Union Berlin will die zweiwöchige Ligapause nutzen, um Kraft für den Saisonendspurt zu sammeln. Der Europacup-Platz ist nun ein realistisches Ziel.
Transfergerüchte gehören zum Fußballgeschäft, und in der Regel können damit alle Parteien halbwegs gut leben. Die Fans können diskutieren, die Medien haben etwas zu berichten, die Berater testen den Marktwert ihrer Spieler aus, und auch die Vereine nehmen an den Spekulationen meist keinen großen Schaden. Doch diesmal sah sich Union Berlin gezwungen, zu einem Bericht eines Boulevardblattes öffentlich Stellung zu beziehen. Darin wurde berichtet, der Fußball-Bundesligist sei am Schweizer Abwehr-Talent Bećir Omeragić interessiert. Das an sich war kein Problem für die Club-Bosse, die kolportierte Summe als mögliches Ablöse-Angebot dagegen umso mehr: zwölf Millionen Euro. „Völlig absurd" sei das, sagte Manager Oliver Ruhnert im Vereins-TV. „Es ist wichtig, dass solche Dinge nicht unwidersprochen bleiben." Vor allem in diesen Pandemie-Zeiten, in denen die Sonderrolle des Fußballs mit Argusaugen betrachtet wird. Union will mit aller Macht verhindern, dass es so aussieht, als habe der Club nach gerade einmal zwei Jahren in der Bundesliga die Bodenhaftung verloren – in einer Zeit, in der viele Fans durch die Corona-Maßnahmen wirtschaftlich schwer gebeutelt sind. „Ihr könnt ganz beruhigt sein", sagte Ruhnert daher auch direkt an die Anhänger gerichtet: „Wir gehen unseren Weg weiter, und da spielen solche Dinge wirklich überhaupt keine Rolle." Man werde auch für die kommende Saison „seriös, vernünftig und fernab von Millionen-Gehältern oder -Ablösen, die da kolportiert worden sind" ein schlagkräftiges Team an den Start schicken, betonte Ruhnert. „Wir waren alle überrascht, dass man uns inzwischen zutraut, solche Deals mit einer hohen zweistelligen Millionensumme zu machen."
„Wir wollen das Maximum mitnehmen"
Union will bescheiden bleiben, doch dem Umfeld – egal ob bei Fans oder Medien – fällt das angesichts der sensationellen Saison sichtlich schwer. Nach dem 3:1-Heimsieg gegen Werder Bremen klopft der Aufsteiger von 2019 weiter heftig ans Tor zu Europa, mindestens der Startplatz für die neue Conference League ist drei Spieltage vor Schluss absolut realistisch. Und so taten sich die Berliner auch schwer, ihr wochenlang zur Schau getragenes Understatement weiter aufrechtzuerhalten. „Wir wollen das Maximum mitnehmen", verkündete Mittelfeldspieler Christian Genter vor dem Saisonfinale beim VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und gegen RB Leipzig: „Wir haben noch drei Gegner, die stehen alle vor uns. Das ist natürlich kein Spaziergang. Aber wir haben uns auch entwickelt, wir wollen uns vor keinem verstecken." Auch Torhüter Andreas Luthe bekam leuchtende Augen, als er über mögliche Europacupabende unter Flutlicht in der Alten Försterei nachdachte. „Ein internationaler Platz wäre die Krönung", sagte Luthe, „aber wir machen die positive Saison, die wir spielen, nicht davon abhängig." Intern habe man schon einen Titel gewonnen, so Luthe: „Der Klassenerhalt ist unsere Meisterschaft."
Die Sorge, Union würde nach dem Erreichen des Hauptziels Spannung und damit Spiele verlieren, erwies sich als absolut unbegründet. Luthe verriet jedoch, dass das alles andere als einfach sei. „Es ist eine Herausforderung, dranzubleiben und Woche für Woche Gas zu geben, obwohl wir das Ziel schon erreicht haben", gab der Keeper zu. „Aber die Jungs nehmen das super an." Und zwar so gut, dass zum Beispiel die abstiegsbedrohten Bremer, die in Berlin eigentlich unbedingt etwas Zählbares mit nach Hause nehmen mussten, in der zweiten Halbzeit chancenlos waren. Daher wertete Luthe den Sieg auch als „brutal wichtig", er fühle sich „sehr gut" an. Teamkollege Gentner schlug dagegen die schwache erste Halbzeit noch aufs Gemüt: „Da waren wir zu behäbig, zu kompliziert im Spiel nach vorne." Doch der Glaube an die eigene Stärke ist mittlerweile so groß bei Union, dass sich das Team innerhalb eines Spiels selbst aus einer Krise ziehen kann. „Ich finde es brutal beeindruckend", sagte Gentner, „dass wir hier 3:1 gegen Bremen gewinnen, und für jeden ist es irgendwo selbstverständlich."
Für die Rolle des Matchwinners war eigentlich Max Kruse vorgesehen. „Max ist heiß", hatte Trainer Urs Fischer vor dem Anpfiff noch gesagt. Doch der Ex-Nationalspieler bot gegen seinen Ex-Club eine enttäuschende Vorstellung und wurde nach 45 Minuten für Petar Musa ausgewechselt. Der neue Mann brachte deutlich mehr Schwung ins Spiel und harmonierte vor allem deutlich besser mit Joel Pohjanpalo. Die Folge: ein lupenreiner Hattrick des Finnen innerhalb von nur 17 Minuten, bei dem Musa zwei Treffer vorbereitete. „Überragend" sei das Gefühl, sagte Pohjanpalo hinterher. Zuletzt hatte der Stürmer am sechsten Spieltag Anfang November getroffen, danach fiel er – auch verletzungsbedingt – in ein Formtief. „Es war eine schwierige Zeit in den letzten Monaten", gab er zu, „da gibt es nichts Besseres, als einen Dreierpack zu erzielen, wenn man eine Chance von Beginn an erhält." Im Trikot von Bayer Leverkusen hatte Pohjanpalo schon einmal einen Hattrick erzielt, damals im Spiel gegen den Hamburger SV aber als Einwechselspieler. Als Andenken komme der Ball „da hin, wo auch der vom HSV-Spiel ist", verriet Pohjanpalo. Drei Schüsse hatte der Angreifer damals für drei Tore gebraucht, diese brutale Effizienz ließ er zuletzt bei Union vermissen. „Er hatte ein bisschen Pech, hat sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen", sagte Fischer. Der Trainer hatte Pohjanpalo zuletzt nicht mehr ganz so oft eingesetzt – die Reaktion gegen Bremen war genau wie von Fischer erhofft: „Er war da, wo er sein sollte." Es war Unions erster Hattrick in seiner noch jungen Bundesligageschichte. „Ein Nachmittag für die Geschichtsbücher: Onnittelut, Joel Pohjanpalo!", twitterte der Club nach dem Abpfiff als Danksagung. „Da fällt die Aussage des Trainers einfach aus: „Sehr gut! Top!", sagte Fischer auf den Matchwinner angesprochen. „Wenn du drei Tore machst, machst du alles richtig. Ich gönne ihm das sehr." Doch der Schweizer vergaß auch nicht, Vorlagengeber Musa zu loben: „Nach seiner Einwechslung war Frische da", so Fischer. Der kroatische U21-Nationalspieler sei „in der Luft sehr gefährlich", er laufe im Pressing „immer unermüdlich an" und zwinge die Gegenspieler „zu Fehlern".
Mit Sorge schauten die Berliner aber auf Cedric Teuchert. Der erst spät eingewechselte Offensivspieler verletzte sich im Spiel gegen Werder Bremen offenbar schwer am Knie. „Das sah nicht gut aus bei Cedric", sagte Pohjanpalo. Generell hat Union aber wenig Verletzungspech in dieser Saison gehabt. Damit das im Saisonendspurt so bleibt, soll die zweiwöchige Ligapause vor allem „zur Regeneration" genutzt werden, wie Fischer betonte. „Danach wollen wir noch mal alles rausholen, was im Tank drinnen ist", sagte er. Denn obwohl Union sein Ziel bereits erreicht hat, gibt es noch etwas zu gewinnen für die Köpenicker. Der Einzug in den Europapokal wäre die Krönung für eine schon jetzt famose Saison. Auch wenn das neue Gerüchte über Millionen-Transfers mit sich bringen würde.