Im Müritz Nationalpark haben jedes Jahr zwischen April und Juni Frösche ihren großen Auftritt. Dann sind die Tiere auf Partnersuche und veranstalten lautstark Konzerte. Zusammen mit Ranger Sebastian Krage haben vor allen Dingen Kinder ihren Spaß und lernen dabei auch eine Menge.
Die Nacht soll glasklar werden. Dazu Windstille und warmfeuchtes Wetter, das ist ideal. „Das sind für uns die besten Bedingungen", freut sich Sebastian Krage, der Intendant der ungewöhnlichen Konzertreihe. Krage ist Ranger im Müritz Nationalpark und organisiert das abendliche Open-Air-Festival bei Carpin. „Dann laufen unsere Sänger zur Hochform auf", frohlockt er. Das Konzert habe einen enorm hohen Anspruch. Die Sänger seien gut bei Stimme. Davon hätte er sich bei der Generalprobe am Vorabend schon überzeugt.
„Laubfrösche schaffen 85 Dezibel"
Krages Stars sind Frösche, Kröten und Lurche. Ihren großen Auftritt haben sie alljährlich von April bis Juni, wenn die Kriechtiere auf Partnersuche gehen. Wasserfrösche übernehmen die Basspartien, den Bariton geben die Laubfrösche, den Tenor die Laub- und Grasfrösche. Dann blähen die Pavarottis der Kleingewässer ihre Schallblasen auf, wie Kinder ihre Kaugummis. Solisten sind die hupenden Rotbauchunken und die knurrenden Knoblauchkröten. Kamm- und Teichmolche gehören zum Chor. Die Idee für die Froschkonzerte hatte der Ranger bei der Froschzählung 2013. „Amphibien haben eine riesige Fan-Gemeinde, vor allem bei Jungs", sagt der Herpetologe, der auf Lurche spezialisiert ist. In der Dämmerung nimmt Krage sein Publikum mit auf eine gut halbstündige Wanderung. Die Bühne für das seltene Spektakel befindet sich an einem von der Eiszeit geschaffenen Tümpel, einem sogenannten Soll oder Toteisloch in der Feldberger Seenlandschaft, die zum Müritz Nationalpark gehört. Wie in einem Amphitheater steigt das Ufer sanft nach oben, das ein paar Familien mit Kindern und eine Schulklasse aus Neubrandenburg bevölkern. An Gewässern wie diesem kommen Braunfrösche wie Gras- und Moorfrosch, Grünfrösche, Wasser-, Teich- und Laubfrosch, Rotbauchunken, Knoblauch- und Erdkröten zu Hunderten zum Balzen und Laichen. Dann dreht die Natur mit ihnen durch.
„Wenn einer beginnt, quaken die anderen Stimmen bald auch", weiß der Generaldirektor aus Erfahrung. Schließlich stehen sie miteinander im Wettbewerb. Jeder will der Tollste sein, der Superstar. Jeder will eine Froschkönigin haben. Doch noch ist absolut nichts zu hören. Die Wasseroberfläche liegt ruhig. Der Mond wirft sanftes Licht auf den Tümpel. Dann ist das erste Gebrabbel zu hören. „Uog, uog, uog", macht ein Laubfrosch. „Uog, uog", ein anderer. Das ist die Ouvertüre. Krage leuchtet mit der Taschenlampe aufs Wasser. „Könnt ihr die Augen sehen?", fragt er die aufgeregten Kinder. Schon quaken mehrere. Der Experte lauscht, schätzt sie auf 40. „Wenn Laubfrösche wollen, schaffen sie 85 Dezibel – bis zur Schmerzgrenze, dann quaken alle gleichzeitig", sagt Krage. „Das ist ja wie in der Disko oder am Frankfurter Flughafen", meint ein Besucher. „Hup, hup", kommt es aus einer anderen Richtung. „Das ist die Rotbauchunke", identifiziert der Fachmann. Sie quake nicht, sie hupe. Das ist leicht herauszuhören. Sie sei eine Unke, so der Fachmann. Was für ein Ohrenschmaus, was für ein zauberhaftes Gequake und Geblubber.
Leise gesellt sich das Quak-Quak eines einzelnen Wasserfrosches dazu, ein knarrend monotones Geräusch, das nicht lange alleine bleibt. „Sie fangen wie auf Kommando an und hören genauso auf", erklärt der Herpetologe. Krage klatscht in die Hände. Das animiert, und sogleich wird das Gebrabbel lauter. „Sie kommunizieren", stellt Krage begeistert fest. „Wer macht das Möp-möp?", fragt der zehnjährige Theo. „Das ist die Knoblauchkröte, sie knurrt", erklärt der Herpetologe. „Und der Moorfrosch?" will der zwölfjährige Konstantin wissen. Der sei stimmlich zwar etwas gehandicapt, antwortet ihm der Ranger. Dafür könne er herrlich blau anlaufen, das imponiere den Weibchen. „Und zu wem gehört das Blup-blup-Geräusch?" fragt nun der Musikdirektor in die Runde der Kinder. Alle zucken mit den Schultern. „Das klingt, wie wenn man einen Flaschenhals unter fließend Wasser hält", sagt Tabea. „Frösche sind hässlich, verwarzt und einfach plump", ekelt sie sich. Sie ist nur ihrer Freundin Tilda zuliebe mitgekommen. „Sei kein Frosch", neckt Tilda sie. „Die sind doch süüß!" Matty hat gerade ganz andere Sachen im Sinn. „Schau mal, die liegen übereinander", flüstert er Konstantin zu. „Die machen Sex!" „Das hier ist reine Männersache", stellen die beiden fest.
Wasserfrösche haben keine Kiemen
An der Konzertbühne wollen die Kinder alles Mögliche wissen. Sie erfahren, dass es 5.500 Froschlurcharten weltweit gibt und davon 14 in Deutschland heimisch sind. Im Müritz Nationalpark, der reich an Seen und Mooren ist, habe sich der Bestand in den letzten Jahren zwar erholt, so der Ranger. Doch viele Arten sind durch den Chytridpilz stark gefährdet, ein Töpfchenpilz, der Amphibien befällt und meist tödlich ist. Krage macht ihn für das Froschsterben in Norddeutschland verantwortlich. Ursachen sind aber auch die Zerschneidung der Landschaft durch Straßen, die Entwässerung der Moore und der Betrieb auf großen Ackerflächen, die Reptilien bedrohen. Aber die Kinder interessieren sich für noch ganz andere Dinge. Wie alt kann eine Kröte werden? fragt jemand. „Die Erdkröte kann bis zu 40 Jahre erreichen, eine Blindschleiche 50", breitet der Herpetologe sein Wissen aus. Unken, Kröten und Frösche unterscheiden sich in der Körperform und im Gang. Der Wasserfrosch ist grün, nicht der Grasfrosch, der sei braun. Laubfrösche haben Saugnäpfe, können auf Bäume klettern. Gras- und Wasserfrösche haben zwar eine Lunge, aber keine Kiemen. Im Wasser würden sie ertrinken, können jedoch auf dem Boden eines Sees überwintern. Giftig seien hiesige Amphibien nicht, doch manche wie die Erdkröte sondern ein giftiges Sekret gegen Fressfeinde ab. Der Ochsenfrosch kann Ratten fressen. Die Wechselkröte komme hier selten vor. Alle sind beeindruckt. Doch auch Frösche und Kröten können wie kapriziöse Bühnengrößen sein. Manchmal versagen sie den Zuhörern den Genuss. Wenn sie nicht singen wollen, kann Krage nachhelfen, damit das Konzert nicht ins Wasser fällt. Er zückt seinen Tingstab, mit dem er ihre verschiedenen Laute einstellen kann. Mit den abgespielten Tönen motiviert er seine Sänger, in Fahrt zu kommen. Ein kleines Restrisiko für den Erfolg des Froschkonzertes bleibt freilich. Denn das Ensemble vom Toteistümpel ist nicht fest angestellt und bekommt auch keine Gage. „Es singt aus Gründen, auf die wir keinen Einfluss haben", sagt der Intendant. Eine Fernbedienung habe er leider nicht.