Von Deutschlands Ausnahme-Golfer Martin Kaymer darf man bei den US Open 2021 keinerlei Wunderdinge erwarten. Bei dem traditionsreichen Major-Turnier werden andere Spieler den Sieg unter sich ausmachen, wobei der US-Amerikaner Bryson DeChambeau als Top-Favorit gehandelt wird.
Torrey Pines? Beim Namen dieses zur kalifornischen Stadt San Diego gehörenden Ortes dürften bei vielen Golf-Freunden sogleich Erinnerungen an einen legendären Schlagabtausch zwischen Tiger Woods und seinem US-amerikanischen Landsmann Rocco Mediate um den US-Open-Titel 2008 geweckt werden. Denn nach vier Runden lagen die beiden Top-Profis mit jeweils 283 Schlägen (-1 unter Par) gleichauf an der Spitze. Der Sieger des 1895 etablierten und damit zweitältesten der vier Major-Turniere musste daher in einer Verlängerung ermittelt werden, wobei das Reglement des Veranstalters, der United States Golf Association (USGA), für diesen Fall eine weitere 18-Löcher-Runde zwischen den beiden Kontrahenten am nächsten Tag vorsah. Als die beiden Spieler auch nach diesem direkten Play-off den Gleichstand nicht überwinden konnten, musste der Triumphator mithilfe des Sudden Death ermittelt werden.
Da Tiger Woods das nächste Loch für sich entscheiden konnte, hatte er auf seinem Weg zur unvergleichlichen Golf-Ikone einen weiteren Schritt zurückgelegt. Es war nach den Jahren 2000 und 2002 sein dritter US-Open-Titelgewinn. Mit einem vierten Erfolg hätte er zu den ewigen Rekordhaltern Willie Anderson (1901, 1903, 1904 und 1905), Bobby Jones (1923, 1926, 1929 und 1930), Ben Hogan (1948, 1950, 1951 und 1953) und Jack Nicklaus (1962, 1967, 1972 und 1980) aufschließen können. Doch bislang konnte er seine Mega-Karriere mit 15 Major-Siegen (nur durch Jack Nicklaus mit 18 Erfolgen übertrumpft) und 82 Turniersiegen auf der der absoluten Elite vorbehaltenen amerikanischen PGA-Tour (womit Woods gemeinsam mit Sam Snead die ewige Bestenliste anführt) nicht durch einen weiteren Sieg bei den US Open krönen.
Im vergangenen Jahr war er sogar nach der zweiten Runde am Cut gescheitert – ein sportlicher Tiefschlag, den er mit Deutschlands bestem Golfer Martin Kaymer teilen musste. Während der deutsche Hoffnungsträger Stephan Jäger, Jahrgang 1989, bei seiner dritten Teilnahme an dem Event einen beachtlichen 34. Platz bei den US Open 2020 belegen konnte.
Wenn vom 17. bis 20. Juni auf dem Torrey Pines Golf Course die 121. Auflage der US Open über die Bühne gehen wird, wird Woods nach seinem Horror-Autounfall vom Februar 2021 krankheitsbedingt nicht an den Start gehen können. Ausgerechnet in Torrey Pines muss er passen, weil das Major-Turnier hier in seiner langen Geschichte erst zum zweiten Mal Station macht. Denn die Besonderheit der US Open besteht seit jeher darin, dass der Veranstaltungsort jährlich wechselt. Was treffsichere Prognosen über Favoriten nahezu ausschließt, weil niemand vorab so recht absehen kann, welche Stärken oder Schwächen der einzelnen Spieler auf dem jeweiligen Platz ausschlaggebend für ein gutes oder schlechtes Abschneiden sein können.
Die US Open, die 2021 immerhin schon zum 85. Mal auf Anlagen in Kalifornien durchgeführt werden, sind im Golf-Turnierkalender stets auf Mitte Juni terminiert, wobei der Finaltag jeweils der dritte Sonntag des Monats sein sollte (nur 2020 wurde das Event coronabedingt ausnahmsweise im September abgehalten). Der Sieger anno 2021 wird sich über ein Preisgeld von rund zwei Millionen Dollar freuen können. Zusätzlich erhält er natürlich auch eine Trophäe, die im Unterschied zu den anderen drei Major-Turnieren allerdings keinen eigenen Namen hat, sondern ziemlich profan nur „US Open Championship Trophy" genannt wird. Der von einer am Deckel mit einer Frauenfigur gezierte silberne Henkelpokal hat es daher nicht leicht, an den Nimbus von „Green Jacket" (US-Masters), „Claret Jug" (British Open) oder „Wanamaker Trophy" (PGA Championship) heranzureichen. Als weitere Auszeichnung wird dem Gewinner schon seit 1895 eine Goldmedaille ausgehändigt, die seit 2012 auf den Namen „Jack Nicklaus Medal" getauft ist.
48 von 156 Spielern sind automatisch teilnahmeberechtigt
Die insgesamt 156 Teilnehmer der US Open 2021, für deren Besuch eine beschränkte Anzahl von Zuschauern zugelassen wurde und die hierzulande lediglich beim Bezahlsender Sky auf den TV-Bildschirmen mitverfolgt werden können, erhalten von der USGA nach einem recht komplizierten Auswahlverfahren ihre Startberechtigung. Theoretisch kann sich jeder Golfer, der ein Handicap von 1,4 oder besser hat – egal ob Profi oder Amateur –, bei der USGA bewerben. Danach gilt es, sich auf dem Weg über lokale und regionale Turniere zu qualifizieren. Aber natürlich gibt es auch Top-Spieler, die gesetzt sind. Mitte Mai listete die USGA 48 Player, die unter anderem dank ihrer vorderen Plätze auf der Weltrangliste oder als frühere US-Open-Sieger automatisch teilnahmeberechtigt sind. Martin Kaymer, aktuell nur auf Position 96 der Weltrangliste geführt, kann als bislang einziger deutscher Gewinner (2014) noch bis 2024 von dem Sieger-Auswahlkriterium profitieren, weil die USGA immer die jeweils zurückliegenden zehn Jahre als Entscheidungsgrundlage heranzieht. Dem in San Diego beheimateten Lokalmatador Phil Mickelson, der Ende Mai 2021 durch den Sieg bei den PGA Championships zum ältestes Major-Gewinner aller Zeiten geworden war, wurde von der USGA eine Wildcard zugeteilt. Um dem 51-jährigen Superstar die Chance zu eröffnen, endlich den einzigen ihm noch fehlenden Major-Titel zu erringen und damit zu den fünf Legenden, denen das Viererpack-Kunststück schon gelungen war, aufzuschließen: Gene Sarazen, Ben Hogan, Gary Player, Jack Nicklaus und Tiger Woods.
Profi Stephan Jäger, aktuell als zweitbester Deutscher auf Platz 132 im World-Ranking gelistet, wird keinerlei Gedanken an eine USGA-Ausnahmezulassung verschwenden müssen, sondern kann sich in Ruhe auf einen möglichen Start an der Seite von Martin Kaymer bei den Olympischen Spielen in Tokio vorbereiten. Ob Martin Kaymer, der nach seinen beiden Major-Triumphen bei den PGA Championships 2010 und eben 2014 bei den US Open seit nunmehr sieben langen Jahren keinen einzigen Turniersieg mehr erringen konnte, ausgerechnet in Torrey Pines zu früherer Topform zurückfinden kann, um zumindest den Cut nach der zweiten Runde zu überstehen (was ihm jüngst bei den PGA Championships 2021 nicht gelungen war) und an der Seite der verbleibenden 60 Bestplatzierten die beiden weiteren Runden absolvieren zu dürfen, ist ziemlich unwahrscheinlich. Aber Überraschungen oder gar Sensationen sind bei den US Open nie ganz auszuschließen. So gab es 1969, 1996, 2005 und 2009 schon mal Außenseiter-Siege durch Spieler, die sich zuvor durch die Mühlen der Qualifikation hatten kämpfen müssen. Der aus Mettmann stammende Kaymer selbst offenbarte jüngst im Gespräch mit der „Zeit" keinerlei Illusionen über mögliche Erfolgschancen: „Ich brauche mich nicht mit der Nummer eins der Welt zu vergleichen, nur weil ich da mal war." Es sei völlig absurd, „zu einem Turnier in Amerika zu reisen und zu glauben, dass ich dort gewinnen kann". Zumal es bei den US Open für Europäer seit jeher extrem schwierig ist, die übermächtigen Amerikaner zu schlagen. So hatte erst der Nordire Graeme McDowell mit seinem Triumph 2010 eine 40-jährige europäische Durststrecke auf dem Weg zum US-Open-Thron beenden können.
Dustin Johnson führt die Weltrangliste an
Allen zehn Top-Stars der aktuellen Weltrangliste (Stand: 7. Juni 2021) kann ein Sieg bei den US Open 2021 zugetraut werden. Angeführt wird das Ranking vom US-Amerikaner Dustin Johnson (Gewinner 2016), gefolgt von seinem Landsmann Justin Thomas. Die Ränge drei bis zehn werden belegt vom Spanier Jon Rahm, von den US-Amerikanern Bryson DeChambeau, Collin Morikawa, Xander Schauffele, Brooks Koepka (Triumphator 2017 und 2018 und Zweiter bei den PGA Championships 2021) sowie Patrick Reed, vom Nordiren Rory McIllroy (Sieger 2011) sowie vom Briten Tyrrell Hatton. Auf dem elften Platz rangiert der US-Amerikaner Webb Simpson (Gewinner 2012). Der Sieger des Jahres 2019, Gary Woodland, natürlich auch ein US-Amerikaner, ist nur auf Position 55 zu finden.
Als Topfavorit wird häufig Bryson DeChambeau genannt, der bei seinem Sieg 2020 nicht nur die gesamte Konkurrenz, sondern auch die Fairways mit seinen mächtigen Schlägen in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Auf den Spuren von Tiger Woods hat DeChambeau das Longhitting in gänzlich neue Sphären geführt. Woods hatte beim Major-Turnier US Masters 2001 den Ball rund 300 Meter weit geschlagen, was vormals dort noch nie jemand geschafft hatte und eine Verlängerung des Kurses in Augusta nach sich zog. Dafür hat sich der ehemalige elegante Nerd in den letzten beiden Jahren ganz gezielt durch Krafttraining und Proteinbomben mehr als 20 Kilo zusätzliche Muskelmasse draufgepackt – was dem 26-jährigen, 1,85 Meter großen und nunmehr 115 Kilogramm schweren Golfer den Spitznamen „Hulk" eingebracht hat. Er kann die Bälle mit einem Schwungtempo von 300 Kilometern pro Stunde bis zu 350 Meter weit schmettern, wodurch er die ausgeklügelte Platz-Architektur einfach aushebeln kann, weil er die künstlichen Hindernisse, die die Konkurrenz zum Tüfteln oder zur Verzweiflung bringen, einfach überschlägt. In der Szene wird daher schon überlegt, diesem Kraftspiel durch schwerere Bälle oder längere Anlagen zu begegnen, um die vermeintliche Seele des Golfs mit Strategie und Technik retten zu können. DeChambeau kann darüber nur müde lächeln. Weil der als Eigenbrötler oder auch „Mad Scientist" abgestempelte ehemalige Physikstudent ohnehin vieles anders macht, indem er etwa Schlägerkopfgeschwindigkeiten, Schlagwinkel oder Landepunkte und Ausrollverfahren der Bälle zu berechnen versucht. Oder indem er als einziger Spieler nur Eisen mit gleicher Schaftlänge einsetzt.