Patrick Hausding will bei der Wassersprung-Europameisterschaft seine beeindruckende Erfolgsserie ausbauen. In Budapest greift der Berliner wieder nach Gold, Silber und Bronze – danach muss er sich aber erst einmal erholen.
Beim Zählen seiner vielen EM-Medaillen kommt Patrick Hausding selbst nicht mehr hinterher. „Ganz sicher weiß ich es nicht", sagt er, „aber es müssten 33 sein." Stimmt genau, bei der bislang letzten Europameisterschaft in Kiew vor zwei Jahren gewann Deutschlands erfolgreichster Wasserspringer seine Medaillen Nummer 30 bis 33. Elf Jahre nach seinem ersten Edelmetall bei den kontinentalen Titelkämpfen hat Hausding noch immer nicht genug, eine Absage der EM in Budapest (10. bis 16. Mai) im Olympiajahr kam daher für ihn auch nicht infrage. Trotz der belastenden Begleiterscheinungen. „Europameisterschaften sind für uns Wasserspringer immer wichtig, auch für die Außendarstellung. Das sind Titelkämpfe, da gibt es etwas mitzunehmen, das man sich in seine Vita schreiben kann", sagt der Rekord-Europameister. Er selbst wolle bei seinen vier Starts „erfolgreich sein und meine Sammlung erweitern". Die Aussicht auf Edelmetall dürfte Hausding die Strapazen, die dann hinter ihm liegen, vergessen lassen.
Direkt von Tokio weiter nach Budapest
Denn der Olympia-Dritte ist direkt von der Olympia-Qualifikation in Tokio nach Budapest geflogen. Dort kämpfte Hausding in den Synchronwettbewerben vom Drei-Meter-Brett (mit Partner Lars Rüdiger) und vom Turm (mit Timo Barthel) um einen zusätzlichen Quoten-Platz für die Sommerspiele. Das Startrecht im Drei-Meter-Einzel hatte sich der Berliner schon bei der WM 2019 im südkoreanischen Gwangju gesichert. Doch diesmal mussten Hausding und Co. nicht nur mit den Konkurrenten kämpfen – die Vorbereitung verlief chaotisch. Die Olympia-Quali war ursprünglich am 1. April abgesagt worden, die Nachricht hielten manche daher für einen Aprilscherz. „Der Bundestrainer rief mich beim Abendessen an und fragte, ob ich stabil sitzen würde", verrät Hausding. „Als er mir sagte, dass die Quali abgesagt wurde, habe ich mit einem Fluch reagiert." Der offizielle Grund: Der Weltverband Fina sah die Sicherheit der Athleten sowie einen erfolgreichen und fairen Wettbewerb aufgrund der von den Organisatoren geplanten Corona-Maßnahmen nicht mehr gewährleistet. Die wochenlange Vorbereitung – alles für die Katz? Bundestrainer Lutz Buschkow versammelte seine Mannschaft trotzdem zum Trainingslager in Dresden, wo zur besseren Akklimatisierung mit dem Zeitunterschied zu Tokio trainiert wurde. Das erwies sich als richtige Entscheidung, denn eine Woche nach der Absage folgte die Rolle rückwärts: Tokio konnte nun doch die Quali abhalten. Grenzenlose Freude darüber kam aber nicht auf. „Auf die Verbände dürfte ein Haufen Zusatzkosten zukommen", meint Hausding.
In Tokio angekommen, besserte sich die Stimmung nicht. Im Gegenteil. Drei Stunden benötigte das deutsche Team allein am Flughafen. Die Japaner nahmen es mit der coronabedingten Bürokratie für europäische Ankömmlinge sehr genau, erzählt Hausding. Ein Dokument nach dem anderen musste ausgefüllt werden, zwischendurch Corona-Test, offizielle App auf das Handy laden, Identitätstest absolvieren, E-Mail und Telefonnummer registrieren lassen und und und. „Wir durften unsere Ortungsdienste in Japan nicht ausstellen", verrät Hausding, der sich ziemlich überwacht fühlte. Die Einschränkungen machten nach der Ankunft im Hotel nicht halt, den deutschen Wasserspringern wurde es am ersten Tag verboten, auch nur den Aufzug zu benutzen. „Das alles trübt die Vorfreude", sagt Hausding, „aber da muss man ein dickes Fell haben." Und wenn einer mit Herausforderungen umgehen kann, dann der 32-Jährige. Nicht umsonst nennt ihn Bundestrainer Buschkow liebevoll „Kampfschwein". Hausding nimmt auch Hindernisse wie diese und beißt sich durch. Seine Erfahrung und Mentalität könnten bei Olympia in Tokio noch zum großen Trumpf werden, denn auch seine internationalen Konkurrenten aus China, Russland und Großbritannien konnten im vergangenen Jahr kaum Wettkämpfe bestreiten. „Körperlich geht es mir ziemlich gut. Ich konnte mich in der langen Pause auf die körperlichen Probleme konzentrieren", sagt Hausding. Er hat die Zeit auch genutzt, um seinen Anlauf umzustellen, was ihm vor allem im Synchronspringen vom Brett mit Partner Lars Rüdiger zugutekommt. Außerdem ist diese Art des Anlaufens knieschonender, „so um Weihnachten rum hatte ich zuletzt eine Knie-Schwellung. Das ist für mich außergewöhnlich lange her."
„Körperlich geht es mir ziemlich gut"
Hausding fühlt sich körperlich sogar so gut, dass er sich noch mal vom Turm wagt. Eigentlich hatte er seine Karriere aus zehn Metern nach dem Rücktritt von Weltmeister-Partner Sascha Klein beendet, doch Timo Barthel hat er zuletzt ein Versprechen gegeben: Bekommt der Dresdner die Erfolgsserie von Hausding/Klein hin, „dann gebe ich mir noch mal einen Ruck", verrät Hausding. „Und den habe ich mir gegeben." Der erste Wettkampf des neuen Duos war für die Olympia-Quali geplant. Vor zu großen Erwartungen hatte Hausding allerdings gewarnt, an die Erfolge mit Klein (unter anderem WM-Sieg 2013 und Olympia-Silber 2008) wird er mit Barthel definitiv nicht mehr anknüpfen können. Eine Olympia-Medaille, egal ob im Einzel oder Synchron vom Drei-Meter-Brett, wäre für ihn aber ein erfolgreicher Abschluss von der ganz großen Bühne. Vielleicht hängt Hausding noch ein Jahr dran, doch hinter dem Kapitel Sommerspiele setzt er im Sommer einen Haken. Definitiv. Der Lehramtsstudent will sich auf seine berufliche Zukunft nicht festlegen, mit seiner eloquenten und sympathischen Art dürften sich ihm aber viele Türen öffnen. Als erfolgreicher Medaillensammler ohnehin.
Einen Job im DSV kann er sich eher nicht vorstellen. Die zuletzt großen Wellen, die insbesondere die Besetzung der Position des Leistungssport-Direktors ausgelöst hatte, nimmt Hausding mit einem Kopfschütteln wahr. „Es ist schon ein bisschen chaotisch, was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist", sagt der Athletensprecher der Wasserspringer. Dass Buschkow als Interims-Lösung bis zum Jahresende die Aufgabe übernimmt, hält Hausding für eine „gute Wahl". „Für uns Sportler ist es wichtig, dass wir uns in Ruhe auf Olympia vorbereiten können", sagt Hausding, „und Lutz ist jemand, der das System kennt, der das selber schon mal gemacht hat, der weiß, wie der Hase läuft." Buschkow, der schon von 2012 bis 2018 Wassersprung-Bundestrainer und DSV-Sportdirektor in Personal-Union war, sei „genau der Richtige, um das Boot in unruhigen Gewässern auf Kurs zu halten", veranschaulicht Hausding. Und unruhig sind die Zeiten im Verband, wo nahezu täglich auch in den Medien Machtkämpfe ausgetragen werden. Das ist Hausding, der in der Regel selbst kein Blatt vor den Mund nimmt, ein Dorn im Auge: „Es ist schon viel zu sehr eine öffentliche Schlacht geworden. Man sollte versuchen, die Dinge intern zu klären."