Kurt Wels (95)
Lehrer a.D. | Reinickendorf
Auf dem Schreibtisch liegen Nachschlagewerke, Schreibzeug und eine Lupe. In den Regalen stehen Romane, Sachbücher oder Zeitschriften. Was Kurt Wels „alte Schwarten" nennt, sind bereits Dokumente der Zeitgeschichte. Das Mobiliar stammt größtenteils aus den 1950er-Jahren. Früher hat er in seinem Büro den Unterricht vorbereitet oder Stundenpläne erstellt. Heute erledigt er hier den Papierkram, die Steuererklärung und Korrespondenz mit Freunden und Familie oder sortiert Fotos aus längst vergangenen Zeiten. Bald nach Kriegsende kam er in den Schuldienst. Kurz zuvor war der damals 20-Jährige aus russischer Kriegsgefangenschaft „getürmt". Weil er für seine Lebensmittelkarte einen Arbeitsnachweis brauchte, meldete er sich als Schulhelfer. Die Schule lag im Bezirk Friedrichshain, den die Nazis in Horst-Wessel-Stadt umbenannt hatten, zu Ehren des Verfassers des Horst-Wessel-Liedes, das in der NS-Zeit Nationalhymnenstatus besaß. „Nach dem Krieg war in Lehrerversammlungen in der sowjetischen Besatzungszone immer ein russischer Offizier dabei" erinnert sich Kurt Wels. Vormittags unterrichtete er. Nachmittags erhielt er zusammen mit anderen „Quereinsteigern" die Lehrerausbildung. Seine Methode war notgedrungen Frontalunterricht. In den Klassen saßen immerhin 60 Kinder. Die Armut war groß. Viele hatten noch nicht einmal Schuhe. Mit einigen seiner ehemaligen Schüler ist er heute noch in Kontakt.