Die Riester-Rente steht unter Beschuss – vor allem jetzt, da der Garantiezins sinken wird. Verbraucher-schützer fordern Reformen, die Versicherungswirtschaft will nicht aufgeben. Der geringe Garantiezins macht das Riestern noch schwieriger.
Es ist nur eine kleine Zahl. Aber diese hat es in sich. Ab dem 1. Januar 2022 dürfen die Versicherer bei Neuverträgen nur noch eine maximale jährliche Verzinsung von 0,25 Prozent versprechen – müssen das aber auch nicht. Damit sollen Versicherungsunternehmen davor bewahrt werden, sich durch vollmundige Renditeversprechen angesichts der anhaltenden Nullzinspolitik im Euroraum zu übernehmen. Betroffen sind Neuverträge bei Lebensversicherung, Riester- und Rürup-Rente sowie betrieblicher Altersvorsorge, aber auch ältere Verträge. Das sorgt für Kritik unter den Verbraucherschützern.
Seit Jahren schon sinkt jener Garantiezins und macht dadurch Lebens- wie auch Rentenversicherungen immer unrentabler. Denn der Garantiezins bezieht sich nicht auf die eingezahlten Beträge – davon gingen seit jeher Provision, Verwaltungskosten und Kosten der Todesfallabsicherung für die Versicherer ab.
2001 als private Rente von der rot-grünen Bundesregierung und Arbeitsminister Walter Riester ins Leben gerufen, steht die Riester-Rente seit ihrer Einführung in der Kritik. Im Kern dreht sich alles um das Wörtchen „Rente". Bei diesem Produkt handelt es sich also nicht um eine Vorsorge, zu denen alle anderen Vermögenswerte zählen. Renten dürfen laut Gesetz nur Lebensversicherer auszahlen – damit war von vorneherein klar, dass eine Riester-Rente automatisch das Geschäft dieser Versicherungen beleben würde.
Der große Hype aber blieb bis heute aus. 16,5 Millionen Riester-Verträge gibt es derzeit in Deutschland, aber nur noch in 10,5 Millionen von ihnen wird aktiv eingezahlt. 2019 kamen laut Zahlen der deutschen Versicherungswirtschaft gerade mal 293.000 neue Riesterverträge hinzu, seit 2015 sinkt der Bestand. Mit dem sinkenden Garantiezins sinkt aber auch der Anreiz für die Versicherer, weiter Riesterverträge anzubieten. Denn derzeit müssen die Verträge bei Rentenbeginn so viel Geld beinhalten wie eingezahlt wurde. Weil die Versicherungen jedoch nur die Sparbeiträge plus staatliche Zulage minus ihre eigenen Kosten anlegen und darauf nur noch 0,25 Prozent Zinsen garantieren dürfen, erreichen sie rechnerisch diesen Beitragserhalt kaum noch.
„Ineffizient und intransparent"
Was soll nun geschehen? Der Gesamtverband Versicherungswirtschaft schreibt selbst: „Die Riester-Rente braucht neue Impulse, um künftig mehr Menschen zu erreichen." Das Geschäft muss weitergehen. Aber auf wessen Kosten?
„Lebens- und Rentenversicherungsverträge lohnen sich unter dem Strich überhaupt nicht mehr", sagt dagegen Axel Kleinlein. Er ist Vorstandssprecher der Verbraucherschutzorganisation Bund der Versicherten (BdV) mit Sitz in Hamburg. Vor allem jene mit Riester- und Rürup-Renten seien mit der Zinssenkung im Nachteil. Wer einen solchen Vertrag – egal, ob Renten- oder Lebensversicherung – abschließen möchte, müsse deutliche Rentenkürzungen einkalkulieren, so Kleinlein. Er war zusammen mit anderen Verbraucherschützern im Mai vor das Kanzleramt gezogen. Kleinlein: „Die Versicherungswirtschaft hat mit hohen Kosten und unfair kalkulierten Lebenserwartungen die Riester-Rente zum Desaster geführt. Ineffizient, intransparent und handwerklich schlecht umgesetzt ist die Riester-Rente am Unvermögen der Versicherer gescheitert. "
Die Aktion „Stoppt die Riester-Rente!", gemeinsam mit dem Bundesverband Verbraucherschutz und der Bürgerbewegung Finanzwende, solle auf das Problem aufmerksam machen. Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende ist der Meinung, „20 Jahre lang wurde damit Rentenpolitik für die Versicherungslobby gemacht", und Klaus Müller vom Bundesverband Verbraucherzentralen ergänzt: „Die Riester-Rente wurde 20 Jahre lang reformiert. Mittlerweile ist klar, sie ist nicht reformierbar."
Die drei Verbände fordern dreierlei: zunächst das Bekenntnis der Bundesregierung, das Riestern in dieser Form zu beenden. Laufende Riester-Verträge müssten Vertrauensschutz genießen und weiter wie bisher gefördert werden. Verbraucher sollen auf eigenen Wunsch und kostenfrei aus ihren Riester-Verträgen in ein neues System wechseln können.
Für eine funktionierende Altersvorsorge – ergänzend zur gesetzlichen Rente – müssten sich die Parteien für eine günstige und einfache Zusatzvorsorge starkmachen. Konkret soll dies ein öffentlich organisiertes Vorsorgeangebot ohne eigene Gewinnabsicht sein – zum Beispiel ein Staatsfonds, in den die künftigen Rentner freiwillig einzahlen, ohne Folgekosten und Vertriebsprovisionen. Solche Modelle gibt es bereits in Norwegen und Schweden, auf Basis von Aktienfonds. Diese werfen aktuell bei Niedrigzinsniveaus gute Zinsen ab.
Kleinlein kritisiert auch, bei vielen Versicherungsverträgen, die noch in der Ansparphase sind, stehe im Kleingedruckten, dass künftige Rentenzahlungen geringer als ursprünglich kalkuliert ausfallen könnten. Dagegen vorgehen könnten Riester- und Rürup-Sparer nicht – sie sind per Gesetz verpflichtet, am Ende eine Rente bei dem jeweiligen Versicherer zu beziehen. „Würde der Gesetzgeber diesen Verrentungs-
zwang kippen, dann wäre einiges gewonnen", so Kleinlein. Denn dann stünden die Versicherer im Wettbewerb untereinander, im Ergebnis wären bessere Renten zu erwarten. Zudem sollte aus BdV-Sicht jeder Sparer selbst entscheiden dürfen, ob er lieber eine Rente oder eine Einmalzahlung haben möchte.
Die Pauschalkritik von Verbraucherschützern weist der Hauptgeschäftsführer des GDV, Jörg Asmussen, zurück. „Mit aktuell über 16 Millionen abgeschlossenen Verträgen ist Riester die weltweit erfolgreichste freiwillige staatlich geförderte Altersvorsorge", heißt es in einer Reaktion auf die Proteste vor dem Kanzleramt. Riestern sei nicht nur weit verbreitet, sondern funktioniere auch, so Asmussen. „Wer wie vorgesehen in einen Riester-Vertrag einzahlt, kann mit einem Rentenplus von rund 20 Prozent rechnen, wie die Deutsche Rentenversicherung ermittelt hat."
Zugleich räumte Jörg Asmussen Änderungsbedarf bei der Riester-Rente ein. „Riester braucht eine Reform", sagt der GDV-Hauptgeschäftsführer. „Erstens ist ein Kapitalaufbau mit hundertprozentig garantiertem Beitragserhalt mit einem Höchstrechnungszins von künftig 0,25 Prozent kaum möglich. Und zweitens könnte Riester noch viel mehr Menschen erreichen, wenn wir die Förderung auf alle Bevölkerungsgruppen ausweiten und das komplizierte Zulagensystem vereinfachen." Ein Staatsfonds, wie vom Verbraucherzentrale Bundesverband vorgeschlagen, würde das Problem jedoch nicht lösen, so Asmussen. Dieser zeigte in der Anfangsphase und in Zeiten der Finanzkrise starke Kursverluste. Zudem ist die Anlagementalität in Deutschland immer noch stark vom heute unrentablen Sparbuch geprägt: Nur jeder sechste Deutsche legt laut Deutschem Aktieninstitut sein Geld in Wertpapieren an.
Perspektivisch aber können Aktiendepots, die über einen langen Zeitraum angelegt werden, krisensicherer sein als angenommen. Der beliebte schwedische Staatsfonds AP7 verlor in den ersten drei Monaten der Corona-Krise. Insgesamt aber beträgt die Rendite seit zehn Jahren und bis heute jährlich zwischen sechs bis neun Prozent. Der norwegische Staatsfonds, mittlerweile mehr als zehn Billionen Euro schwer, erwirtschaftete im Krisenjahr 2020 eine Rendite von zehn Prozent. Trotz zahlreicher Fürsprecher aus allen Parteien, auch aus den Reihen der Riester-Initiatoren SPD und Grünen, besteht allerdings ein Risiko. Denn der schwedische Staatsfonds beispielsweise erhöht seine Renditen, indem er sich zusätzlich Geld leiht – und das wiederum erhöht das Risiko von Verlusten.
Dennoch führt an einer grundlegenden Reform oder gar einer Überführung des Riester-Systems in eine Vorsorge kein Weg vorbei – ein schwerwiegendes Kernproblem für die künftige Bundesregierung.