Opas anerkennender Ausruf verhalf dem Kreuzberger Eislokal „Lecko’ Mio" zu seinem Namen. Bei Nadja Maßmann in der Kreuzberger Graefestraße gibt’s überzeugend Cremiges und Fruchtiges auf selbst gebackenen Waffelhörnchen.
Eiscremefarben für die Eiscreme. Pistazieneis und Ruby-Schokoladeneis kuscheln sich unter einen Tuff Sahne. Ein weiß-rosa marmoriertes Schokoröllchen macht sich’s obenauf gemütlich. Hintergrund ist ein wohl gebräunter Waffelfächer, vor dem die Kugeln ihren großen Auftritt haben. Das Ambiente bei „Lecko’ Mio" ist in den passenden hellen Pastelltönen gehalten. Das Design entspricht der Eiscreme: klar, freundlich und ansprechend.
Noch ist es eine Sondersituation im Gastraum, dass wir an einem kühlen Maitag innen fotografieren und probieren können. Als sich Sonnenstrahlen durch die schmale Graefestraße schieben, öffnet um 13 Uhr die Tür des Eisladens. Rasch folgen die Eisliebhaber, die schon draußen darauf gewartet haben, dass es mit Eis und Kaffee endlich losgeht. Inhaberin Nadja Maßmann hat uns so serviert, wie es nun zumindest außen wieder erlaubt ist: Espresso von „Bonanza Kaffee" in dickwandigen Porzellantassen, das Eis mit „echten" Löffeln und im Silberpokal.
Der Fotograf und ich langen zu und starten unseren Probier-Marathon. Die Ruby-Schokolade, die ich pur normalerweise geschmacklich eher unterwältigend finde, läuft in der Kombi zur Höchstform auf. Fein und ein bisschen fruchtig unterstreicht sie die Vollmundigkeit der Pistazien. Eine ordentlich fette Sahne ergänzt das Ganze perfekt und cremig. Lassen Sie uns außerdem über Eiswaffeln reden: Diese ist so buttrig und kross, dass sie auf meiner Favoritenliste gleich ganz nach oben durchzieht.
Nadja Maßmann steht für alle Produkte in ihrem Eisladen. Sie stammt aus einer Familie von Eis-Auskennern. „Alle Eissorten für ,Lecko’ Mio‘ produzieren meine Eltern in unserem Familienbetrieb in Osnabrück in traditioneller Herstellungsweise", sagt die 33-Jährige. Ihre Familie übernahm ihn vor 15 Jahren vom befreundeten Eiskonditor Luciano. Seither werden dort vor allem besondere Sorten Bio-Eis für Wiederverkäufer hergestellt. Nach zehn Jahren Grafik und Fotografie wechselte Nadja Maßmann auch hauptberuflich ins kühle Metier: „Wir haben so geiles Eis. Wie kann ich das nach Berlin bringen?", fragte sie sich. Für Nadja Maßmann ist „Eiscreme Balsam für die Seele". Als sie den Zuschlag für den Laden in der Graefestraße erhielt, entwickelte sie innerhalb von drei Monaten ihr Konzept, baute um und startete im Juni 2018. „Das erste Jahr war schon hart und unsicher."
Eis zum Mitnehmen auch im Pfandglas
Aber das „Lecko’ Mio"-Sortiment mit vielen cremigen und fruchtigen Klassikern, Sorbets und veganen Varianten überzeugte sowohl die Qualitätsliebhaber und Konservativen wie auch die Preisbewussten. „Schoko, Vanille und Erdbeere gehen immer noch am besten." Und die Nuss-Sorten, allen voran die Pistazie, die streng genommen eine Steinfrucht ist. Obwohl es Popcorn- oder ein schwarzes Lakritzeis gibt, bleibt Maßmann gern in der goldenen Mitte: Sehr gute, gern auch regionale Zutaten finden ihren Weg ins Eis. Allzu verschnippte Geschmackskombis sind ihre Sache nicht. „Man probiert fancy Sorten einmal, bleibt dann aber beim Beliebten", stellte sie fest.
Eine Freundin mit Garten in der Uckermark freut sich, wenn Maßmann ihre Früchte verarbeitet, so wie den Rhabarber für den Monatsbecher vom Mai. Damit keine Missverständnisse aufkommen, weil die Eismaschinen nicht direkt vor Ort stehen: Jedes Rezept entwickelte Maßmann gemeinsam mit Eiskonditor Luciano nach eigenen Ideen. Das Eis wird frisch und in kleinen Einheiten produziert und dann nach Berlin geshuttelt. Alle anderen Bestandteile stellt das „Lecko’ Mio"-Team in Berlin selbst her – von der Erdbeersauce bis zum Lemon Curd, von den gerösteten Nüssen bis zu Brownies, Crumbles oder Biskuits.
Bei manchem verließ sich Nadja Maßmann aufs Bauchgefühl – beim Spaghetti-Eis zum Beispiel. So ein westdeutscher 70er-Jahre-Eisbecher-Klassiker mitten im „Was aufs Hörnchen"-Kosmos? „Ich habe mir einfach gedacht: Ach was, das ist mein Lieblingseis. Das mach ich." Gut für uns. Sahne von der Lobetaler Molkerei, Vanilleeis, Erdbeersauce und gehobelte weiße Schokolade gehen eine üppig-überzeugende Liaison miteinander ein. Spaghetti-Eis-Liebhaberinnen dieser Stadt, kommt in die Graefestraße! In Anbetracht unseres Probier-Marathons wählen wir die Kinderportion für 4,90 Euro. Die ausgewachsene Version gibt’s für 6,90 Euro.
Seit vergangenem Jahr gibt es Eis und Eisbecher zum Mitnehmen auch gegen zwei Euro Pfand im Glas. Die Spatel sind aus unbeschichteter Pappe. In derselben Form wie die bekannten Neon-Plastik-Teilchen, aber für die Entsorgung im Altpapier geeignet. „Ich habe mich bewusst gegen essbare Löffel entschieden. Die isst meistens keiner auf und dann landen sie doch im Müll. So ist das klarer."
Nicht im Müll landen dürften dagegen die Waffelbecher, die Nadja Maßmann demnächst als weitere Alternative zu Pappbecher und Pfandglas einführen will. Eine gute Entscheidung. Die knusprigen Waffeln allein sind schon eine Anreise wert. Im Hintergrund glüht das Waffeleisen, bäckt eine Mitarbeiterin so manches Hörnchen und so manchen Deko-Fächer für die Becher vor. „Ich habe zwei Jahre herumexperimentiert für die perfekte Waffel", sagt Maßmann. Mit Erfolg.
Ordentlich gute Butter im Teig dürfte ebenso eine Rolle spielen wie die perfekte Temperatur beim Backen, die genau den richtigen Grad an Bräune und Crunch erzeugt. „An einem sonnigen Sonntag brauchen wir schon so 200 bis 300 Waffeln. Ich muss demnächst ein zweites Eisen kaufen." Die Waffelgerüche aus dem Backbereich hinterm Tresen beduften die Gäste animierend. Da darf’s doch gern eine Kugel für 1,50 bis 1,70 Euro mehr sein. Sehr charmant und überzeugend ist die Sonderpreis-Gestaltung: „Kids 1,20 Euro" steht auf der Tafel. Ja, richtig gesehen. „Ich finde, Eis soll für jeden bezahlbar sein", sagt Maßmann.
In der Graefestraße treffen Menschen aus verschiedensten Lebenssituationen und mit sehr unterschiedlich viel Geld im Portemonnaie aufeinander – vom Anwohner aus den Hochhäusern am Kotti über die Nachbarn aus dem schickeren Graefe-Wohnkiez bis zu den Marktbesuchern vom angesagten nahen Maybachufer.
Blaubeersorbet aus reinem Fruchtpüree
Draußen beginnt es sich zu schlängeln, Menschen mit Pagern warten auf bestellte Becher, die anderen auf einen Blick in die Eistheke. „Kannst du kurz mithelfen und zwei vegane Eis-Spaghetti machen?", ruft die Mitarbeiterin. Nadja Maßmann begibt sich gern an ihre Lieblingsmaschine „mit Kompressor! Eine Saison hatte ich eine Handpresse. Das hat gereicht." Die Gelenke bleiben nun verschont, die Maschine verwandelt ohne Muskelkraft Vanille-Bällchen in vegane Spaghetti. Diese Sorten kosten genau so viel wie die „mit": „Wir wollen nicht, dass Veganer immer mehr zahlen müssen, nur weil sie sich gut ernähren."
Die Kundin wird angefunkt, „das schreckliche Piepgerät" draußen lärmt und vibriert zum Abholen. Vor Corona wurde in Spitzenzeiten in drei Schlangen angestanden. Derzeit dürfen maximal drei Personen im Laden sein. Noch etwas ist neu: ein überdimensionaler QR-Code auf der Karte draußen. Der Link führt zu einer digitalen Eiskarte, über die insbesondere die Becher und Kaffees bestellt und bezahlt werden können, ohne den Laden ein zweites Mal betreten zu müssen.
Die Kugel aufs Hörnchen ist und bleibt dagegen ein Impulskauf. Frau muss sehen, welche Sorten am verlockendsten sind und zur Tagesverfassung passen, sind Nadja Maßmann und ich uns einig. Die Eis-Expertin weiß auch, wie sie Sorbet-Skeptikerinnen wie mich herumkriegt. Ich bekomme einen Kringel Blaubeersorbet „aus reinem Fruchtpüree" sowie Cheesecake-Lemon-Curd zum Abschluss. Aber bitte mit Sahne! Da sind sich Maßmann und Udo Jürgens einig. „Zu Lemon Curd muss Sahne sein. Das ist die Creme zum Käsekuchen", findet die Chefin. Und genauso zum intensiven Blaubeersorbet, das so nach „Noch mehr" schmeckt. „Lecko mio, ist das gut!" Ich schließe mich dem anerkennenden Ausruf von Nadja Maßmanns Opa sofort an. Ja, ist es. Muss genau so. Immer wieder gern.