Über die App „Home Meal Deal" bieten Köche Gerichte aus der heimischen Küche an. Die Gäste freut’s: Sie bekommen authentisches Essen aus der halben Welt auf den Tisch.
Es steht die halbe Welt auf dem Tisch: ein nordindisches Currygericht, eine Reisschale aus Singapur, ghanaisches Huhn, eine Reistafel aus Sumatra. Zum Dessert gibt’s taiwanesischen Castella Cake und indische Röllchen in Milchsauce. Wir haben uns zum dienstlichen Probieren eine Auswahl der Gerichte von Home Chefs aus ferneren Ländern zusammengestellt. Die App und Plattform von „Home Meal Deal" bündelt die Angebote der bislang 45 professionellen und privaten Köchinnen und Köche in Berlin. Die frisch gekochten Essen können bei ihnen abgeholt werden; teils werden sie geliefert. Der virtuelle Marktplatz für hausgemachtes Essen der beiden Gründer Mario Dugonik und Martin Schmidt ist noch ziemlich frisch. „Viele Köche, auch in unserem Freundeskreis, hatten mit der Corona-Krise auf einmal keine Arbeit mehr", sagt Martin Schmidt. Die Notlage ermöglichte, was vorher beinah undenkbar schien – in Privatküchen gekochtes Essen außer Haus zu verkaufen. Das ist nicht verboten, aber die Lebensmittelaufsicht hält ein strenges Auge auf die Hygiene und die korrekte Einhaltung aller Regeln. Deshalb waren für die Gründer parallel zur technischen und wirtschaftlichen Planung Gespräche mit den Ämtern in den Bezirken und auf Senatsebene wichtig.
„Hygiene ist zentral, sonst kommst du nicht weit", sagt Mario Dugonik. Damit das Modell funktioniert, müssen alle Köche ein Gewerbe anmelden. Sie verpflichten sich, private und gewerbliche Küche zu trennen. Es muss ein zweiter Kühlschrank angeschafft, die Vorräte fürs professionelle Kochen müssen getrennt aufbewahrt und Extra-Geräte für die Zubereitung genutzt werden. Die üblichen Nachweise, Prüfungen und Dokumentationen wie in „echten" Restaurants kommen hinzu.
Der Weg von der Idee zu Köchen, Küchen und Tellern war also ein organisatorisch komplexer. Im Dezember 2020 ging „Home Meal Deal" in Schöneberg, Friedenau, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg an den Start. Mitte Mai sollen nun Wedding, Moabit, Gesundbrunnen, Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf und bald Pankow folgen. Spielregeln und Genehmigungen beim Aufbau sind das eine. Das Finden und Begeistern der Köche das andere. „Wir haben in zentralen Bezirken Flyer mit unserer Idee und einem QR-Code an die Hauswände geklebt", sagt Martin Schmidt. Im Schnitt gab es 1,5 Downloads pro Flyer.
Schmidt und Dugonik sehen sich in der Tradition von Uber, AirB’n’B und Delivery Hero. Sie wollen eine effiziente Vermittlungsplattform zwischen Anbietern und Kunden schaffen. Das Start-up finanziert sich derzeit noch aus Fördermitteln. „Wir sind in einer Notsituation gestartet und wollen das nicht ausnutzen", sagt Mario Dugonik. „Wir nehmen im Lockdown keine Provision von den Köchen." Eine Vermittlungsgebühr sei nur ein möglicher Finanzierungsbaustein des Geschäftsmodells: „Es sind noch viele andere Ideen da."
Doch vor lauter Food-Tech-Start-up-Story zurück zum Essen: Wir wollen genießen, was Avani Khandelwal, Bahaa Guru, Eve Ebert, Joelynn Yit und das Kakatua-Duo für uns gezaubert haben. Ich habe nach der Devise: „Bitte maximal unbekannt!" bestellt. Deutsche oder österreichische Gerichte zum Liebhaben wie Rouladen, Königsberger Klopse, Kaspressknödel oder Kaiserschmarrn sind aber bei „Home Meal Deal" ebenfalls stark vertreten.
Wir starten ausgewogen und fein in Nordafrika, am Mittelmeer, mit gebratenem Lachsfilet auf schwarzem Reis und Rote-Bete-Sauce von Bahaa Guru. Weiter geht’s mit Jollof Rice mit Huhn nach Westafrika. Eve Ebert ist eine Geschmacksbotschafterin Ghanas. Dort wird pikant gespeist: Das Bohnengemüse zum in Tomatensauce geschmorten Reis und gebratenem Hühnerbein ist gut gewürzt. Ein kompaktes, wärmendes Gericht, zu dem wir uns mehr Geschichte und Kontext wünschen, um die kulturellen Hintergründe besser zu verstehen. Gutes Essen entsteht schließlich nicht allein aus dem Zusammenspiel von Geschmack, Geruch und Textur, sondern ebenso aus den Geschichten und Emotionen rundherum.
Kulinarische Reise durch Asien
Das Kakatua-Duo liefert die Tradition und Betriebsanleitung zum Nasi Padang auf Papier mit. Nasi Padang ist ein traditionelles Alltagsgericht bei den Minangkabau in der indonesischen Provinz West-Sumatra mit der Hauptstadt Padang. Es ist ein Mini-Büfett rund um gedämpften Reis, der in ein Bananenblatt gewickelt ist. Wir entfalten den „Bio-Teller" und gießen eine sämige Grünkohl-Kokossauce auf den Reis. Richten geschmortes Rindfleisch und Huhn, Ei und Aubergine in Chili-Paste und eine grüne Chili-Paste mit Anchos drumherum an. Dazu gibt’s Cracker aus Melinjo-„Nüssen", die streng genommen die Kerne von Nacktsamern sind. Spannend!
Ein Glück, dass das Handling des Nasi Padang richtiger Freestyle ist: „There is no right and wrong how to eat it. You can mix everything in one spoon or enjoy each of side dish seperately." Essen-Aufräumer kommen ebenso auf ihre Kosten wie Vermischer. Die große Reistafel kostet zwölf Euro pro Portion und ist köstlich. Ich hole sie mir gerne noch einmal, wenn ich in der Nähe der Kantstraße bin.
Wir switchen anschließend mit Joelynn Yit aus Singapur nach Südostasien. Sie serviert uns mit Nasi Lemak ein malayisches Gericht, das auf in Kokosmilch und mit Pandanblättern gedämpftem Jasminreis basiert. Zum gebratenen Hühnerbein gesellen sich ein Ei, Gurkenscheiben, geröstete Erdnüsse und ein Klacks Sambal Chili fürs Feurio. Sie schickt uns ebenfalls Castella Cake mit. Der supersofte „Kastilische Kuchen" entwickelte sich vom Mitbringsel der portugiesischen Seefahrer im 17. Jahrhundert in Japan zu einer Spezialität Nagasakis. Den cremefarbenen, sanften Biskuit aus Mehl, Zucker, Ei und Mitsuame-Reis- oder Kartoffelsirup könnte ich mir aber statt als Dessert prima zu einer Tasse Grüntee am Nachmittag vorstellen.
Bisher mehr als 200 Köche gelistet
Mit dem Essen von Avani Khandelwal reisen wir nach Indien weiter. Die 29-jährige Programmmanagerin für Nachhaltigkeit wuchs in neun Städten auf. Sie kam erst im vergangenen November nach Berlin. Von ihr bekommen wir Kadhi Pakoda nach einem Familienrezept – Veggie-Teigtaschen in einer säuerlich akzentuierten gelben Currysauce. Und „Vegan Spice Bombs", krosse Bällchen aus Grieß mit einer Knusperkruste aus Curryblättern, Kurkuma, rotem Chilipulver und Linsen-Crunch. Die Gewürz-Bömbchen sind ihre eigene Erfindung, die sich bestimmt prima zu einem Glas guten indischen Whiskey knabbern lassen. „I professionalised my cooking in Berlin", sagt Khandelwal. Die Leidenschaft für gutes Essen und fürs Kochen hat sie aus ihrer Foodie-Familie.
„Das ist ein nordindisches Gericht, das es aus undefinierbaren Gründen in Deutschland nie in eine Restaurantküche geschafft hat", ist meine kulinarische Freundin vom Khadi Pakoda angetan. „Ich kenne es, meine Familie kommt aus dem Punjab." Wir tippen auf Joghurt, doch tatsächlich macht Buttermilch das Gericht so erfrischend schmackhaft, wie Avani Khandelwal verrät. „Es ist das Lieblingsmittagessen meines Vaters." Reis oder gebratene Kartoffeln dazu, schon wird es eine runde, sättigende Sache. Studenten oder Menschen aus den Büros rund um ihr Schöneberger Zuhause, die das gute Gefühl eines authentischen oder heimischen Essens vermissen, bestellten häufig bei ihr. „Ein indischer Student hat sich das Khadi Pakoda gewünscht." Es kam bei vielen Kunden gut an und blieb. Varianten etwa in vegan oder ohne Allergene können in der App bei der Bestellung angegeben werden.
„Viele Köche träumen von einem eigenen Restaurant", sagt Martin Schmidt. Ein Traum, der nun womöglich in die Ferne gerückt oder riskanter geworden ist. „Wir ermöglichen ihnen, es in Form einer Ghost-Kitchen umzusetzen." Als Restaurant ohne Gastraum, das sein Essen zum Liefern oder Abholen bietet, aber mit einem Chef sein eigenes Gesicht und eine eigene kulinarische Handschrift hat. Avani Khandelwal etwa erhielt bereits eine Anfrage von unerwarteter Seite: Kürzlich bereitete sie zwei Tage lang jeweils 40 Gerichte für einen Filmdreh zu. Auch zur Abholung nachts um 1 Uhr. „Das war eine Herausforderung, aber ich habe es als Projekt betrachtet und organisiert", sagt sie.
Weil sie auf Vorbestellung kocht und ihre Zutaten frisch einkauft, konnte sie damit flexibel und variantenreich umgehen. Wer weiß schon, wohin sie ihre „culinary journey" noch führen wird? „Home Meal Deal" ist ein Projekt, mit dem seine Gründer jedenfalls noch einiges, auch bundesweit, vorhaben. Das kann den @home-Gästen, die sich auf hausgemachtes Essen freuen, nur Recht sein. Allein in Berlin sind mehr als 200 Köche gelistet. Sie warten nur auf den Start in ihren Kiezen, um dabei zu sein und mit zu kochen.