Eigentlich sollte das 6. Greek Film Festival Berlin im Januar die ganze Bandbreite griechischer Filme präsentieren, aber es wurde wegen des Lockdowns auf Anfang Juni verschoben. Doch auch jetzt muss das ambitionierte Festival online stattfinden.
Zermürbende Monate liegen hinter Sofia Stavrianidou und ihrem Team. Denn bis zuletzt haben die Organisatoren des Greek Film Festivals darauf gehofft, dass die Veranstaltung in gewohnter Form im Kino „Babylon“ stattfinden könnte. Doch während die aktuellen Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Berlin Open-Air-Kulturveranstaltungen unter bestimmten Auflagen erlauben, bleiben die Kinos selbst vorerst geschlossen. Und das Festival ist auf die Streaming-Plattform Festivalscope „umgezogen“. Sofia Stavrianidou versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Ein digitales Angebot könne schließlich überall genutzt werden, bei einem „realen“ Festival hätte man nur Filminteressierte in Berlin und vielleicht noch der Region erreicht.
Und sei es nicht von Anfang an der Grundgedanke des Festivals gewesen, möglichst viele Menschen mit griechischen Filmen in Kontakt zu bringen? Das nämlich schwebte 2015 Sandra von Ruffin und Asteris Kutulas vor, als sie beschlossen, den Negativschlagzeilen über die Wirtschafts- und Schuldenkrise etwas entgegenzusetzen. „Man hatte damals das Gefühl, dass Griechenland in den Medien lediglich in Zusammenhang mit der Wirtschaftslage, den Schulden, dem überforderten Staatsapparat auftauchte“, erinnert sich Sofia Stavrianidou, die Leiterin des Greek Film Festivals. Daher beschlossen in Berlin lebende griechische Filmprofis und Filmfans, ein Festival aus der Taufe zu heben. Das gerade in Deutschland den Blick junger Filmschaffender auf ihr Land zeigen und so für ein differenzierteres Bild Griechenlands im Ausland sorgen sollte. Mittlerweile unterstützen das griechische Kulturministerium sowie das Griechische Filmzentrum (GFC) das Festival, das pro Ausgabe rund 2.500 Besucher zählt – darunter auch immer wieder prominente Gäste wie Volker Schlöndorff oder Costa-Gavras. In den vergangenen Jahren konnten rund 300 griechische Filme in Berlin gezeigt werden – vom Drama bis zum experimentellen Format.
Auch dieses Mal sind bei Weitem nicht nur Spielfilme im Angebot – insgesamt werden vom 2. bis 6. Juni 27 Filme gezeigt, darunter auch eine ganze Reihe von Kurzfilmen sowie einige Dokumentationen. Mehrere inhaltliche Schwerpunkte haben die Macher des Festivals bei dieser Ausgabe gesetzt – so geht es in zwei Filmen um die griechische Revolution vor 200 Jahren. 1821 hatte der Kampf der Griechen gegen die Herrschaft der Osmanen und für eine griechische Republik begonnen – folgen sollten jahrelange Auseinandersetzungen einschließlich der Intervention durch die Großmächte England, Frankreich und Russland, die 1832 die Errichtung eines souveränen griechischen Staates als Erbmonarchie beschlossen. Mit Otto, dem Sohn des Bayernkönigs Ludwig I., auf dem Thron.
Um eine schillernde Figur dieser Revolutionsjahre geht es in „Kolokotronis, the General of the Revolution“ – dabei wird die Geschichte des Freiheitskämpfers erzählt, der vom Bandenführer zum General und Politiker wurde, jahrelang in Haft saß, schließlich begnadigt wurde. Und dessen Konterfei eine 10-Euro-Silber-Gedenkmünze zum 200-jährigen Jubiläum der griechischen Revolution ziert. Genauso spannend kommt „La Nuit Dernière“ daher – zu übersetzen mit „Die letzte Nacht“. Dabei werden in einer Mischung aus Fiktion und Dokumentation die letzten Stunden im Leben des Grafen Ioannis Kapodistrias geschildert. Einer der damals führenden Diplomaten Europas und Griechenlands erstem Staatsoberhaupt seit dessen Unabhängigkeit. Außer der Figur des Grafen würden auch die diplomatischen Schachzüge im Mittelpunkt stehen, mit denen sich die Großmächte England, Frankreich und Russland ihren Einfluss in der Region sichern wollten, erzählt die Leiterin des „Greek Film Festivals“, Sofia Stavrianidou.
Zweiter inhaltlicher Schwerpunkt des Festivals ist ein musikalischer. Denn gleich mehrere Filme beschäftigen sich mit dem Rembetiko, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Mischung aus Elementen der Volksmusik und aus osmanischen Musiktraditionen entwickelte. Er sei viel mehr als eine musikalische Stilrichtung gewesen, betont Sofia Stavrianidou. Der Rembetiko sei viel mehr das Lebensgefühl einer Generation in den Großstädten des Landes gewesen, eine Art „griechischer Rock’n’Roll“.
An Protagonisten beziehungsweise Protagonistinnen des Rembetiko erinnern somit zwei Filme – der Eröffnungsfilm des Festivals „Eftychia“ ist eine Hommage an die bekanntesten Songschreiberinnen dieser Zeit. Er erinnert auch an mutige und selbstbewusste Frauen, die ihrer Zeit vielleicht ein Stück voraus waren, galt doch der Rembetiko zunächst auch als Männerdomäne. Um einen Star der Musikrichtung geht es in „Markos“, der Dokumentarfilm zeichnet das Leben des Musikers und die Entstehungsweise vieler Songs nach.
Ein Filmfestival zu streamen sei ja durch die mittlerweile vorhandenen technischen Möglichkeiten kein Problem, sagt Sofia Stavrianidou. Aber natürlich sei es auch nur ein „halbes“ Festival, schließlich fehlten die Begegnungen zwischen Akteuren der Filmbranche, zwischen Filmemachern und Publikum. Darum sei es in den vorherigen Ausgaben immer im Rahmenprogramm des Festivals gegangen – da habe es zahlreiche Diskussionen, mal Konzerte nach einer Filmvorführung oder auch eine Ausstellung gegeben. Auf all das muss nun verzichtet werden. Immerhin haben sich die Organisatoren des Festivals dafür entschieden, eine Diskussion mit den Gewinnern des Wettbewerbs, der Kategorie „Emerging Greek Competition“ online zu veranstalten. Und zudem, so betont es Sofia Stavrianidou, sei die nächste Ausgabe des Festivals, dann im März 2022, längst in Vorbereitung. Dann hoffe man wieder auf „volles Haus“ im Kino „Babylon“ mit vielen filmischen Entdeckungen und regem Austausch.