Bekanntlich gelten Menschenaffen oder Delfine als die cleversten Tiere der Erde. Doch Rabenvögel können in Sachen Intelligenz durchaus mit Schimpansen mithalten, wie neueste Forschungen belegen. Das bewies vor Kurzem ein vergleichender IQ-Test.
Gemeinhin gelten Menschenaffen oder Delfine als die schlauesten Tiere. Doch neueste Forschungen belegen, dass es die Rabenvögel in Sachen Intelligenz durchaus mit Schimpansen aufnehmen können. Das konnte jüngst sogar ein vergleichender IQ-Test beweisen.
Die größeren Raben und die etwas kleineren Krähen, die beide zur Corvidae oder Coviden genannten Familie der Rabenvögel zählen, haben gemeinhin einen extrem schlechten Ruf und wurden lange Zeit als regelrechte Plage angesehen. In europäischen Breitengraden war davon vor allem der am meisten verbreitete Kolkrabe betroffen. Das negative Image der Rabenvögel wurde im Mittelalter begründet, weil die auch Aas fressenden Tiere regelmäßige Stammgäste auf Hinrichtungsstätten waren und ihnen daher das böse Omen der Unglück bringenden „Galgenvögel" angehaftet wurde.
Auch der Hexenwahn trug zur weiteren Stigmatisierung der Vögel bei, weil sie als ständige Begleiter dieser gefürchteten Zauberinnen galten. Basierend auf dem Gerücht, wonach Rabenvögel eine tödliche Gefahr für Schafherden sein könnten, sollte eine gezielte Jagd auf die Tiere einsetzen, was letztlich fast zur Ausrottung der Vögel in deutschen Landen Mitte des 20. Jahrhunderts geführt hatte. Das menschliche Unbehagen vor den Raben wurde natürlich auch noch durch deren düstere Mystifizierung in Büchern oder Filmen weiter geschürt – mit Hitchcocks Schocker-Klassiker „Die Vögel" aus dem Jahr 1963 als Paradebeispiel. In der nordischen Sagenwelt waren die Vögel hingegen hoch angesehen, vertraute doch selbst Göttervater Odin bei vielen Entscheidungen auf den weisen Rat seiner beiden Raben Hugin und Munin, was ihm den Beinamen „Rabengott" einbringen sollte.
Komplexe Denkprozesse sind möglich
In der modernen Wissenschaft hat man lange Zeit eine irgendwie geartete Intelligenz von Vögeln wie den Raben für wenig wahrscheinlich gehalten, weil ihnen die für höhere kognitive Leistungen vermeintlich unentbehrliche und Cortex genannte Hirnrinde im Vorderhirn fehlt, wie sie Säugetiere besitzen. Inzwischen hat sich in der Forschung jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass Vögel wie die Raben über Hirnareale verfügen müssen, die ähnlich aufgebaut sind wie die Großhirnrinde von Säugetieren. Darauf hatte hierzulande 2011 die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Person des Kognitionswissenschaftlers Prof. Onur Güntürkün aufmerksam gemacht: „Da das Gehirn von Vögeln keinen Kortex aufweist, wurde angenommen, dass Vögel nicht zu komplexen intelligenten Handlungen fähig sind. Mittlerweile mehren sich die Belege, dass vor allem Rabenvögel kognitive Leistungen erbringen, die auf dem Niveau von Schimpansen liegen beziehungsweise sie teilweise übertreffen. Gleichzeitig haben neurologische Studien die Organisation des Vorderhirns von Vögeln teilweise entschlüsseln können. Sie zeigen, dass Vögel einen ganz eigenen Weg bei der Evolution ihres Vorderhirns eingeschlagen haben. Die neuen Erkenntnisse legen eine aufregende Vermutung nahe: Es gibt viele parallele neuronale Wege, um komplexe Denkprozesse zu erzeugen. Der Kortex ist nur einer davon."
Auffällig war, dass im Lauf der letzten Jahre in diversen Studien zur Intelligenz im Tierreich immer wieder ein Vergleich zwischen Schimpansen und Raben gezogen wurde. Dabei wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob Vögel wie Raben am Ende sogar schlauer sein könnten als Delfine oder gar einige Primaten. Noch 2015 hatte der Kognitionsbiologe Dr. Jorg Massen von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle der Universität Wien vor zu großen Erwartungen bezüglich einer aussagekräftigen Antwort gewarnt: „Intelligenz zwischen unterschiedlichen Arten ist schwer zu vergleichen. Man müsste dieselben Tests unter den gleichen Bedingungen machen. Aber es ist bekannt, dass Raben und Krähen zu den intelligenten Tieren gehören."
Jüngst hatten nun Forscher der Universität Osnabrück und des Max-Planck-Instituts für Ornithologie im bayerischen Seewiesen unter Leitung der Kognitionsbiologin Prof. Simone Pika genau den von Prof. Massen geforderten Test durchgeführt und die verblüffenden Studienergebnisse im Dezember 2020 im Fachmagazin „Scientific Reports" veröffentlicht. Dazu hatten sie einen ursprünglich speziell auf Primaten zugeschnittenen IQ-Test auf Raben in dem Sinn angepasst, dass die Vögel die Aufgaben mit ihrem Schnabel bewältigen konnten. Erklärtes Ziel war es, die physischen und sozialen Fähigkeiten von Kolkraben mit denen von Schimpansen und Orang-Utans zu vergleichen. Als Probanden dienten acht Raben im Alter von vier, acht, zwölf und 16 Monaten, die speziell für diese Studie von Miriam Sima vom Max-Planck-Institut für Ornithologie im Rahmen ihrer Doktorarbeit aufgezogen worden waren.
Im ersten Testteil mussten die Raben neun Aufgaben aus dem Bereich der physischen Intelligenz bewältigen. Dazu gehörten räumliches Denken oder das Verständnis von Mengen und Kausalketten. Dafür kam beispielsweise das bekannte Hütchenspiel zum Einsatz, bei dem die Tiere mithilfe ihres Schnabels aufzeigen sollten, unter welchem der vor ihnen hin- und herbewegten Becher die für sie bereitgehaltene Leckerei versteckt war. Im zweiten Testteil wurde die soziale Intelligenz anhand von sechs Aufgaben auf die Probe gestellt. Dabei sollten die Tiere beispielsweise ihre Fähigkeit zum Deuten ganz bewusster menschlicher Hinweisgesten, Signale oder Blickrichtungen zur Erleichterung der Futtersuche unter Beweis stellen. Auch die den Raben schon in früheren Experimenten bestätigte Fähigkeit zur sogenannten Theory of Mind, dem Erkennen, was in anderen Artgenossen bewusstseinsmäßig vorgeht und deren Intentionen durch direkten Vergleich mit dem eigenen mentalen Zustand zu deuten, wurde einer Prüfung unterzogen.
Die Ergebnisse: Sowohl bei den physischen wie bei den sozialen Aufgaben schnitten die Raben mehr als respektabel ab. Man könnte in Sportlersprache von einem Unentschieden zwischen Raben und Schimpansen/Orang-Utans sprechen. „Der quantitative artenübergreifende Vergleich ergab, dass die kognitive Leistung unserer Vögel mit Ausnahme der räumlichen Fähigkeiten mit der von Orang-Utans und Schimpansen vergleichbar war", so Prof. Simone Pika. Warum die Vögel ausgerechnet beim räumlichen Denken so mäßig abgeschnitten hatten, einer Fähigkeit, die sie eigentlich von Natur aus allein schon wegen des Fliegens besonders gut beherrschen müssten, war für die Forscher nicht ganz nachvollziehbar. Sie führten dafür verschiedene Erklärungsansätze ins Feld. Zum einen könne es sein, dass genau in diesem Testbereich die Übertragung des Affen-Intelligenz-Tests methodische Schwachpunkte aufweise, zum anderen sei nicht auszuschließen, dass sich die räumliche Intelligenz erst in einem späteren Lebensabschnitt nach dem 16. Monat voll ausbilden könne. Und es sei auch durchaus möglich, dass die Raben von sich aus geschummelt hätten, weil sie auch in freier Wildbahn daran gewöhnt seien, zur Täuschung von Artgenossen falsche Futterverstecke preiszugeben. Daher sei es denkbar, dass sie ganz gezielt auf das falsche Hütchen gezeigt hätten, um das Leckerli zu schützen.
Rabenvögel lernen ein Leben lang dazu
Auffallend gute Leistungen zeigten die Raben im Unterscheiden von Mengen und im Verstehen von Kausalitäten. Aber auch in der sozialen und kommunikativen Kompetenz waren sie den Schimpansen und Orang-Utans ebenbürtig. Überraschend war zudem für die Wissenschaftler, dass die Raben ihre intelligenten Fähigkeiten schon in sehr frühem Alter entwickelt hatten. Sprich, die vier Monate alten Jungraben schnitten bei den Tests kaum schlechter ab als die 16 Monate alten Tiere. Laut den Forschern dürfte das damit zusammenhängen, dass junge Raben schon sehr früh selbstständig werden und sich im komplexen Sozialgefüge der Vögel durchsetzen müssen. „Zusammengefasst demonstrieren die Experimente, dass die kognitiven Leistungen unserer Raben denen von erwachsenen Menschenaffen ebenbürtig waren. Das stärkt die Vorstellung, dass Raben ein flexibles und umfassendes neuronales System für höhere Intelligenzleistungen entwickelt haben, statt nur in einigen hochspezialisierten Bereichen zu glänzen", sagt Prof. Simone Pika. Als nächsten Schritt planen die Wissenschaftler weitere Test-Batterien, in denen nicht nur menschenspezifische, sondern vor allem auch artspezifische Fähigkeiten der Raben miteinbezogen werden sollen und dabei ein größerer Schwerpunkt auf den Einfluss von Sozialisierung und Entwicklung auf die kognitive Leistung der Vögel gelegt werden sollte.
Auch in früheren Studien der letzten Jahre hatten Rabenvögel ihre Intelligenz schon unter Beweis stellen können. Im Juni 2020 hatten internationale Verhaltensforscher unter Mitwirkung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte und der Universität Konstanz herausgefunden, dass die Raben ihre bemerkenswerten kognitiven Fähigkeiten wohl hauptsächlich der ausgedehnten Kindheitsphase unter elterlicher Fürsorge zu verdanken haben. Das Schimpfwort „Rabeneltern" trifft auf die Vögel daher keinesfalls zu. „Menschen wie Rabenvögel verbringen ihre Jugend damit, wichtige Fertigkeiten zu erwerben, umgeben von Erwachsenen, welche den langen Lernprozess tolerieren und unterstützen. Zudem besitzen Rabenvögel und Menschen die Fähigkeit, lebenslang zu lernen – eine flexible Art der Intelligenz, die es Individuen erlaubt, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen", meinen die Studien-Autoren. Im November 2020 konnte ein internationales Wissenschaftsteam unter Leitung des Österreichers Dr. Markus Böckle aufdecken, dass Krähen offenbar die Fähigkeit zum Vorausplanen besitzen, was bislang einzigartig für Menschen angesehen wurde. Sie hatten sich einfache Werkzeuge für eine Aufgabe gebastelt, die sie erst später in Angriff nehmen mussten. Die Fähigkeit zum Herstellen von Werkzeugen, beispielsweise das Zusammenstecken von kleinen Stöckchen zu einem längeren Stab, hatten Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie und der Universität Oxford bereits 2018 in einer Studie mit acht Krähen bestätigen können. Verschiedene Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass sich Raben Gesichter von Menschen merken können, was ein Langzeitgedächtnis voraussetzt. Die Tiere konnten sich noch monatelang später daran erinnern, welcher Mensch ihnen Gutes und welcher ihnen Schlechtes angetan hatte. Auch im sozialen Umgang mit Artgenossen sind sie offenbar dazu in der Lage, verlässliche von unzuverlässigen Partnern dauerhaft unterscheiden zu können.