Kein Projekt ohne Widerspruch. Neunkirchen hat Erfahrung mit der Ansiedlung von Globus gemacht. Oberbürgermeister Jörg Aumann (SPD) über Potenziale, Diskussionen und Perspektiven.
Herr Aumann, im Zusammenhang mit Industrie- und Gewerbeflächen zunächst einmal zu den jüngsten Diskussionen in der Stadt: Sind die Pläne für die Bereiche Kohlhof/Eschweilerhof vom Tisch?
Die waren nie wirklich auf dem Tisch! Wir hatten lediglich eine Studie in Auftrag gegeben, die größere zusammenhängende Flächen ermitteln sollte, die sich grundsätzlich zur Ansiedlung eignen. Naturschutzgebiete oder ähnliches waren also von vornherein ausgeschlossen. Ergebnis der Studie war die besagte Fläche Kohlhof/Eschweilerhof. Darüber haben wir informiert, ohne etwas zu entscheiden oder in Aussicht zu stellen.
Die ganze Aufregung ist also nicht gerechtfertigt. Mittel- bis langfristig müssen wir uns alle zusammen in der Stadt Gedanken machen, ob wir Ansiedlungen großer Unternehmen wollen. Ich spreche mich klar dafür aus, alleine schon wegen der Arbeitsplätze. Dann brauchen wir aber auch große zusammenhängende Flächen.
Welche Entwicklungsperspektiven kann Neunkirchen dann einbringen, wenn solche Überlegung schon im Vorfeld auf Widerstand stoßen?
Einen Schwerpunkt bildet die Nachnutzung von Gewerbegrundstücken, wenn Gewerbestandorte aufgegeben werden. Zudem konzentrieren wir uns auf kleinere Flächen und versuchen diese nach Möglichkeit zusammenzufassen. Wir werden auch weiterhin ehemalige Standorte der Montanindustrie aktivieren. Das haben wir in der Vergangenheit bereits sehr erfolgreich praktiziert. Was bei diesen Flächen immer anfällt, sind Sanierungskosten und Aufarbeitungsmaßnahmen, etwa um ökologische Belange zu berücksichtigen. Aber auch diese Flächen sind endlich. Deswegen brauchen wir eine ehrliche Debatte über großflächige, zusammenhängende Areale. Und diese Debatte darf nicht nach dem Nimby-Prinzip (Anm. d. Red.: Not in my backyard) geführt werden. Jeder ist für große Industrieflächen, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Da brauchen wir mehr Ehrlichkeit!
Neunkirchen ist nach wie vor in einem Strukturwandelprozess. Wieviel Spielräume gibt es überhaupt noch?
Ja, das habe ich immer betont: Strukturwandel ist ein Marathon und kein Sprint. Hinzukommen neue Herausforderungen, etwa die Digitalisierung. Klar, darin liegen viele Chancen, aber eben auch viele Risiken. Denken Sie etwa an die Konkurrenz des Onlinehandels für die Innenstädte. Die Corona-Pandemie hat hier wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Neunkirchen hat mit der Schließung des Kaufhofs einen hohen Preis bezahlt.
Wir haben mit dem Kaufhofgebäude und weiteren Immobilien in der Innenstadt hohe Entwicklungspotenziale. Das sind Filetstücke mitten in der Innenstadt! Hier liegen enorme Spielräume. Die Priorität für Stadtentwicklung – und damit meine ich die Gesamtstadt mit allen Stadtteilen – ist die richtige Antwort auf Herausforderungen wie Strukturwandel und Digitalisierung.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass gerade die Gemeinden um Neunkirchen Pläne der Stadt besonders kritisch im Blick haben. Täuscht der Eindruck?
Nein, wir haben ein sehr gutes und kooperatives Verhältnis mit unseren Nachbarkommunen. Natürlich haben Vorhaben ab einer gewissen Größenordnung Auswirkungen auf andere Gemeinden. Insbesondere solange nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen, bekommt man dann auch kritische Reaktionen. Hier spielt aber auch der Zeitgeist mit herein: Wir haben heute ein geradezu reflexartiges Klima des Misstrauens von „Betroffenen" gegenüber jedem „politischen" Handeln. Neue Entwicklungen werden abgelehnt, ohne diese in ihren Einzelheiten genau zu kennen. Das ist aber ganz wichtig: Wer mitreden will, muss sich informieren.
Standorte stehen auch innerhalb des Landes im Wettbewerb. Vor diesem Hintergrund: Welche Erwartungen haben Sie an den LEP?
Der Landesentwicklungsplan muss örtliche und überörtliche Interessen ausgleichen und die Ziele und Grundsätze der gesamten Landesentwicklung abbilden. Das dreigliedrige „Zentrale Orte System" des Saarlandes ist für Neunkirchen als größtes Mittelzentrum ein sehr wichtiger Eckpfeiler der zukünftigen Entwicklung.
Wir stellen Infrastruktur für unsere Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung, aber eben auch für die Menschen der Nachbargemeinden. Denken wir etwa an das Saarpark-Center und inhabergeführte Spezialgeschäfte, den Zoo oder die ASW Berufsakademie Saarland. Nicht zuletzt beheimatet das Mittelzentrum große Arbeitgeber, die für Neunkircher, aber auch für Menschen der Region, Arbeitsplätze anbieten. Das sind wichtige Aufgaben, die natürlich Geld kosten. Deswegen brauchen wir eine adäquate Finanzausstattung.
Es gibt nicht mehr allzu viele Flächen für Großansiedlung. Mit einem Projekt wie SVolt hatte kaum noch einer gerechnet. Ist das in der Perspektive das letzte denkbare Projekt dieser Dimension im Saarland?
Nein, das darf nicht die letzte große Ansiedlung sein. Wir brauchen im Saarland auch weiterhin die Perspektive, große Arbeitgeber ins Land zu holen. Der Aufwand für solche Projekte wird in Zukunft immer größer und die Umsetzung schwieriger. Hier kann man aber im Rahmen der regelmäßigen Aktualisierung des Masterplanes Industrie und Gewerbe schon frühzeitig die Weichen stellen. Klar ist aber auch: Aufgrund immer komplexerer Anforderungen stoßen einzelne Kommunen finanziell, aber auch personell an ihre Grenzen. Eine entsprechende Unterstützung durch das Land ist unabdingbar. Dies sollte bereits gleich zu Beginn solcher Überlegungen unbürokratisch, professionell und schnell erfolgen. Gerade die Eigentumssituation und die damit verbundenen langfristigen Mittelausgaben und Mittelbindungen sind von keiner Kommune mehr zu tragen und sollten durch das Land koordiniert und übernommen werden.
Nach einigen Auseinandersetzungen nimmt Globus Neunkirchen, immerhin ein Millionenprojekt, jetzt Gestalt an. Was kann man aus den Diskussionen um diese Ansiedlung lernen?
Dass allgemeine Stimmungsmache gegen ein Großprojekt je nach Standort allein auf persönliche Interessen einzelner zurückzuführen ist. Auch die sozialen Medien leisten ihren Beitrag dadurch, dass es nicht mehr möglich ist, zwischen „Meinungsbildnern" und faktenbasierten Informationen zu unterscheiden. Wichtig für die Stadt ist, dass es zwischen allen Verantwortlichen eine sehr konstruktive und offene Zusammenarbeit gab und gibt.
Es gibt keine Vorhaben mehr, die nicht auf Widerstand stoßen. Das gilt für Neuansiedlungen ebenso wie für Erweiterungen, für Großprojekte wie kleinere Maßnahmen. Wie kann man damit umgehen?
Das ist aus meiner Sicht tatsächlich so. Hier tragen meiner Meinung nach insbesondere die Medien eine große Verantwortung. Klar ist ein Konflikt immer interessant für die Medien, aber für die Projekte ist das absolut kontraproduktiv. Wie ich bereits sagte, es ist ganz wichtig, dass man sich informiert. Dafür müssen die Informationen richtig und faktenorientiert sein. Das ist eine wesentliche Aufgabe der Medien.
Das gilt aber auch für andere Entwicklungen: Von Baugebieten bis zu Infrastrukturmaßnahmen. Steuern wir auf Grenzen der Handlungsmöglichkeiten zu mit einer Unversöhnlichkeit von Wirtschaftsentwicklung und Natur-, Umwelt- und Klimaschutz?
Das Problem sind die hohen Hürden, die im Vorfeld restlos ausgeräumt werden müssen. Man sollte sich überlegen, ob bei manchen Projekten eine begleitende Abarbeitung möglicher Umweltauswirkungen nicht sinnvoll und zielführender wäre. Das könnte die derzeit notwendigen und risikoreichen Vorinvestitionen verringern, zugunsten einer schnelleren Projektentwicklung.
In der Gesamtperspektive: Deutschland verschärft Klimaschutzziele, auch Folge einer Entscheidung des Obersten Gerichts. Was bedeutet das im Konkreten vor Ort und vor allem für Standorte mit dieser industriellen Tradition wie Neunkirchen?
Wenn wir die CO2-Einsparungen durch den Rückbau des Neunkircher Eisenwerks in die CO2-Bilanz einbeziehen würden, wäre unsere Stadt wahrscheinlich deutschlandweit bei den Städten mit den meisten Einsparungen. Klar, das hatte damals alles einen anderen historischen und wirtschaftlichen Kontext. Wichtig ist den Blick zu öffnen: In Bezug auf CO2 ist einiges passiert. Wichtig wird es sein, dass eine saubere Stahlproduktion in Deutschland ermöglicht wird. Es kann nicht sein, dass wir Stahl zukünftig aus Ländern importieren, wo er unter einem vielfachen CO2-Ausstoß produziert wird. Die Investitionen des Bundes in Wasserstofftechnologie sind ein wichtiger Faktor. Die Automobilindustrie setzt zunehmend auf neue Technologien. Auch die Autozulieferer in Neunkirchen stellen sich darauf ein.