Der Ausflug nach Wolfsburg war für Union Berlin ein Reinfall. Im Kampf um den Europacup-Platz ist aber noch nichts verloren, auch wenn das Restprogramm gegen den Außenseiter spricht.
Staunend schauten die Union-Profis durch die Scheiben des Teambusses. Etwa 30 Motorradfahrer des Fanclubs „Eiserne Biker" hatten die Mannschaft den kurzen Weg vom Wolfsburger Hotel zum VfL-Stadion begleitet, wo weitere rund 100 Anhänger warteten. „Wir haben das tatsächlich wahrgenommen", sagte Mittelfeldspieler Christian Gentner über die Biker-Eskorte. „Union ist ein spezieller Verein, mit einer speziellen Fan-Kultur. Dass Fans uns hierher begleiten und sich lautstark bemerkbar machen, zeichnet diesen Verein aus." Gerne hätte man ihnen „einen oder drei Punkte geschenkt", sagte Gentner, „aber mit der Leistung war es leider nicht möglich." In der Tat hatte Union bei der 3:0-Auswärtsniederlage beim Champions-League-Aspiranten keine Chance. In der ersten halben Stunde war gar ein Zwei-Klassen-Unterschied zu erkennen. Die Eisernen ließen alles vermissen, was sie in dieser Saison so stark gemacht hat: Zweikampfhärte, Handlungsschnelligkeit, Kompaktheit, Druckresistenz. „Das war ziemlich untypisch für Union", meinte Genter, „wir haben keinen Zugriff bekommen, waren etwas zu ängstlich, haben uns in Eins-gegen-Eins-Situationen nichts zugetraut."
„Wir haben keinen Zugriff bekommen"
Sollten die Berliner auch in den zwei letzten Saisonspielen am Samstag (15. Mai, 15.30 Uhr) bei Bayer Leverkusen und eine Woche später (Samstag, 22. Mai, 15.30 Uhr) gegen RB Leipzig so desolat auftreten, bleibt der Traum von Europa auf jeden Fall unerfüllt. Noch aber ist im Fernduell um den Conference-League-Platz mit der punktgleichen Borussia aus Mönchengladbach alles möglich. „Wir werden auf jeden Fall nicht aufgeben", kündigte Kapitän Christopher Trimmel an. „Die Überraschung ist noch möglich, wir werden alles geben." Das schwere Restprogramm sieht Innenverteidiger Robin Knoche nicht als unüberwindbare Hürde auf dem Weg nach Europa an: „Wir haben auch in der Hinrunde die großen Vereine geärgert. Wir rechnen uns natürlich noch etwas aus."
Bislang ist Union nach einem Rückschlag immer gestärkt zurückgekommen. Darauf setzt Trainer Urs Fischer auch diesmal. „Auch aus solchen Spielen kann man lernen", sagte der Schweizer, dem es unmittelbar nach dem Schlusspfiff jedoch schwerfiel, das Positive zu sehen. Auf die Frage, ob er von seiner Mannschaft enttäuscht sei, antwortete Fischer ehrlich: „Wenn man ein Spiel auf diese Art und Weise verliert: ja." Es gehöre auch mal dazu, enttäuscht zu sein – und die Leistung in der ersten Halbzeit habe ihm allen Grund dazu gegeben: „So wird es schwierig, in der Bundesliga zu bestehen. Wir waren nicht bereit für die Aufgabe." Und das fand Fischer „erstaunlich". Denn eigentlich hatte er in der Spielvorbereitung nichts anders gemacht als sonst, das verriet auch Kapitän Trimmel hinterher. Eine Erklärung für die anfängliche Lethargie hatte aber keiner. Dass Torjäger Max Kruse wegen einer Oberschenkelverletzung nur auf der Bank saß, kann als alleinige Begründung nicht ausreichen. An diesem Tag war es ganz offensichtlich eine Frage der Mentalität – eigentlich eine Stärke von Union. „Wir waren ja gar nicht bereit für das Spiel", kritisierte Sportchef Oliver Ruhnert. Gerade gegen Topclubs wie den VfL Wolfsburg brauche man „einen perfekten Tag, und so ein perfekter Tag geht schon beim Anpfiff los". Doch die Unioner liefen ab Minute eins den Wolfsburgern meist nur hinterher.
Die Leistung besserte sich zwar in der zweiten Halbzeit, doch mit dem zweiten Gegentor war auch die leicht aufkommende Gegenwehr wieder dahin. „Wir müssen uns der Kritik stellen", sagte Trimmel. Gegen Leverkusen wird Trainer Fischer penibel darauf achten, dass wieder die zweiten Bälle gewonnen und sich aus Drucksituationen besser freigespielt wird. All das hatte er gegen Wolfsburg schmerzlich vermisst – und es den Profis in den Analysen auch deutlich gemacht. Ruhnert wollte aber nicht den Stab über die Mannschaft brechen. Ein verpatztes Spiel ändere nichts am generell überaus positiven Saisonfazit. „Es bleibt beim Lob für die Saison, egal, was in den beiden letzten Spielen noch passiert", sagte Ruhnert. Sollte Union am Ende Europa verpassen, ist das mit Sicherheit kein Drama. Zumal die Herausforderung der Doppel-Belastung und der völlig veränderten Sommer-Vorbereitung für einen Club wie Union enorm wären. Doch insgeheim haben vor allem die Spieler schon mit der Conference League geliebäugelt. Umso erfreuter waren sie, als sie das Ergebnis aus München hörten: Obwohl die Bayern bereits als Meister feststanden, hielten sie die Konzentration hoch und fegten Gladbach mit 6:0 vom Platz. Praktisch gesehen hat Union am vergangenen Wochenende also sogar drei Tore auf den Europacup-Startplatz gut gemacht.
Fischer kann sich einen Nationaltrainerposten aktuell nicht vorstellen
Für Knoche war der Ausflug nach Wolfsburg trotz der klaren Niederlage „etwas Besonderes", wie er hinterher zugab. Den Abwehrspieler, der 183 Bundesligaspiele für den VfL bestritt, hat zwischenzeitlich „das Gefühl von Heimat" gepackt. Den Wechsel im vergangenen Sommer nach Berlin bereut der 28-Jährige aber keineswegs, denn bei Union erfährt er die Wertschätzung, die er in Wolfsburg vermisst hatte. „Es war leider nicht so", hatte Knoche zuletzt betont, „dass ich das Gefühl hatte, Wolfsburg will mich unbedingt behalten." Bei Union war er von Beginn an die Wunschverstärkung für die Verteidigung. Der robuste und fleißige Knoche ist trotz seiner eher ruhigen Art hier und da auch als Führungsspieler gefragt und geschätzt. Doch die Umstellung fiel ihm nicht so leicht, wie es nach außen den Anschein hatte. „Es war natürlich ein Umbruch", gab Knoche zu. Der Ortswechsel, die neuen Teamkollegen, das andere Umfeld, das war eine Herausforderung für den Niedersachsen. „Ich hatte den Luxus, dass ich in der Heimat Fußball spielen durfte und die Familie und Freunde im Umkreis wohnten", sagte er. Doch Knoche nahm den Weg raus aus der Komfortzone – und wurde dafür belohnt. Das nehmen auch die VfL-Verantwortlichen zur Kenntnis. „Das was ich sehe", sagte Geschäftsführer Jörg Schmadtke, „ist, dass Robin sehr konstant spielt."
Gegen Wolfsburg erwischte aber auch Knoche keinen guten Tag. Zumindest verhinderte er eine fünfte Gelbe Karte, die ihn gegen Bayer Leverkusen zum Zuschauen gezwungen hätte. Seinem Ex-Club traut er auf jeden Fall die Qualifikation für die Champions League zu. „Sie besitzen eine gewisse Erfahrung und Qualität. Sie stehen nicht umsonst in den internationalen Rängen", sagte Knoche über die Wolfsburger. Dass er dann nicht in der Königsklasse gegen Teams wie Real Madrid oder den FC Barcelona auflaufen kann, stimmt Knoche nicht wehmütig. Schließlich lebt auch noch bei Union Berlin der Traum von Europa. In der neuen Conference League sind die Gegner zwar weniger schillernd und die Einnahmen deutlich geringer, aber für Union wäre es ein noch größerer Erfolg als für Wolfsburg der Sprung in die Champions League. Und es wäre ein gutes Argument für den Trainer, andere Angebote auszuschlagen. Zuletzt wurde Fischer mit dem Nationaltrainerposten seines Heimatlandes Schweiz in Verbindung gebracht. „Im Moment gefällt mir die tägliche Arbeit", sagte Fischer dazu. Er könne sich „aktuell nicht vorstellen, eine Mannschaft nur alle zwei bis drei Monate für einige Tage zu sehen".