Lena Falkenhagen, Bundesvorsitzende des „Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller", moderiert die VS-Onlesungen im Internet und bringt Autoren und Leser zusammen.
Frau Falkenhagen, der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller vertritt die Interessen besagter Gruppe. Welchen Schwerpunkt setzen Sie derzeit?
Die Schwerpunkte wechseln sich in ihrer Dringlichkeit ab. Sie können sich vorstellen, dass im letzten Jahr ein völlig neuer Schwerpunkt hinzugekommen ist, nämlich Corona. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Urheberrecht und die Frage: Wie sehen die Rechte von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Zukunft aus. Das Thema KI im Literaturbereich – dieses Thema drängt sich auch gerade in den Vordergrund.
Sie haben seit Anfang des Jahres das digitale Format VS-Onlesung – finanziert durch „Neustart Kultur" der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien durch den Deutschen Literaturfonds sowie durch den VS und das Kulturwerk deutscher Schriftsteller – ins Leben gerufen. Ist die Idee, damit ausfallende Lesungen und Autorenhonorare zu kompensieren?
Wir verfolgen damit zwei Ideen. Genau wie Sie sagen, erstmal eine finanzielle Kompensierung für die Ausfälle der Lesungen, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller erleiden, und zweitens die Sichtbarkeit der Bücher, die sich verkaufen sollen und müssen. Sichtbarkeit in der Pandemie herzustellen ist sehr schwierig. Soloselbstständige – professionelle Schriftstellerinnen und Schriftsteller – fallen oftmals durch das Raster der Coronahilfen, insofern ist es für uns wichtig, dass die VS-Onlesungen gut bezahlt werden.
Die VS-Onlesungen laufen weiter bis zum Sommer. Bei einem Termin kommen zwei bis drei Autoren zu einem Thema zusammen. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Autoren aus?
Wir suchen nach spannenden Inhalten. Wir möchten weibliche, männliche, diverse sowie junge und alte Leute zu Wort kommen lassen, damit auch unterschiedliches Publikum angesprochen wird, aber auch, weil wir es auf diese Weise fairer und interessanter finden. Wir bringen Leute aus unterschiedlichen literarischen Bereichen zusammen, die sich sonst gar nicht begegnen würden – von Hochliteratur bis Unterhaltungsliteratur. Und: Die Qualitätskriterien richten sich auch nach sprachlichen aus.
Wie kann das Publikum teilnehmen?
Wer sich bei Twitch registriert und ein Konto hat, kann im Chat dabei sein. Man kann Feedback geben und Applaus spenden, was von den Autorinnen und Autoren gewünscht wird und auch sehr wichtig ist. Per Kamera kann man sich nicht zuschalten.
Wer nur zuschauen möchte, klickt – anonym und ohne Twitch-Registrierung – unseren Link an.
Der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller nimmt an den digital stattfindenden Messen, der Buchmesse Saar und der Leipziger Buchmesse, teil. Wie werden Sie dort vertreten sein?
Wir sind als VS Schriftstellerverband bei der Buchmesse Saar sogar Partner und haben drei Veranstaltungsslots gebucht. Bei der Leipziger Buchmesse werden wir einige Podiumsdiskussionen mit den Themen soziale Absicherung, Vertragsrecht, die Buchbranche in Pandemiezeit und anderen über unser Twitch-Konto veranstalten. Da die Leipziger Buchmesse keine zentral organisierte Plattform zur Verfügung stellt, machen wir es dort eben selber.
Deutschland galt lange Zeit als Leseland. Stimmt es, dass die Publikationszahlen anhaltend hoch bleiben, die Leserschaft aber schrumpft?
Jein. Auf zehn Jahre gesehen haben sich die Leserzahlen wohl reduziert. Der Börsenverein gibt jährlich eine Umfrage dazu heraus, wie sich die Leserzahlen entwickeln. Ich weiß, dass die Verkaufszahlen im Jahr 2020 um zwei Prozent geschrumpft sind. Das hat wohl damit zu tun, dass andere Medien im digitalen Bereich sehr stark gewachsen sind. Die Anteile am Aufmerksamkeitsökonomiekuchen der Menschheit verteilen sich anders.
Wenn ich den ganzen Tag Serien schaue, lese ich abends kein Buch mehr. Ich glaube aber, es gibt einen gewissen Anteil an Menschen, die immer zum Buch greifen, wie andere Menschen, die nie zum Buch greifen und immer ein Computerspiel spielen werden.
Der Schriftsteller Michael Köhlmeier sagte kürzlich: „Ich habe mich immer gewehrt, wenn man sagt, man braucht die Kultur wie das tägliche Brot. Das stimmt natürlich nicht. Kultur muss man wollen". Wie sehen Sie das?
Ich glaube, dass Kultur nicht nicht konsumiert werden kann, was daran liegt, dass ich einen sehr weiten Begriff von Kultur habe. Ich sehe auch manche Computerspiele als Literatur. Kultur und Literatur versuchen sich gerne als systemrelevant zu positionieren – ich mag diesen Begriff überhaupt nicht. Natürlich ist Literatur systemrelevant, weil sie das System hinterfragt. Literatur hält uns den Spiegel vor, zeigt Probleme auf und unterhält manchmal einfach nur. In all diesen Funktionen empfinde ich Literatur als unerlässlich und ich glaube, dass man nicht nicht daran partizipieren kann. Aber die Literatur auf die Herr Köhlmeier vermutlich abzielt, die sogenannte Hochliteratur, ist oftmals nicht leicht zugänglich, und insofern hat er darauf bezogen sogar recht. Ich würde sogar „muss" betonen! Dass unsere Gesellschaft Kultur braucht, um in sich stärker zu werden, da bin ich bei Herrn Köhlmeier. Die SPD hat ja den Vorschlag gemacht Kultur als verpflichtendes Staatsziel aufzunehmen – da bin ich sofort dabei.