In Sachen Klimaschutz hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständliche Maßstäbe gesetzt. Das Oberste Gericht in Europa urteilt ähnlich. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat einer Klimaklage Dringlichkeit eingeräumt.
Ein paar Augenblicke schien es wie im berühmten Auge des Hurrikans. Erst herrschte atemlose Stille, als das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zum Klimaschutzgesetz veröffentlichte. Dann brach ein massiver Sturm von Kommentaren durch alle medialen Kanäle.
„Epochal", twitterte sogar Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sah ein „Ausrufezeichen für Klimaschutz". Beide hatten mit am Kabinettstisch gesessen, als das Gesetz auf den Weg gebracht wurde, das die Karlsruher Richter jetzt als völlig unzureichend eingeordnet haben. Und das mit einer Begründung, die an Klarheit wenig zu wünschen lässt.
Durch das geltende Klimaschutzgesetz würden die „zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführer in ihren Freiheitsrechten verletzt", stellt das Gericht fest. Grund ist die Halbherzigkeit der Maßnahmen. Um die notwendigen Klimaschutzziele, müssten dann nach 2030 „Emissionsminderungspflichten" in einem Ausmaß erfüllt werden, von denen „praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen" ist. Weniger juristisch formuliert: Weil wir heute viel zu kleine Schritte machen, sei die junge Generation „nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht", es gäbe praktisch keine Luft mehr für viel eigene freie Gestaltung. Das oberste Gericht verwendet dazu den Begriff vom „CO2-relevanten Freiheitsgebrauch".
Kurzum hat das Oberste Gericht geklärt, dass politische und gesellschaftliche Forderungen zu einem konsequenten Klimaschutz – orientiert an den Pariser Klimaschutzzielen – grundgesetzlich nicht nur gedeckt, sondern sogar geboten sind. Und letztlich ist es eine unmissverständliche Aufforderung, ein Klein-Klein im Tagesgeschäft und allzu kurzfristiges Denken in Legislaturperioden bei diesen existenziellen Fragen zu überwinden.
Klima-Kläger erfolgreich vor Obersten Gerichten
Mit dem Beschluss in dieser Klarheit hatten viele in Deutschland so überhaupt nicht gerechnet. Dabei kam er nicht völlig überraschend und liegt zudem ziemlich auf der Linie, die auch Oberste Gerichte bei europäischen Nachbarn verfolgen.
In Frankreich waren Klimaaktivisten ebenfalls erfolgreich. Das Pariser Verwaltungsgericht bescheinigte im Februar dieses Jahres der Regierung, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun. Dagegen hat der Staat zwar eine Einspruchsmöglichkeit, dennoch hatte ein Regierungssprecher Versäumnisse eingeräumt. Die französische Regierung hat das allerdings auch zum Anlass genommen, ihre Atomkraftpolitik als Beitrag zur CO2-Minderung zu verteidigen. Die Niederlande waren schon früher dran. Dort hatte die Umweltstiftung Urgenda bereits 2015 ein Urteil gegen die zögerliche Politik erwirkt, das nach Einsprüchen 2018 bestätigt und 2019 letztinstanzlich bekräftigt wurde mit Verweis auf Menschenrechtsverpflichtungen. Ein konkretes Ergebnis davon ist beispielsweise ein generelles Tempolimit. In Irland war die Umweltorganisation „Friends oft the Irish Environment" erfolgreich. Der Irish Supreme Court folgte der Klage und verpflichtete die Regierung zu mehr Maßnahmen zum Klimaschutz und dazu, diese präziser darzulegen.
Schon sehr bemerkenswert ist die Klage von sechs jungen Portugiesen vor dem Europäischen Menschengerichtshof: Mit Hinweis auf das Recht auf Leben werfen sie nicht weniger als 33 Staaten vor, viel zu wenig für dieses Menschenrecht zu tun. Überraschenderweise haben die Richter in Straßburg dieser Klage eine erhöhte Dringlichkeit eingeräumt. Alle 33 Staaten, darunter die gesamte EU sowie Russland und die Türkei, halten die Klage für unzulässig. Das Gericht hat sich davon nicht beeindrucken lassen und eine Stellungnahme in der Sache gefordert. Frist: 27. Mai 2021.