Die Defa wäre dieses Jahr 75 geworden. Wohlgemerkt: wäre, denn das einstige Filmunternehmen der DDR bestand nur 46 Jahre. Seit 1998 kümmert sich die Defa-Stiftung um das Erbe.
Wer erinnert sich noch an den nackten Mann auf dem Sportplatz, an Sabine Wulf oder an die „Sieben Sommersprossen"? Die Menschen westlich von Spree und Havel wahrscheinlich eher nicht. Für viele Deutsche zwischen Ahrenshoop und Zwickau aber gehören sie zu den Jugenderinnerungen – die Filme der Deutschen Film AG, kurz Defa genannt. 700 Spielfilme und 450 fiktionale Kurzfilme, 950 Animationsfilme sowie 2.000 Dokumentarfilme entstanden zwischen 1946 und 1992. Hinzu kamen 6.700 deutschsprachige Synchronisationen ausländischer Filme. Vergessen wird der ein oder andere Filmbesucher über 50 auch eine ganz besondere Filmpremiere nicht. Während drinnen das Publikum im Kino „International" bewegt dem ersten Defa-Film folgte, der das Thema Homosexualität aufgriff, fiel draußen die Mauer. Das war am 9. November 1989.
Die Anfänge der Defa reichen zurück bis in die letzten Kriegstage 1945. Bereits am 28. April erlaubte der sowjetische Stadtkommandant von Berlin die Eröffnung von Theatern und Lichtspielstätten. Doch welche Filme sollten dort laufen? Denn die deutsche Filmindustrie war ja noch nicht entnazifiziert. Im Herbst 1945 begannen deshalb Beratungen über den Aufbau einer neuen Filmproduktion in der sowjetischen Besatzungszone. Am 19. Februar 1946 kam die neue Wochenschau „Der Augenzeuge" in die Kinos. Mitte März begann Regisseur Wolfgang Staudte mit den Dreharbeiten für den ersten Defa-Film „Die Mörder sind unter uns". Und zwar in den Filmstudios in Babelsberg, einst das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt und heute das größte Filmstudio Europas.
Es war der 17. Mai 1946, als die Defa aus der Taufe gehoben wurde. Bis August wurden fünf Spielfilme produziert. Die Premiere von „Die Mörder sind unter uns" am 15. Oktober war für die damals noch junge Hildegard Knef in einer der Hauptrollen der Beginn einer internationalen Karriere. Im November 1947 richtete das Zentralsekretariat der SED eine Deka-Kommission als Zensurbehörde ein. Sie musste Produktionsplanung, Rohschnitt und Endfassung aller Filme genehmigen. Ende 1952 wurde dann die Staatliche Abnahmekommission für Spielfilme bei der Hauptverwaltung Film installiert.
2.000 Dokus und 700 Spielfilme
1950 gingen die Filmbetriebe, Ateliers und Kopierwerke in Berlin und Potsdam sowie der Progress Film-Vertrieb in DDR-Volkseigentum über. Später folgten weitere wie das Defa-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme oder das Synchronstudio. Das bedeutete nun auch für die Filmwirtschaft: Planerfüllung. Zudem stellte die Parteiführung eine „Entfremdung zwischen Künstlern und Volk" fest. Auf der ersten Bitterfelder Konferenz 1959 entstanden Ideen wie „Künstler in die Fabriken". Doch das erwies sich als Flop. Auch die Jugend machte der Partei Probleme, und das elfte Plenum des Zentralkomitees der SED stellte 1965 sogar einen „Verfall der Sitten" fest. Die Schuldigen waren schnell gefunden: das Westfernsehen ebenso wie Kunst und Kultur. Von den 21 im Jahre 1965 produzierten Spielfilmen wurden zwölf verboten oder die Produktion wurde gestoppt. Dazu gehörten „Das Kaninchen bin ich" und „Denk bloß nicht, ich heule". Ein Jahr später traf es dann Filme wie „Karla" und „Spur der Steine" mit Manfred Krug. Es gab Arbeitsverbote bei der Defa, gesellschaftskritische Themen waren in den folgenden Jahren erst einmal tabu.
Die Entspannungspolitik in den 70er-Jahren brachte dann auch für die Kultur mehr Freiheiten. Bei der Defa entstanden die Klassiker „Die Legende von Paul und Paula" und „Jakob, der Lügner", der es 1977 als einziger DDR-Film zu einer Oscarnominierung brachte. Mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns im gleichen Jahr zeigten sich jedoch die Grenzen der neuen Offenheit.
Eindrucksvolle Frauenporträts wurden dann in den 80er-Jahren gezeigt. Einige von ihnen wie „Die Beunruhigung" erzielten Besucherrekorde. Für „Solo Sunny" gab es bei der Berlinale 1980 den Filmkritikerpreis und einen Silbernen Bären für Hauptdarstellerin Renate Krößner. „Die Gegenwartsfilme geben uns durch Szenenbild, Musik oder Kostüme ein Gefühl für das Leben in der DDR, wie es kein Geschichtsbuch vermag", sagt die Medienwissenschaftlerin Stefanie Eckert. Für sie gewähren die Filme aus dem Erbe der Defa einmalige Einblicke in den Alltag der Menschen.
Im Jahr 1990 sollte „Novalis, die blaue Blume" der letzte Film sein, der dort unter dem Defa-Logo gedreht wurde. Aus dem Volkseigenen Betrieb (VEB) wurde am 1. Juli 1990 die Defa-Studio Babelsberg GmbH. Im Jahr 1992 kaufte ein französischer Konzern die GmbH. Damit wurde auch Defa aus dem Namen gestrichen.
Großes Interesse auch in den USA
1998 wurde die Defa-Stiftung gegründet und ihr der Filmstock übertragen. Ihre Hauptaufgabe ist die Bewahrung des Kinoerbes der DDR. Die Filmexpertin Stefanie Eckert ist seit 2020 die Vorständin der Stiftung.
Dazu gehört auch die Langzeitdokumentation „Lebensläufe – Geschichte der Kinder von Golzow in einzelnen Porträts" von Winfried und Barbara Junge. Mehr als 45 Jahre begleiteten die Filmemacher Schüler am Oderbruch in Brandenburg und machten 20 Filme daraus. Damit ist dieser Defa-Film die umfangreichste Langzeitdokumentation der Filmgeschichte.
„Unser Ziel ist es, das Defa-Erbe auf verschiedenen Wegen – im Kino, im Fernsehen, auf DVD/Blu-Ray oder online – zugänglich zu machen und lebendig zu halten", so Stefanie Eckert. Zwar lebe das Kernpublikum sicherlich nach wie vor in den ostdeutschen Bundesländern, aber es gebe auch viel Interesse darüber hinaus. Zum Beispiel in den USA. Seit 1993 widmet sich an der University of Massachusetts die Defa Film Library, das einzige Archiv- und Forschungszentrum außerhalb Deutschlands, dem Spektrum des Filmemachens in der DDR. Zwischen der amerikanischen Universität und der Stiftung besteht eine enge Partnerschaft.
„Das eine Defa-Archiv gibt es im Grunde gar nicht", erklärt Stefanie Eckert. So werden unter anderem Filmrollen im Bundesarchiv aufbewahrt, wegen der besonderen Lagerbedingungen. Dort sind auch die meisten Produktionsunterlagen archiviert. Für Forschende sind auch das Filmmuseum Potsdam oder die Akademie der Künste mit ihren Nachlässen und Sammlungen wichtig. Die Stiftung nutzt die Archive für ihre Schriftenreihe. Derzeit wird an Büchern zum Genrekino und über den Regisseur Slatan Dudow gearbeitet. Zu den Aufgaben der Stiftung gehört aber ebenso die Digitalisierung der klassischen analogen Filme. Seit 2012 sind das über 500 Lang- und Kurzfilme. Auch die Berlinale nutzte sie vor einigen Jahren für eine Retrospektive zu deutschen Filmregisseurinnen. Damit wird der ein oder andere Defa-Film wohl noch eine ganze Weile weiter laufen. Zumindest vor dem inneren Auge der Cineasten.