Zehn Jahre war Christian Heinz Jugendpfarrer in Saarbrücken. Zuletzt sorgte die Jugendkirche „eli.ja“ mit der Regenbogenfahne am Kirchturm für Aufmerksamkeit. Der 40-Jährige spricht über Zweifel und Irritationen, Frauen und Kirche sowie neue Wege.
Nach zehn Jahren wird Jugendpfarrer Christian Heinz Saarbrücken verlassen und im Sommer in der Pfarrei Hermeskeil einen Neuanfang starten. Für ihn ist es wichtig, selbst loszulassen und frische Luft zu schnuppern, denn „Glaube heißt auch unterwegs sein“.
Auch in Christian Heinz löst die Pandemie, wie in jedem anderen Menschen, Zweifel aus. Er hätte sich erhofft, dass Christinnen und Christen – und auch er selbst – in der Lage wären, noch stärker zu zeigen, dass sie gut mit der Krise umgehen können. „Damit meine ich nicht, dass Gott einen vor Corona schützt und man deswegen keine Masken tragen oder sich nicht impfen lassen muss, sondern dass der christliche Glaube eine Lebensressource darstellen kann, die hilft durch diese Pandemie zu kommen“, erklärt er. Für ihn hat die Pandemie das Thema eigenständig Christ sein, stark in den Fokus gerückt. Aus diesem Grund betrachtet er es als seine Aufgabe, den Menschen entsprechende Hilfsmittel an die Hand zu geben. „Ich glaube daran, dass das Christentum dahingehend auch etwas zu bieten hat“, erzählt er und weist darauf hin, dass hinter privat gelebter Religiosität immer auch eine starke Gemeinschaft steht.
„Kirche ist da, um Menschen zu segnen“
Der Glaube kann den Menschen in einer solchen Zeit Kraft spenden. Die Institution, die dahintersteht, kann jedoch genauso viel Kraft rauben. Denn erst vor Kurzem hat die katholische Kirche erneut die Segnung homosexueller Paare abgelehnt und damit viel Kritik aus den eigenen Reihen geerntet. Christian Heinz schmückte die Kirche der Pfarrei St. Johann daraufhin mit einer großen Regenbogenflagge. Allerdings will er damit nicht nur bloße Sympathie mit homosexuellen Menschen ausdrücken. „Ich würde jetzt mal grundsätzlich sagen, Homosexualität ist die Privatsache jedes einzelnen Menschen. Wer bin ich, beziehungsweise wer ist die Kirche, darüber zu richten? Warum muss ich das bewerten? Es geht auch um die Frage: Wie gehen wir mit den Menschen um? Und zwar nicht nur mit Homosexuellen, sondern mit allen Menschen. Ich bin nicht Priester geworden, um fortwährend zu kommunizieren ‚Wie geht Kirche mit Homosexuellen um?‘, sondern ich bin Priester geworden, um Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten und von Gott zu erzählen“, erklärt er. In seiner Sorge um die Menschen, die in der Pandemie Kraft aus dem Glauben beziehen und mit dieser Sache vor den Kopf gestoßen wurden, war die Flagge nicht ausschließlich ein Statement für Homosexuelle, denn „ob Homosexuelle das wirklich nötig haben, weiß ich nicht. Aber die Kirche hat es nötig“, fügt der Jugendpfarrer hinzu.
Die immer fortwährenden Diskussionen um Probleme, deren Lösungen längst überfällig sind, frustrieren ihn. „Immer wieder tauchen neue Geschichten auf. Man fragt sich: Wie kann das sein? Und es führt dazu, dass wir nicht mehr über den Glauben sprechen. Gerade bei jungen Leuten, die sich über den Glauben äußern, heißt es dann häufig als Reaktion: Was willst du denn in dieser Verbrecherorganisation, die Kindermissbrauch vertuscht?“ Zur Frage des Segens erklärt er: „Kirche ist dafür da, um Menschen zu segnen. Und zunächst einmal ist es egal, wen, denn es geht darum, großzügig damit umzugehen.“ Es macht den Jugendpfarrer nachdenklich, dass vor allem die Entscheidungsträger mit Sitz in Rom ständig das Argument anführen, sie hätten keine Vollmacht. „Das finde ich schon fatal, weil man sich fragt, wie man so überhaupt diskutieren oder weiterkommen soll“, erzählt der Jugendpfarrer.
Diese Begründung kommt auch bei der Frage nach Frauen in kirchlichen Ämtern zum Einsatz. Zwar weist Christian Heinz darauf hin, dass die Wirklichkeit komplexer ist als man denkt und durchaus Frauen in wichtigen Positionen zu finden sind. Der Zugang zu Weiheämtern ist ihnen jedoch untersagt. Repräsentative Ämter, die mit einer gewissen Macht und einer Bühne verbunden sind, bleiben weiterhin Männern vorbehalten. In einer Gesellschaft, die sich zu einem großen Teil über Bilder inszeniert, betrachtet Christian Heinz auch diese Tatsache kritisch. „Es wird ja diskutiert, mit Diakoninnen und dann vielleicht auch Priesterinnen anzufangen. Ich persönlich würde mal überlegen, was wäre, wenn man von der Spitze anfängt. Wenn man die Frauenbewegung wirklich ernst nehmen möchte, sollte man sich doch die Frage stellen, warum nicht zumindest theoretisch an der Spitze dieses weltweiten Konzerns keine Frau stehen kann. Oder eine Doppelspitze aus zwei Geschlechtern. Es gäbe so viele Denkmöglichkeiten“, erklärt er.
Pfarreien sollen „flexibler, pulsiererender und lebendiger“ werden
Möglicherweise muss man sich in diesem Kontext die Frage stellen, warum Menschen auf der Suche nach einer anderen Art der Glaubenserfahrung sind. Charismatische Gruppierungen, die sowohl in freikirchlichen, evangelischen und katholischen Gemeinden aktiv sind, gelangen auch in Deutschland immer stärker an die Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich um christliche, konfessionsübergreifende, geistliche Strömungen, die beanspruchen, die Gaben des Heiligen Geistes hervorzuheben, indem sie Glaubenserfahrung mit Hilfe von Spiritualität und dem intensiven Gebet in den Mittelpunkt rücken. Auch hier will Christian Heinz kein Richter sein, jedoch fügt er hinzu: „Diese Gruppierungen sind mir manchmal in ihrer Performance und ihrer Gotteserfahrung zu klar. Ich würde sagen, vielleicht gibt es das alles, vielleicht ist Jesus tatsächlich auferstanden, und es gibt ein Leben nach dem Tod. Aber ich habe ein kleines Problem mit zu großen Gewissheiten.“ Trotzdem spricht er sich im Sinne der Weite innerhalb der pastoralen Räume für „möglichst viel Vielfalt“ aus und erklärt, dass es um ein Zusammenspiel von Schrift und Tradition, von Kultur und Moderne, von Altem und Neuem geht. „Wenn allerdings rechte politische Meinungen dazukommen, würde ich auch sagen: Die haben in dieser Weite einfach keinen Platz.“
Im Rahmen der Trierer Synode war Christian Heinz vor allem an der Sachkommission „Pfarrei der Zukunft“ beteiligt und bemühte sich gemeinsam mit anderen nach dem Motto „Nähe und Weite statt Ferne und Enge“ ein neues Konzept für die Gliederung pastoraler Räume zu kreieren. Es geht darum, ein Netzwerk zwischen den Pfarreien im Bistum Trier zu bilden, das sie „flexibler, pulsierender und lebendiger“ macht. Der Jugendpfarrer erzählt von der Begegnung der Menschen auf der Trierer Synode. „Ohne Ängste aufeinander zuzugehen und miteinander über Glaube und den Zustand von Kirche zu sprechen, war durchaus sehr prägend für mich“, erklärt er. Der Jugendpfarrer hofft, dass die Impulse im Nachhinein der Synode nicht verloren gehen. Vor allem, wenn es um die Umverteilung von Ressourcen sowie diakonische und missionarische Arbeit geht.
Christian Heinz beschäftigt sich außerdem mit für ihn neuen Wegen junge Menschen zu erreichen, indem er ein Studium zur „Crossmedialen Glaubenskommunikation“ in Bochum belegt. Die Frage nach der medialen Präsenz der Kirche spielt für ihn eine wichtige Rolle. Digitale Gottesdienste müssen gekonnt sein, doch für Heinz geht es am Ende gar nicht so sehr darum. „Wir haben zu lange an diesen Gottesdiensten herumgedoktert. Die Leute, die zum Gottesdienst kommen, verstehen, was mit den Texten gemeint ist. Oder wenn ich ehrlich bin, gehen sie zum Teil auch einfach an ihnen vorbei. Das ist bei mir nicht anders. Aber darum geht es nicht. Sondern darum, dass ich da war und eine gute Zeit hatte“, erklärt er.
Am Ende möchte der Jugendpfarrer in einer Zeit all dieser Fragen jedem einzelnen Menschen vor allem eines vermitteln: „Du wirst von Gott geliebt, und es ist schön, dass es dich gibt. Denn das Gute ist trotz allem in dieser Welt möglich, und es ist die größte Hoffnung.“ Daran zu glauben oder nicht, bleibt letztendlich jedem selbst überlassen.