Von der häuslichen Quarantäne ausgebremst wird Hertha BSC von der Konkurrenz noch mehr unter Druck gesetzt – am Montag in Mainz beginnt die Aufholjagd.
Pal Dardai hatte es wie so oft vorher gewusst: Nachdem seiner Mannschaft im Saisonendspurt wegen mehrerer Corona-Fälle im Kader eine 14-tägige häusliche Quarantäne verordnet worden war, hatte der selbst von einer Ansteckung betroffene Trainer von Hertha BSC erklärt, dass er dadurch bis zur Rückkehr in den Spielbetrieb mit einem Abrutschen auf Platz 17 rechne. Ob er seine Schützlinge und die Fans damit nur psychologisch auf einen eventuellen „Worst Case" vorbereiten wollte oder tatsächlich dieser Auffassung war, ist dabei schwer einzuschätzen. Schon drei Spieltage nach Inkrafttreten der gesundheitspolitischen Maßnahme mussten die Blau-Weißen jedenfalls tatenlos mit ansehen, wie der 1. FC Köln an ihnen vorbeizog. Die Domstädter waren dabei nach der 2:3-Heimniederlage gegen den Mitkonkurrenten Mainz 05 am 28. Spieltag als Vorletzte noch so etwas wie der zweitheißeste Kandidat für den Gang in die Zweite Liga neben Schalke 04 – doch im Gegensatz zu den inzwischen auch tatsächlich abgestiegenen Königsblauen hat sich der „FC" offenbar gerade rechtzeitig noch im Kampf um den Klassenerhalt zurückgemeldet. Der skeptisch beäugte Trainerwechsel von Markus Gisdol zu Friedhelm Funkel, er sollte in der Tat zumindest schnelle Wirkung zeigen. Sechs Punkte aus den ersten drei Spielen haben der Geißbock-Elf jedenfalls erst mal Rückenwind verliehen, vor allem, wenn man die Gegner – Leverkusen, Leipzig und Augsburg – dazu in Betracht zieht. Eine solche Ausbeute hatte den Kölnern praktisch niemand zugetraut, auch mit neuem Trainer nicht. Doch der im Tabellenkeller dringend benötigte „Kickstart" gelang Funkel mit den Kölnern – und das wiederum setzt Hertha BSC nun im Saisonendspurt noch mehr unter Druck. Denn während sich etwa Mainz 05 mit einer beachtlichen Serie bereits ordentlich Luft verschaffen konnte in der Abstiegszone, erweist sich auch Arminia Bielefeld im Kampf um den Ligaverbleib trotz der 5:0-Auswärtspleite in Mönchengladbach am vergangenen Spieltag weiterhin durchaus als hartnäckig. Die Ostwestfalen errangen jedenfalls buchstäblich die vier Punkte aus den vorangegangenen Partien der englischen Woche in Augsburg (0:0) und gegen Schalke (1:0), die sie nun an Vorsprung auf Hertha BSC in der Tabelle haben. Natürlich mit aktuell drei Spielen mehr –
dennoch müssen die Berliner diesen Rückstand auch erst mal aufholen und dabei das direkte Duell gegen die Arminia möglichst für sich entscheiden.
Die erwartet widrigen Umstände für die „Alte Dame" geben dabei nach wie vor eher Anlass zu Zweifeln. Das inzwischen terminierte Restprogramm unterstreicht die Herkulesaufgabe noch mal dick: Nach zwei Wochen Heimübungen dürfen die Berliner erst jetzt wieder ins klassische Mannschaftstraining einsteigen – und mit dem Nachholspiel in Mainz beginnt dann ab Montag, 3. Mai, ein Programm von fünf Partien innerhalb von 13 Tagen.
„Ich glaube daran, dass ein ‚Jetzt-erst-recht‘-Effekt entsteht"
Gewissermaßen aus der „kalten Hose" direkt in die Maximalbelastung der entscheidenden Saisonphase, unter anderem mit vier Duellen gegen direkte Mitkonkurrenten in der Abstiegszone – ganz sachlich betrachtet, kann man da nur von einem (nicht zu ändernden) Wettbewerbsnachteil für Hertha BSC sprechen. Das weiß man sicherlich auch bei den Verantwortlichen und versucht daher, sich durch streng positive Herangehensweise für die Aufgabe zu wappnen. Die Quarantänephase, in der sich das Team zurückziehen musste, soll also quasi zur Bildung einer Wagenburgmentalität dienen gegen alle Widrigkeiten, die den blau-weißen Tross auf den letzten Metern der Spielzeit erwarten. Aussagen wie: „Wir haben nichts mehr zu verlieren – es ist viel besser, von hinten nach vorn zu schwimmen" (Dardai), „Aktuell ist das natürlich eine Extremsituation – aber wir werden zurückkommen, wir werden gut zurückkommen!" (CEO Carsten Schmidt) oder „Ich glaube daran, dass ein ‚Jetzt-erst-recht-Effekt‘ entsteht" (Sportdirektor Arne Friedrich) sollen unverbrüchliche Geschlossenheit vermitteln, um die schwierige Situation mit Wagemut anzugehen. Henrik Kuchno, der sonst eigentlich nur in den Trainingslagern der Saisonvorbereitung besonders im Mittelpunkt steht, tat dies nun auch aktuell in der heißesten Phase der Spielzeit. Herthas Athletikcoach war dabei darauf festgelegt, das in der häuslichen Isolation Mögliche mit den Profis zu üben – und, wie seine Kollegen und Vorgesetzten, Zuversicht auszustrahlen. „Ich bin sicher, dass wir die Jungs zum Start der Endphase in einer guten körperlichen Verfassung haben werden", lautete Kuchnos Erklärung zum Machbaren – Verletzungen aufgrund fehlender Wettkampfpraxis auszuschließen, das konnte er verständlicherweise aber nicht.
So bleibt eben gar nichts anderes übrig, als in der Zwangspause Optimismus zu verbreiten – und auch auf ein gewisses Glück und eine Trotzreaktion zu bauen, die für ein erfolgreiches Abschneiden nach Herthas Re-Start nötig sein werden. Zum Auftakt bei aktuell bärenstarken Mainzern (Montag, 3. Mai) sind die Blau-Weißen jedenfalls Außenseiter – nicht nur, weil die Rheinhessen zuletzt den designierten Meister aus München besiegt haben. Die 05er haben sich in der Rückserie in einen Lauf gespielt, der ihnen 27 Punkte und damit dreimal so viele wie Hertha BSC im selben Zeitraum beschert hat. Dadurch verfügt das Team von Trainer Bo Svensson inzwischen über das, was die Berliner bislang vergeblich suchten: nämlich Selbstvertrauen. Das Heimspiel gegen den Tabellenneunten SC Freiburg (Donnerstag, 6. Mai) erscheint da sogar als einfachere Aufgabe – bevor es weitere drei Tage später wieder im Olympiastadion zum ersten „Sechs-Punkte-Spiel" gegen Arminia Bielefeld kommt. Einen Vorteil aber dürfte die Erfahrung in häuslicher Isolation auf jeden Fall mit sich bringen: Die von der Deutschen Fußball Liga (DFL) für den Saisonendspurt angeordneten Maßnahmen (unter anderem alle 36 Proficlubs im Quarantäne-Trainingslager ab 12. Mai) werden Hertha BSC als einzigem Erstligisten wie der sprichwörtliche „Ponyhof" vorkommen.