Die Produktion des männlichen Geschlechtshormons Testosteron nimmt mit zunehmendem Alter ab. Das ist ganz normal. Nur wenn ein niedriger Testosteronwert Beschwerden verursacht, sollte interveniert werden. Manchmal geht das sogar ohne Chemie.
Ob Knochenwachstum, Muskelaufbau, Verdauung, Sexualtrieb oder Psyche – fast nichts im menschlichen Körper funktioniert ohne Hormone. Die Schaltzentrale für die Bildung der chemischen Botenstoffe liegt in einem Abschnitt des Zwischenhirns, dem Hypothalamus. Alle paar Stunden werden dort Freisetzungshormone produziert. Sie aktivieren die Hirnanhangsdrüse, die Hypophyse, Botenstoffe auszustoßen. Diese wiederum regen andere Drüsen im Körper an, Hormone zu bilden und ins Blut abzugeben. Sobald der Hypothalamus den gestiegenen Hormonspiegel registriert, drosselt er die Produktion der Freisetzungshormone. Wie wichtig die Botenstoffe für den Körper sind, zeigt sich meist erst, wenn die ausgefeilte Selbstregulation aus dem Gleichgewicht gerät. Das gilt auch für den Testosteronspiegel. Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon, es beeinflusst die Entwicklung der Geschlechtsorgane, den typischen männlichen Körperbau mit stärkeren Muskeln, tiefer Stimme und Bart, die Bildung der Spermien, das sexuelle Interesse. Testosteron wird zu 95 Prozent in den Hoden und zu fünf Prozent in den Nebennieren gebildet. Bei Frauen produzieren die Eierstöcke und die Nebennierenrinde geringe Mengen des Sexualhormons.
Mit zunehmendem Alter sinkt der Testosteronspiegel beim Mann. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang und zunächst kein Grund zur Besorgnis. Kommen also auch Männer in die Wechseljahre? „Grundsätzlich nein", erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf ihrem Männergesundheitsportal, „eine vergleichbare hormonelle Umstellung wie bei der Frau im Klimakterium findet beim Mann nicht statt. Ab etwa dem 40. Lebensjahr setzt jedoch eine leichte kontinuierliche Abnahme des Testosteronspiegels ein, die in ausgeprägteren Fällen zu gesundheitlichen Beschwerden führen kann." Typische Probleme bei starkem Testosteronmangel sind Hitzewallungen, nachlassende sexuelle Lust, Müdigkeit, der Rückgang der Muskulatur und der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit. Diese Veränderungen können aber auch durch Stress, das natürliche Altern oder andere Krankheiten verursacht werden. Das ist oft nicht leicht zu unterscheiden. Mithilfe spezieller Fragebögen lassen sich die Anzeichen besser abklären.
Häufig bleibt das Testosterondefizit beim alternden Mann unbemerkt. „Die Symptomatik macht es zur Krankheit, nicht der Wert alleine", erläutert Dr. Frank Uwe Alles von der Klinik für Urologie, Kinderurologie und urologische Onkologie der Saarland-Heilstätten GmbH (SHG) in Völklingen. Das heißt: Nur wenn sich der Mann krank fühlt, sollte bei einem niedrigen Testosteronwert interveniert werden. „Individuell angepasst an den Patienten", sagt der Chefarzt im Gespräch mit unserem Magazin. Testosteron kann als Gel, als Pflaster, in Tablettenform oder intramuskulär verabreicht werden. Eine Depotspritze wirkt vier bis zwölf Wochen. Der Testosteronwert lässt sich auch durch moderaten Ausdauersport anheben. „Ganz ohne Chemie", betont Urologe Alles. Neben ausreichender körperlicher Aktivität wirkt sich eine bewusste Ernährung positiv auf die Testosteronproduktion und damit auf die Lebensqualität aus. Darauf weist die Stiftung Männergesundheit hin. Bei übergewichtigen Männern mit einem niedrig-normalen Testosteronspiegel und leichten Symptomen kann daher zunächst versucht werden, durch Gewichtsabnahme und Muskelaufbau die Testosteronproduktion auf natürliche Weise anzuregen.
Das Klinefelter-Syndrom macht sich häufig erst in der Pubertät bemerkbar
Der Testosteronwert wird aus dem Blut bestimmt und in Nanomol pro Liter angegeben (Abkürzung: nmol/l). Viele Faktoren beeinflussen den Wert, etwa das Alter, Schlafmangel, Leberschäden, starke Unterernährung oder die Einnahme von Drogen. Außerdem verändert er sich im Tagesverlauf, so ist er morgens höher als am Nachmittag. Deshalb ist es schwierig, einen Bereich anzugeben, in dem der Testosteronwert als normal gilt. Als Orientierung kann laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung ein Wert zwischen etwa zehn und 40 nmol/l dienen. Der gemessene Testosteronwert allein darf nicht Grundlage einer Behandlung sein.
Bei niedrigem Testosteronspiegel und den dazugehörigen Testosteron-Mangelsymptomen spricht man von Hypogonadismus. Zwei Arten werden unterschieden: Beim primären Hypogonadismus produziert der Hoden trotz ausreichender Stimulation durch die übergeordneten Hormonzentren zu wenig Testosteron. Ursache sind angeborene Erkrankungen oder eine Verletzung. Beim sekundären Hypogonadismus sind die Hoden zwar prinzipiell funktionsfähig – sie werden aber zu wenig stimuliert, weil die Produktion von Steuerungs-Hormonen im Gehirn gestört ist. Insbesondere im Alter kommt es vor, dass der primäre und der sekundäre Hypogonadismus gleichzeitig auftreten. Setzt der Testosteronmangel bereits vor oder während der Pubertät ein, kann das zu erheblichen körperlichen Entwicklungsstörungen führen: Bei den Betroffenen sind Penis und Hoden klein, die sekundären Geschlechtsmerkmale wie Bartwuchs und Stimmbruch sind ebenfalls nur schwach ausgeprägt oder fehlen ganz.
Beim Klinefelter-Syndrom, der häufigsten Form des angeborenen Hypogonadismus, liegt eine Chromosomenstörung vor. Im Erbgut der betroffenen Männer befinden sich zwei X-Chromosomen statt wie im Normalfall nur eines. Der Defekt wird oft übersehen und bleibt deshalb unbehandelt. Häufig macht sich das Klinefelter-Syndrom erst in der Pubertät bemerkbar. Diese tritt meist verzögert oder gar nicht ein. Typische Symptome sind Hochwuchs und Unfruchtbarkeit. Die genetisch bedingte Krankheit ist nicht heilbar, durch die lebenslange Gabe von künstlichem Testosteron können aber die Symptome behandelt werden. Das Klinefelter-Syndrom tritt bei etwa ein bis zwei von 1.000 männlichen Neugeborenen auf.
Vom altersbedingten Hypogonadismus sind laut Deutscher Gesellschaft für Urologie zwei bis fünf Prozent der Männer zwischen 40 und 79 Jahren betroffen. Besonders häufig zeige sich der Hormonmangel in Zusammenhang mit Übergewicht und einem schlechten Gesundheitszustand, erklärt der Verein in einer Pressemitteilung von 2016. Aber auch Grunderkrankungen wie das metabolische Syndrom und Diabetes mellitus wirken sich negativ auf den Testosteronspiegel aus. Zu den Leitbeschwerden, mit denen Männer in der urologischen Praxis Rat suchen, zählen Erektionsstörungen und Libido-Verlust. Weitere Folgen des Hormondefizits sind Schlafstörungen, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. „Die betroffenen Männer fühlen sich nicht mehr leistungsfähig. Sogar Depressionen können einen Hypogonadismus begleiten", erläutert Prof. Dr. Sabine Kliesch in der Mitteilung. Häufig zeigt sich zudem eine Abnahme der Muskelmasse bei gleichzeitiger Zunahme des gesundheitskritischen viszeralen Bauchfetts. Hinzu kommt, dass ein zu niedriger Testosteronspiegel andere Stoffwechselprozesse negativ beeinflusst. Langfristig leiden das Blutbild und der Knochenstoffwechsel, Übergewicht sowie eine Störung des Zuckerhaushalts werden begünstigt. „Es ist ein Kreislauf: Zum einen fördert ein zu niedriger Testosteronspiegel die Entstehung von Stoffwechselkrankheiten. Zum anderen verstärken bereits bestehende Stoffwechselerkrankungen den Testosteronmangel", erklärt Prof. Sabine Kliesch. Die Hormontherapie sei zwar kein Allheilmittel. Allerdings könne die Gabe von Testosterongelen oder Depotspritzen die Gesundheit und das Wohlbefinden des Patienten deutlich unterstützen. „In dem Moment, in dem ich den Stoffwechselhaushalt auf hormoneller Seite wieder in Ordnung bringe, lassen sich auch andere gesundheitskritische Werte wie ein zu hoher Blutzucker besser behandeln", betont die Urologin und ergänzt: „Studien haben gezeigt, dass ein Diabetiker, der begleitend unter einem unbehandelten Hypogonadismus leidet, früher stirbt als ein Diabetiker mit einem behandelten Testosteronmangel."
Die Zuführung von Testosteron muss allerdings streng abgewogen werden, da sie mit einer Reihe von Risiken verbunden ist. Darauf weist das Männergesundheitsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hin. So kann ein vorhandener Prostatakrebs durch die Gabe von Testosteron schneller und aggressiver verlaufen. Ein bereits vorliegender Prostatakrebs sollte deshalb vor einer Behandlung ausgeschlossen werden, und während der Behandlung mit Testosteron sollten weitere Kontrollen der Prostata erfolgen. Die Testosterongabe kann die roten Blutkörperchen stark erhöhen, was womöglich zu gefährlichen Blutgerinnseln führt. Auch eine Schlafapnoe, also Probleme mit der Atmung beim Schlafen, kann durch Testosterongabe verschlimmert oder gar ausgelöst werden.
Der Bezug von Testosteronpräparaten ohne ärztliches Rezept ist in Deutschland untersagt. Der Missbrauch von Testosteron, etwa beim Doping, kann zu gefährlichen Gesundheitsschäden führen. „Testosterongaben bei Beschwerdefreiheit und/oder normalen Testosteronspiegeln – sozusagen als Lifestyle-Medikation zur Vorbeugung von Alterserscheinungen –
sind nicht anzuraten", betont die Stiftung Männergesundheit in einer Informations-Broschüre.