Seit Mai leitet ein neuer Intendant die Geschicke des Saarländischen Rundfunks. Martin Grasmück über Journalismus im Zeitalter von Fake News, den „public value" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die neuen Herausforderungen des SR.
Herr Grasmück, zunächst einmal noch Glückwunsch zur Wahl zum Intendanten, nicht im ersten Wahlgang, aber das ist beim SR nicht ungewöhnlich.
Herzlichen Dank. Die Hürden sind bei der Wahl sehr hoch gesetzt, mit einer Zweidrittel-Mehrheit, die für die ersten sechs Wahlgänge notwendig ist. Ich war aber schon zu Beginn sehr zuversichtlich aufgrund des Rückhalts, den ich verspürt habe. Ich hatte bereits im ersten Wahlgang über 50 Prozent, als noch alle drei im Rennen waren. Am Ende war es im siebten Wahlgang eine gute Zweidrittel-Mehrheit, wobei dann eine einfache Mehrheit gereicht hätte. Ich freue mich über diese breite Mehrheit und spüre auch seither die Unterstützung in den Gremien. Das ist auch wichtig angesichts der Herausforderungen und ein starkes Signal für den Saarländischen Rundfunk.
Im Nachhinein betrachtet: Welche Rolle hat die lange Verwurzelung im eigenen Haus gespielt?
Die ist sehr wichtig und macht ja auch meine Persönlichkeit aus. Ich war ja als parteiloser Kandidat im Rennen, der die Verwurzelung und Kompetenz im SR aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mitbringt. Ganz stark natürlich meine journalistische Perspektive als Programmmacher, aber auch die Perspektive, die ich in der Intendanz über neun Jahre erworben habe. Auch in der ARD habe ich mir über viele Jahre ein Netzwerk aufgebaut, dazu die Kompetenz für das Saarland, für das Haus und die Programme. Das alles habe ich zur Wahl gestellt, und das hat am Ende überzeugt.
Die Herausforderungen haben sich nicht geändert. Wie beim Vorgänger dürfte sich viel um die finanzielle Situation drehen?
Die Existenz des Saarländischen Rundfunks und damit die finanzielle Situation sind immer die großen Daueraufgaben, denn eine vernünftige finanzielle Ausstattung ist die Basis für alles, was am Ende im Programm passiert und was der SR als Faktor in diesem Land bewegen kann. Es ist ganz klar die erste Aufgabe, diese Basis abzusichern, immer wieder darum zu kämpfen, dass wir diesen Spielraum haben. Intendant sein geht aber darüber hinaus. Wir müssen uns programmlich weiterentwickeln mit Blick auf die Herausforderungen in der digitalen Medienwelt. Wir kommen als Rundfunkanstalt im besten Sinne von der linearen Ausstrahlung nach dem alten Sender-Empfänger-Prinzip. Das wird in vielen Bereichen auch noch viele Jahre so bleiben, weil viele Menschen so sozialisiert wurden. Ich gehöre auch zu dieser Generation. Die Tagesschau beginnt um 20 Uhr, der Tatort um Viertel nach Acht, der „Aktuelle Bericht" um 20 nach Sieben. Danach haben die Älteren oft ihre Tagesstruktur ausgerichtet. Bei der Generation, die jetzt heranwächst, gibt es einen Bruch, spätestens ab der Pubertät. Jugendliche und junge Erwachsene –
und längst nicht mehr nur die – sind auf Plattformen unterwegs, die nicht unbedingt zum öffentlich-rechtlichen System gehören. Wir müssen es schaffen, diese Generation, die die Zukunft darstellt, wieder mit Angeboten zu erreichen, mit gutem Journalismus und guter Unterhaltung. Dafür müssen wir unsere Arbeit ganz neu definieren. Ich bringe da eine gewisse Erfahrung mit als Programmchef der sogenannten Netzwerkstatt, die schon einige Formate auf den Weg gebracht hat. Ich nenne etwa da das Format „Offen un‘ ehrlich", das wir für „Funk", das ARD-ZDF-Jugend-Contentnetzwerk, produzieren. Das ist inzwischen das mit weitem Abstand erfolgreichste Webvideo-Format des Saarländischen Rundfunks – und es ist bereits für den Grimme-Preis nominiert worden. Dort wird nach ganz anderen Kriterien produziert als beim Fernsehen, aber mit dem selben journalistischen Anspruch und hohem investigativen Aufwand. Die Kunst ist, eine Sprache zu finden, die im Netz funktioniert und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür zu finden und zu qualifizieren.
Die digitale Welt funktioniert nach anderen Kriterien. Wo bleibt da der „klassische Journalismus"?
Wichtig ist, dass wir mit journalistischem Anspruch auf diesen neuen Plattformen präsent sind, um unseren Auftrag für unsere Gesellschaft zu erfüllen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllt einen Auftrag für die Gesellschaft – und das nicht als Staatsfunk, sondern als ein Medium, das gutem und unabhängigem Journalismus verpflichtet ist. Das ist mir auch persönlich ganz wichtig. Was in weiten Teilen des Netzes passiert, ist oftmals gezielte Desinformation. Die Plattformen unterstützen das auch noch, denn ihre Algorithmen „freuen" sich regelrecht, wenn viel diskutiert wird und es dann kracht. Im schlimmsten Fall führt das auch dazu, dass Menschen sich in ihren Filterblasen einmauern und deshalb gar nicht mehr zugänglich sind für objektive Berichterstattung. Alternative Fakten werden so zu vermeintlich realen Fakten. Wir sind hier jedoch der Wahrheit verpflichtet. Das war immer mein Ansatz als Journalist, und das ist für alle unsere Programme der Maßstab, egal auf welchen Plattformen wir uns bewegen. Das schaffen wir aber nur, wenn wir mit Formaten unterwegs sind, die auch funktionieren. Das ist ja kein Neuland, wir sind schon auf diesen Plattformen unterwegs, aber wir müssen uns ständig weiterentwickeln. Die Geschwindigkeit der Veränderung ist wahnsinnig hoch, und dem wollen wir uns anpassen. Dabei können wir sicher noch mehr Gas geben. Als Intendant will ich dies noch stärker anschieben.
Eine Pisa-Studie hat zuletzt gezeigt, dass junge Menschen immer weniger zwischen Fakten und Meinung unterscheiden können. Ist das die Zukunft unserer Gesellschaft?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Politik, aber auch wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk das Thema Medienkompetenz viel stärker betonen müssen – übrigens nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei Erwachsenen. Soziale Netzwerke und Plattformen werden ja inzwischen von allen genutzt. Ich glaube, dass wir ungemein viel dafür tun müssen, dass bewusst ist, wie solche Plattformen funktionieren, nach welchen Maßstäben dort Meinung gemacht wird, welche gezielte Einflussnahmen auch von außen stattfinden. Natürlich muss man aber auf jeden Fall bei den Kindern anfangen, denn der Medienkonsum beginnt ja auch viel früher als noch in meiner Generation.
Im politischen Raum haben, so scheint es, die Angriffe gegen das öffentlich-rechtliche System zugenommen. Was antworten Sie denen?
Wir haben das Privileg, dass wir aufgrund der Beitragsfinanzierung unabhängig sind. Das ist aber gleichzeitig auch Verpflichtung im Rahmen unseres Auftrags als freies Medium. Ich glaube an die föderale Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nicht nur, weil ich Vertreter einer Landesrundfunkanstalt bin. In der Verwurzelung in der Region liegt eine besondere Kraft. Der SR ist ein Stück Heimat, der SR stiftet Identität, der SR ist Brücke zu Frankreich. Wir sind eine der beliebtesten Institutionen im Land. Die föderale Struktur ist auch unheimlich stark gegen Angriffe von außen. Wir sehen in Osteuropa, wie schnell es Regierende schaffen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ihrem Sinn umzubauen. Gegen solche Angriffe wären wir in der föderalen ARD-Struktur viel stärker geschützt. Wir sind eine Arbeitsgemeinschaft von regionalen Anstalten, die zugleich aber gemeinsam einen nationalen Auftrag erfüllen. Das ist historisch so gewollt und gewachsen, weil man aus der Vergangenheit gelernt hat. Hier gab es den Reichssender Saarbrücken, einen gleichgeschalteten Rundfunk, ein Propaganda-Instrument. Deshalb hat man nach dem Krieg dafür gesorgt, dass Entscheidungen nicht mehr nur an einer Stelle getroffen werden. Heute sehen viele leider nur noch vermeintlich teure Strukturen und vergessen diesen Hintergrund. Wir haben als SR unsere Hausaufgaben jedoch gemacht, schlanke Strukturen geschaffen und machen mit einem knappen Budget ein sehr ambitioniertes Programm.
Das hat Ihr Vorgänger Thomas Kleist in weiten Teilen genauso gesagt. Das heißt also: im Wesentlichen Kontinuität?
Ich bin Thomas Kleist sehr dankbar, denn er hat über Jahre viel für den Sender erreicht. Nach zwei Finanzausgleichsverhandlungen waren wir eigentlich auf einem anständigen Level. Die ARD hat sich hier auch erneut solidarisch gezeigt, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin. Jetzt haben wir leider das Problem, dass durch die Entscheidung in Sachsen-Anhalt die geplante Beitragserhöhung nicht gekommen ist und wir auf einen Richterspruch aus Karlsruhe (Anm. d. Red.: Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht) warten. Also mit Bezug auf die Finanzen ganz klar Kontinuität. Von der Perspektive auf unsere Angebote bringe ich als Journalist und Hausgewächs sicher eigene Sichtweisen mit. Im Vergleich zu einem Juristen habe ich natürlich einen anderen Blick aufs Programm, das ich auch selbst mitgestaltet habe. Es wird aber auch hier keinen Bruch geben, der SR bleibt der SR, aber er wird Zug um Zug weiterentwickelt werden. Wir werden uns immer wieder modernisieren, da darf es keinen Stillstand geben. Wenn wir heute mit uns zufrieden sind und nicht die Kraft haben, uns immer wieder zu hinterfragen, sind wir morgen abgemeldet. Das darf nie der Fall sein. Mein Motto dabei ist: viele kleine Schritte machen. Ich bin kein Freund von Revolutionen, die man lange vorbereitet, und dann ist von heute auf morgen alles anders. Ich halte mehr von vielen kleinen Schritten, um dabei immer frisch zu bleiben. Das ist auch wichtig, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen und ihre Kompetenzen zu nutzen. Denn der Intendant macht ja nicht von oben herab das aktuelle Programm, er sorgt dafür, dass die Rahmenbedingungen stimmen und die Leitplanken klar sind.
Wir stehen jetzt vor Wahlen, und da wird immer besonders sensibel aufgepasst. Wie beschreiben Sie das Verhältnis von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Politik?
Ich war bereits als landespolitischer Korrespondent tätig. Mir als Journalist hat nie jemand von oben in meine Berichterstattung reingeredet. Das Programm schaut, dass es nach objektiven Kriterien journalistisch sauber arbeitet. Als Intendant halte ich dabei dem Programm den Rücken frei. Das ist auch wichtig, denn unsere Verantwortung ist wahnsinnig hoch, weil sich viele Menschen über unsere Berichterstattung ihre Meinung bilden.
Aber Parlamente entscheiden über Gebühren.
Das ist richtig. Und Politikerinnen und Politiker sind auch in Gremien vertreten. Ich kann aber auch sagen, dass ich nicht wahrnehme, dass der Saarländische Rundfunk über Gremien politisiert wird. Im Rundfunkrat und im Verwaltungsrat geht es um Sachthemen, sicher auch um Medienpolitik, aber vor allem um Existenzsicherung und Entwicklung. Meine Wahl als parteiloser Kandidat, der aufgrund seiner Herkunft und Kompetenz gewählt wurde, ist in diesem Sinne ein ganz starkes Statement. Was aus meiner Sicht wichtig ist, ist, dass es einen starken Rückhalt für den Sender in der Politik im Land gibt. Das finde ich völlig okay, denn dieser Sender ist ein Schatz für das Land. Das war in der Vergangenheit auch immer Konsens in der Politik, auch parteiübergreifend. Bei einer Partei muss ich heute allerdings Fragezeichen machen. Aber insgesamt gibt es viel Unterstützung, wenn es darum geht, dass der Sender eine gute wirtschaftliche Grundlage für seine Arbeit hat.
Wie erklären Sie sich, dass der Öffentliche-rechtliche Rundfunk in bestimmten Kreisen fast schon ein Lieblingsangriffsziel geworden ist?
Bestimmten politischen Strömungen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Dorn im Auge, vermutlich auch, weil er eben nicht zu kontrollieren ist. Die legen Wert darauf, die Menschen nur mit ihren politischen Inhalten zu erreichen. Das hat nichts mit Journalismus zu tun. Von daher werden wir aus einer solchen Ecke durchaus auch angegriffen. Das gilt dann auch für Forderungen nach Abschaffung der Rundfunkbeiträge, die von diesen Kreisen bewusst „GEZ-Gebühr" oder „Zwangsgebühr" genannt wird. Damit muss man sich auseinandersetzen. Ich glaube, dass wir selbst noch mal sehr viel stärker darstellen müssen, welchen Wert, welchen public value wir für die Gesellschaft, haben. Wir haben das vielleicht für zu selbstverständlich genommen in unserer täglichen Arbeit und dabei vergessen, dass sich viele Menschen ihre Informationen aus dem Netz holen, ohne deren Verlässlichkeit und deren Quelle zu kennen. Im Netz werden Sensation und Schnelligkeit viel stärker belohnt. Informationen werden da schnell rausgehauen, ohne dass sie überprüft wurden. Gute Journalisten sind da immer ein Stück langsamer, weil sie erst mal Quellen checken, und das braucht seine Zeit. Deshalb müssen wir auch noch mal viel stärker vermitteln, wie wir arbeiten. Ich habe eine Zuschrift eines Zuschauers bekommen, der beim „Aktuellen Bericht" gesehen hat, wie viele Moderatorinnen und Moderatoren auf dem Bildschirm sind – das war ihm schon zu teuer. Ich habe ihm dann persönlich versucht zu erläutern, wie eine Sendung wie der „Aktuelle Bericht" entsteht. Das ist vielleicht ein Beispiel dafür, dass wir viel stärker in den Dialog gehen müssen. Da sehe ich auch eine Aufgabe in meiner neuen Rolle, auf die ich mich auch freue, nämlich mit Menschen in Kontakt sein, ihnen auch diesen „public value", den der SR für das Saarland und jeden persönlich darstellt, nahezubringen.