Die Idee klingt reizvoll, absurd, verwegen, unrealistisch, für manche gar geschmacklos: eine gemeinsame Bewerbung von Berlin und Tel Aviv für Olympia 100 Jahre nach den Nazi-Spielen.
Olympia – das ist abseits der Wettkampfstädte vor allem Symbolpolitik. Auch die weiße olympische Fahne mit den olympischen Ringen in den Farben Blau, Gelb, Schwarz, Grün und Rot besitzt eine ganz spezielle Bedeutung. „Ihre Gestalt ist symbolisch zu verstehen", sagte einst Olympia-Gründer Pierre de Coubertin. „Sie stellt die fünf Erdteile dar, die in der olympischen Bewegung vereint sind. Ihre sechs Farben entsprechen denen sämtlicher Nationalflaggen der heutigen Welt." Dass die Ringe miteinander verschlungen sind, soll die Verbundenheit der Kontinente und „die Gelegenheit zu einem glückhaften und brüderlichen Zusammentreffen" ausdrücken, so Coubertin. Kein Wunder, dass Olympische Spiele schon immer auch für politische Zwecke herhalten mussten. Die Nazi-Spiele 1936 in Berlin und die großen Olympia-Boykotte 1980 und 1984 hatten mit ihrer Symbolkraft tiefgreifende Auswirkungen auf das Weltgeschehen.
Es gibt aber auch Beispiele, bei denen der Sport – wie ursprünglich von Coubertin erhofft – das verbindende Element sein konnte. Bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang liefen die politisch verfeindeten Staaten Nord- und Südkorea als eine gemeinsame Mannschaft auf. Die Symbolik der Annäherung steht auch bei der Idee einer gemeinsamen Olympia-Bewerbung von Deutschland und Israel im Vordergrund –
doch diesmal wird es auf die Spitze getrieben. Ist es eine gute Idee, dass 2036, also genau 100 Jahre nach den Hitler-Spielen, Berlin und Tel Aviv gemeinsam Sommerspiele ausrichten?
Nord- und Südkorea liefen 2018 als eine Mannschaft auf
Losgetreten wurde die lebhafte Debatte in der Sportwelt von Richard Meng, dem Präsidenten der Deutschen Olympischen Gesellschaft Berlin, und Frank Kowalski, dem Geschäftsführer und Organisationschef der Leichtathletik-EM Berlin 2018. Beide sprachen sich in einem Gastbeitrag in der „Berliner Morgenpost" für eine gemeinsame Bewerbung aus. Dies wäre ein „klares Signal, wie aus Verantwortung Verpflichtung entsteht", sagten sie. Auch ihnen sei natürlich völlig bewusst, dass 2036 ein „schwieriges Datum für Deutschland und Berlin" sei, aber darin könnte auch eine Chance liegen, wenn man Israel als Co-Gastgeber gewinne. „Warum also nicht 2036 ein völlig neues, ein starkes Signal des Friedens und der Versöhnung setzen? Ein Signal, das die historische Belastung nicht verdrängt, sondern die daraus erwachsende Verantwortung aufgreift?", schrieben Meng und Kowalski. Mit den Spielen ließe sich dann zeigen, was sich alles geändert habe und was sich noch ändern müsse. Das Plädoyer verfehlte seine erhoffte Wirkung nicht: Es wurde heftig diskutiert.
Wohlwollende Reaktionen kamen vom Israelischen Olympischen Komitee, das den Vorstoß allein schon deshalb begrüßte, weil es der Erinnerung an die Gräueltaten von Nazi-Deutschland unter Hitler diene. Rund sechs Millionen Juden sind damals durch Nationalsozialisten ermordet worden. „Die Olympischen Spiele in Berlin abzuhalten, 100 Jahre nach Hitlers Olympischen Spielen 1936, wird uns alle an die dunklen Zeiten erinnern, die wir erfahren haben, und der Welt eine starke Botschaft senden von den Werten, die wir aufrechterhalten müssen", teilte das Komitee mit. Auch für Andreas Geisel, Berlins Sport- und Innensenator, wäre eine gemeinsame Bewerbung nur „im vollen Bewusstsein unserer schmerzlichen Geschichte und dem scheußlichen Missbrauch der olympischen Idee durch die Nationalsozialisten" möglich. Und genau dadurch wäre sie auch „ein starkes Zeichen für Frieden und Völkerverständigung". Zumal die deutsche Hauptstadt Berlin und die pulsierende Mittelmeer-Metropole Tel Aviv „für Weltoffenheit, Freiheit und Toleranz" stehen würden.
Und was denkt die jüdische Gemeinde hierzulande darüber? Eine Antwort darauf kann Makkabi Deutschland geben, der Dachverband der jüdischen Turn- und Sportvereine. Dessen Präsident Alon Meyer spricht zwar von einer „positiv gemeinten Idee", die aber „nicht ganz zu Ende gedacht wurde". Vor allem, weil die Umsetzung völlig illusorisch erscheint. „Bevor man so einen Gedanken äußert, sollte er im Vorfeld reifen", sagte Meyer der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung". „Sonst werden möglicherweise Hoffnungen geweckt, die dann nicht zu realisieren sind."
Hörmann und Seehofer sind gegen eine Bewerbung
Abgesehen von der historischen Hypothek gibt es nämlich noch ein anderes Problem: Sport-Deutschland hat sich durch den völlig vermasselten Vorstoß der Privatinitiative Rhein Ruhr City, die die Austragung der Sommerspiele 2032 geplant hatte, kräftig blamiert. Präsident Alfons Hörmann vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) der Falschaussage und Unwahrheit bezichtigt und auch die Initiative Rhein-Ruhr heftig kritisiert. Für Hörmann, der aufgrund seines Führungsstils zuletzt DOSB-intern in die Schusslinie geraten ist, hat sich der Olympiatraum mindestens bis zum Jahr 2040 erledigt. Ihm fehle „die Fantasie", wie sich Olympia in Deutschland 100 Jahre nach den zu Propagandazwecken missbrauchten Nazispielen von Berlin realisieren lassen solle. Noch kategorischer äußerte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer, der es bereits als „nicht denkbar" eingestuft hat. „Wir bekämen eine unsägliche internationale Diskussion und würden damit auch die olympische Idee beschädigen", meinte der CSU-Politiker und fügte rhetorisch an: „Wie würde man das in der Welt sehen? Die Deutschen feiern hundertjähriges Jubiläum bezogen auf die Nazi-Olympiade?" Seehofers Meinung dazu: „Das kann nicht sein."
Es gebe nur wenig, meinte DOSB-Vizepräsidentin Veronika Rütter, „was so polarisiert wie die Frage zu den Spielen 2036". Die einen halten den Zeitpunkt für hochgradig unsensibel, ja geradezu pietätlos. Für die anderen bedeute es eine große Chance, die Geschichte hinter sich zu lassen – ohne die Geschichte zu vergessen. Makkabi-Präsident Meyer warnte aber davor, die Symbolik zu überhöhen, „die engen gesellschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel bedürfen nicht einer krampfhaften Geste". Man dürfte die deutsch-israelischen Beziehungen nicht auf dieses „Jubiläum" herunterbrechen, denn es würde den Geschehnissen von damals ohnehin nicht gerecht werden. „Egal, wie groß die Geste sein wird – es wird das historische Versagen, das Wegschauen der weltweiten Sportgemeinschaft vor den antisemitischen und rassistischen Zuständen im damaligen Deutschland, nicht vergessen machen", glaubt Meyer.
Doch um ein Vergessen geht es den Befürwortern nicht. Sie sehen in der gemeinsamen Bewerbung eine Chance auf Akzeptanz und Toleranz – und hoffen auf einen Sport-Boom in den beiden Städten. Die sportliche Infrastruktur hinkt auch in Berlin hinterher, Olympische Sommerspiele wirken diesbezüglich immer als Beschleuniger. Von ihrer symbolischen Kraft ganz zu schweigen.