchen zum Aufgießen dazu. Ganz schön komplex für einen @home-Drink!
Der Zeitpunkt für den Umstieg zurück zur Bar vor Ort scheint noch ziemlich weit entfernt. Doch Inhaber Dominik Galander hat mit seinem einzigartigen Konzept große mediale Aufmerksamkeit erzielt. Insbesondere Firmen fragten häufig an. „Ich schreibe gerade ein Angebot für eine Veranstaltung in Spanien mit 150 Personen." Dorthin schickt das „Galander" die Drinks nicht selbst, sondern stellt lediglich den virtuellen Raum zur Verfügung. Die Drinks organisiert das Unternehmen vor Ort. „Der Liquor Store trägt uns auch etwas durch diese Zeit", sagt Galander. Zum „Galander"-Kosmos gehören die beiden gleichnamigen Bars in Kreuzberg und Charlottenburg, die „Haifischbar" sowie der Liquor Store neben der Bar in der Großbeerenstraße.
Zwölfjähriges Jubiläum wird am 1. Mai gefeiert
Die „Galander Online Bar" erfüllt seit Anfang des Jahres neben dem Vergnügen für die Gäste und dem besseren Durch-die-Krise-Kommen eine weitere wichtige Funktion: „Sie ist für unsere Mitarbeiter ein Segen." Wer lebt vom Kontakt zu den Gästen, wenn nicht ein Barkeeper? „Manchmal ertappe ich mich um 1.30 Uhr noch mit den Gästen beim Quatschen", beobachtete Dominik Köhler an sich selbst. Wer online ist, darf bei Barschluss um Mitternacht so lange bleiben, wie er mag. Wer hinausgeht, kommt aber nicht wieder hinein. „Wir sind schon mal privat bis 4.30 Uhr versackt", sagt eine Real-Life-Bekannte und „Galander"-Stammgästin zu mir, die ich in der Online-Bar treffe. „So lernt man in diesen Zeiten doch wieder zu socializen."
Auch das gemeinsame Feiern soll virtuell nicht verlernt werden. Dafür sorgt Dominik Galander am 1. Mai mit einer „fetten Party online" zum zwölfjährigen „Galander"-Jubiläum. An diesem Samstagabend ist der Eintritt frei. „So einige Überraschungen" seien außerdem geplant.
Mein Bar-Abend vergeht viel schneller als gedacht. Martin und ich verquatschen uns über die Situation der Gastronomie an Main und Spree, über das Leben und das Cocktailmixen im Allgemeinen und Besonderen. Schon stehen Nils und Dominik neben uns und machen uns auf die sich bald schließenden virtuellen Türen aufmerksam. Uns stört das nicht, wir machen uns noch eine Weile weiter einen angenehmen Abend. „Ich habe gut getrunken, neue Leute kennengelernt, Musik gehört, mich gut unterhalten", zieht Martin beim Abschied Bilanz. Auch er war zum ersten Mal „Galander Online"-Gast. „Die digitale Bar hat alle Anforderungen eines Barbesuchs erfüllt." Ich sage: „Der Abend war total kurzweilig. Das hätte ich an einem Freitagabend im Lockdown vor dem Rechner nie erwartet."