Damit mehr Menschen mit dem Fahrrad fahren, müssen wir unsere derzeitige Verkehrsinfrastruktur auf den Prüfstand stellen, meint Werner Ried vom Verkehrsclub Deutschland im Saarland – dem Bundesland mit dem geringsten Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen.
Herr Ried, am 3. Juni ist der Internationale Tag des Fahrrads. Ein Verkehrsmittel, das gerade in den letzten Jahren nochmal deutlich an Popularität gewonnen hat. Würdigt das Land das in seiner Verkehrsplanung schon ausreichend?
Nein, leider würdigen wir das noch nicht ausreichend. Es gibt positive Aspekte, zum Beispiel saarländische Förderprogramme zur Verbesserung der Verkehrssituation für Fahrradfahrer. Auch die personelle Aufrüstung im Ministerium und beim Landesbetrieb für Straßenbau (LfS) ist hier positiv zu würdigen. Aber es gibt viele grundsätzliche Probleme, die noch nicht gelöst sind.
Die da wären?
Es gibt drei Punkte, die uns beim Verkehrsclub Deutschland im Saarland (VCD Saar) schmerzen und die ich benennen möchte: Erstens, dass wir grundsätzlich in der Infrastrukturplanung für Fahrradverkehr sehr stark zurückliegen. Stichwort: Flickwerk statt Netzwerk. Die Attraktivität der Fahrrad-Infrastruktur hängt stark an der Frage, wie vernetzt diese ist. Nur Netze machen den Radverkehr, gerade für schwächere Teilnehmer wie Familien mit Kindern, angenehm und sicher. Leider ist unsere Infrastruktur im Moment einfach zu zerklüftet, zu zerrupft und viel zu technisch.
Der zweite Punkt ist die technische Ausgestaltung der Radwege, die an vielen Stellen nicht mehr zeitgemäß ist. In den vergangenen Jahren hat sich rund ums Rad viel verändert. Sowohl die Geschwindigkeit durch die Motorisierung mit Pedelecs als auch die Anzahl der Fahrradfahrer ist gestiegen und durch Lastenräder und moderne Anhänger haben sich die Dimensionen von Fahrrädern geändert. Die Gestaltung der Radwege hat sich diesen Veränderungen noch nicht angepasst. Sie sind oft zu schmal und Kreuzungsbereiche sind durch hohe Bordsteine und auf Auto ausgelegte Vorfahrtsregeln häufig gefährlich.
Wie sehen ideale Verkehrswege oder Maßnahmen für Räder denn aus?
Wer mal in den Niederlanden geradelt ist, der kennt solche Wege bestimmt. Dort werden, zum Beispiel durch eine kreuzungsarme Gestaltung der Verkehrswege, Schnelligkeit und Durchgängigkeit gesichert. Dadurch hat der Radfahrer eine Art grüne Welle. Ein anderes Beispiel ist, dass in Spanien jetzt in allen Ortsdurchfahrten das Tempo auf 30 beschränkt wurde, mit nur wenigen Ausnahmen. Das erzeugt mehr Sicherheit für langsamere Verkehrsteilnehmer, wie E-Scooter oder eben auch Fahrräder.
Leider tun wir uns mit solchen Veränderungen sehr schwer und fallen im Vergleich zunehmend zurück.
Woran liegt das?
Das liegt an dem dritten Punkt, den ich ansprechen möchte: behördliches Durcheinander. Im Saarland spielen wir in der Zuständigkeit schwarzer Peter zwischen dem Landesbetrieb für Straßenbau und zuständigen Verkehrsbehörden. Der LfS, der für die Gesamtheit der Landesstraßen zuständig ist, und die Verkehrsbehörden, die in historisch gewachsenen Strukturen zuständig sind, stehen sich bei uns im Weg. Wenn man dort nachfragt, hört man immer, der andere hat das so gewollt. Ein Beispiel: Bei der Verbindung zwischen Dudweiler und St. Ingbert haben wir es mit einer Spaltung der Verantwortung zwischen dem LfS und drei Verkehrsbehörden zu tun. Das hat bei der Straßensanierung schließlich dazu geführt, dass der Radverkehr nicht nur vergessen wurde, sondern sogar höhere Gefahren entstanden sind, als vorher da waren. Jetzt ist die Straße zwar wie geleckt, aber hat gefährliche Leitplanken bekommen, die Geschwindigkeit wurde erhöht und neue Noppensteine am Rand sind eine zusätzliche Gefahr für Radfahrer, die von der Bahn abkommen. Hier benötigen wir dringend eine landesweite Diskussion, wie wir diese Missstände zukünftig in den Griff bekommen. Dass die Ministerin für Verkehr diese nicht intensiver anstößt, bedaure ich sehr. Kommunal bringt Anke Rehlinger in dem Bereich zwar dort, wo sie am wenigsten Verantwortung trägt, Gutes auf den Weg, aber das reicht noch nicht aus. Gerade in ihrem Zuständigkeitsbereich, den Landesstraßen, passiert viel zu wenig für Fahrräder. Statt teurer Baumaßnahmen für wenige Meter müssen wir nach cleveren Ideen für lange Strecken suchen.
Zurzeit bekommen wir von Bürgern, die sich an uns oder den ADFC wenden, gesagt, dass sie Angst haben, zwischen den Kommunen zu radeln. Das verhindert natürlich, dass mehr Leute ihr Rad für den Berufsweg oder mit der Familie nutzen. Das ist aber kein Wunder, wenn man auf Straßen ohne Fahrradweg fahren muss, auf der die Autos mit 70 km/h an einem vorbeischießen. Da wird doch keiner mit seinen Kindern aufs Fahrrad steigen.
Auf der anderen Seite hat man das Gefühl, dass sich ein gesellschaftlicher Sinneswandel vollzieht. Es gibt doch zunehmend Förderprogramme für Fahrradinfrastruktur, und auch die Bevölkerung setzt sich aktiver für moderne Verkehrslösungen ein. Sind wir im Saarland einfach trotzdem noch zu sehr ein Bundesland der Autoliebhaber?
Ja, es gibt durchaus einen totalen Sinneswandel und wir sehen, dass es zunehmend mehr Radverkehr gibt und die Nachfrage nach Rädern steigt. Auch die Fördergelder kommen in Gang und viele Entscheidungsträger, gerade auf den höheren Ebenen, denken langsam um. Gleichzeitig stellen wir in den Parlamenten, sowohl kommunal als auch im Landtag, ein völliges Ausblenden dieser Thematik fest. Ich vermute, die persönliche Betroffenheit ist oft noch zu gering. Tatsächlich sind da viele Politiker ebenso wie Fachplaner noch zu stark am Autoverkehr der 70er Jahre, der autogerechten Stadt, orientiert. Für Pedelecs, Lastenräder und Co. fehlt es an fachlicher Kompetenz und der entsprechenden Einstellung. Ich beobachte aktuell, dass die Planer die Normen für den Autoverkehr perfekt einhalten oder übererfüllen, beim Radverkehr die Mindeststandards in vielen Stellen nicht einhalten oder nicht kennen.
Wenn Sie die Verantwortung über den Verkehr im Saarland hätten, welche Maßnahmen würden Sie treffen?
Am dringlichsten wäre eine Reform der Zuständigkeit beim LfS und den Verkehrsbehörden, also ein neuer territorialer Zuschnitt mit klaren Verantwortlichkeiten. Es kann nicht sein, dass für eine Straße mehrere konkurrierende Verkehrsbehörden und der LfS zuständig sind. Diese neuen Strukturen müssten im nächsten Schritt dann mit ausreichend Fahrrad-Verkehrsplanern, die sich in der Materie auskennen, unterstützt werden. Auch mit der Devise „Pinsel statt Spaten“, also mit einfachen horizontalen Markierungen und Piktogrammen könnten wir mit wenig Geld viel erreichen, um den Radverkehr sicherer und attraktiver zu machen. Das wäre eine schnelle Möglichkeit, um die eingangs erwähnten Netzwerke herzustellen.
Außerdem sollten wir uns ein Beispiel an anderen Städten nehmen und Pop-up-Radwege nutzen. Im Saarland gibt es da bisher keinen einzigen. Attraktive Alltagsradwege könnten dadurch sofort Realität werden, auch wenn dadurch natürlich Spuren für das Auto wegfallen. Die Fahrradmitnahme im ÖPNV sollte, gerade um den Berufsverkehr mit dem Rad zu unterstützen, rund um die Uhr gratis sein. Bei anderen ÖPNV-Betreibern, wie dem Rhein-Main-Verkehrsverbund ist das schon der Fall. Das würde auch Bahn und Bus, als umweltfreundlichere Alternativen zum PKW, attraktiver gestalten. Infrastruktur für das Fahrrad muss nicht teuer sein, wir müssen nur anfangen, uns entsprechende Ziele zu setzen. Also, welchen Anteil Radverkehr wollen wir und was sind wir dafür bereit zu verändern? Dann kann man schauen, mit welchen konkreten Maßnahmen das umgesetzt werden kann.