Im Disney-Film „Cruella" sind Emma Stone und Emma Thompson beide in Höchstform. Eine Mischung aus „Joker" und „Der Teufel trägt Prada".
Cruella de Vil ist wohl die mit Abstand diabolischste Kultfigur im Disney-Kosmos. Wie es dazu kommen konnte, dass sie so abgrundtief böse wurde, zeigt „Cruella" (seit 27. Mai im Kino und seit 28. Mai bei Disney+ verfügbar) mit Emma Stone („La La Land") und Emma Thompson („Sinn und Sinnlichkeit") in den Hauptrollen. Das furiose Prequel zu den „101 Dalmatiner"-Filmen hat schon jetzt Kultstatus. Das Duell der beiden Filmstars gehört zum Besten, was das Kino derzeit zu bieten hat. Ein Doppelinterview über böse Mütter und böse Töchter. Und noch einiges mehr.
Mrs. Stone, waren Sie überrascht, dass Disney für einen so düsteren und stellenweise sehr bösen Film wie „Cruella" grünes Licht gegeben hat?
Emma Stone: Das war ich tatsächlich. Es ist sicher der dunkelste Disney-Film, den ich seit Langem gesehen habe. Aber es macht ja auch Sinn. Schließlich wird sehr eindrucksvoll gezeigt, wie aus der unschuldigen Estella die psychopathische Kult-Figur Cruella de Vil wird, die wir aus „101 Dalmatiner" kennen.
Mrs. Thompson, Sie spielen die Baroness – eine neue Figur im Disney-Kosmos. Sie ist faszinierend und zugleich ein lebendiger Alptraum. Wie sind Sie an diese Rolle herangegangen?
Emma Thompson: Ich habe mich einfach an die bösen Charaktereigenschaften erinnert, die ich zu Genüge habe! (lacht) Wäre mein Mann jetzt hier, würde er sagen: „Da war absolut keine Schauspielkunst nötig." Aber im Ernst: Ich hatte sehr viel Spaß dabei, endlich einmal so eine abgrundtief böse Person zu spielen. Jahrzehntelang habe ich doch „gute Frauen im Kostüm" gespielt, wie meine Mutter es nannte. Jetzt konnte ich endlich einmal die „böse Frau im Kostüm" sein. Und – oh mein Gott! – was für sensationelle Kleider das waren! Diese Kleider haben mich getragen. Ich musste eigentlich nichts weiter als den Text aufsagen. Emma und ich kamen jeden Tag in einem anderen, absolut bezaubernden Outfit ans Set … und jedes Mal haben wir uns gegenseitig ausgiebig von allen Seiten bestaunt, als wären wir Kunstwerke. Was wir ja auch wirklich waren!
Emma Stone: Ja, wir waren jedes Mal total überwältigt von den Kleidern und Kostümen. Da waren Modelle dabei, die ich noch nie zuvor gesehen hatte – nicht im Film und im wirklichen Leben schon gar nicht!
Emma Thompson: Wir waren beide eine eigene One-Woman-Show. Allerdings habe ich für diese Wahnsinns-Kleider auch einen Preis zahlen müssen: Eingeschnürt in diese Korsetts konnte ich kaum sitzen, so gut wie nichts essen und wenn ich auf die Toilette musste, stand mir ein ganzes Team zur Seite, das mir beim Pinkeln geholfen hat. Und dann diese mörderischen Stöckelschuhe! Das war eine ziemlich wackelige Angelegenheit. Im wirklichen Leben trage ich nichts, das höher ist als Flip-Flops. Außerdem trug ich auch noch eine Perücke, die mich noch zusätzlich größer machte. Es war eine große Herausforderung die Balance zu halten und die Contenance zu wahren. Solche Probleme hatte Emma Stone natürlich überhaupt nicht. Sie ist schlank wie eine Lilie …
Emma Stone: Ha, da täuschst du dich aber gewaltig! Auch ich wurde in diese engen Marie-Antoinette-Korsagen gepresst, in denen ich manchmal kaum atmen konnte.
Emma Thompson: Na ja, aber du hast ja kaum Fleisch auf den Rippen. Bei mir haben sie mit meinem Fleisch ziemlich gut gearbeitet. Man hat mir zum Beispiel – wie früher üblich – den Busen zusammengedrückt und nach oben gewalkt, bis er das Dekolleté füllte, und wenn er darüber hinausschwappte, hat man ihn wieder etwas heruntergedrückt. Das ist, als ob man Zahnpasta in der Tube hoch- oder runterdrückt. So kann man tatsächlich sehr effektvolle Rundungen erzeugen.
Hatten Sie ein Lieblingsdress?
Emma Stone: Das verrückteste Dress war das Outfit, das ich auf dem Müllwagen anhatte – zusammengenäht aus Altkleidung. Als der Wagen dann losfuhr und sich die zwölf Meter lange Kleiderschleppe wie Wellen auf dem Meer hin- und herwogten, da wusste ich: Du bist in einem Film! So etwas gibt es im wirklichen Leben gar nicht! Dann gab es noch diesen wahnsinnigen Umhang, den ich anhatte, als ich auf das Autodach stieg und mit einem weit ausholenden Schwung die Baroness verdeckte, die noch im Auto saß. Das war wie ein Theatervorhang. Einfach fantastisch!
Mrs. Stone, wer stand Ihnen denn charakterlich näher: die unverdorbene Estella oder die teuflisch-böse Cruella?
Emma Stone: Sie fragen mich im Ernst, ob ich eine so schreckliche Person wie Cruella bin? Das Interessanteste an meiner Rolle war, wie aus der netten Estella im Laufe des Films die psychopathische Cruella wurde. Anfangs wird Estella in ihrer Gutmütigkeit ja von fast allen zurückgestoßen, sogar lächerlich gemacht. Cruella dagegen ist auf ihre grausam-narzisstische Art schon ziemlich verführerisch und attraktiv. Sie ist beruflich sehr erfolgreich, wird von allen akzeptiert, wenn nicht gar gefürchtet.
Die Moral von der Geschichte ist also: Mit Nettigkeit wird man keine Fashion-Ikone?
Emma Stone: Ich finde es schon faszinierend, wie Cruella ihr Mode-Imperium aufgebaut hat und wie cool sie es verwaltet. Allerdings überschreitet sie dabei viele rote Linien, die ich nie im Leben überschreiten würde. Es war für mich sehr befreiend, als Cruella endlich einmal in die Vollen gehen zu können. Denn als Schauspielerin muss ich mich häufig sehr zurücknehmen und eher introspektiv agieren. Als Cruella konnte ich dem Affen wirklich Zucker geben!
Emma Thompson: Genau wie Emma bin auch ich sehr fasziniert davon, endlich mal die dunkeln Seiten einer Frauenfigur ausdrücken zu können. Denn das passiert eigentlich ziemlich selten. Frauen im Film sind meistens dazu da, um nett und gut zu sein. Und böse Mütter im Film sind schlicht unverzeihlich. Das ist immer noch ein Tabu. Also Überraschung: Die Baroness ist eine böse Frau! Sie ist total von sich selbst eingenommen. (lacht) Aber sie sagt auch all diese wunderbar zynischen Sachen …
Wir lernen: Nur Selbstverliebtheit beflügelt das Geschäft – und macht megaerfolgreich …
Emma Thompson: Wenn die Baroness nicht so egoistisch gewesen wäre, hätte sie ihr Genie wohl nie richtig ausleben können. Frauen, die ihr Talent zurückstellen und ihr Genie ganz hinten in der Schublade vergraben, haben eben keinen Erfolg. Um Karriere zu machen, braucht es viel Einsatz, Hingabe und einen eisernen Willen. Wenn man auf diesem Weg jedoch keine roten Linien überschreiten und eben nicht über Leichen gehen will, wie Emma, finde ich das bewundernswert.
Sie hatten eine gute Kindheit, wie Sie uns in einem früheren Interview verraten haben. War da wirklich alles so rosig? Anders gefragt: Wie haben Sie Ihre innere Baroness denn gefunden? Gab es reale Vorbilder?
Emma Thompson: Die Baroness zu spielen war tatsächlich erschreckend einfach für mich. Ich kann grausam und böse sein! (lacht) Dabei hatte ich wirklich sehr liebevolle und verständnisvolle Eltern, die mich immer sehr unterstützt haben. In meiner Kindheit und Jugend war ich meist von wirklich sehr netten und liebenswerten Menschen umgeben. Narzisstische Menschen sind im wirklichen Leben eigentlich ziemlich selten. Später, im Showbusiness, sind mir aber tatsächlich nicht gerade wenige dieser Exemplare untergekommen.
Namen bitte!
Emma Thompson: Träumen Sie weiter! Die Baroness-Rolle ist eine Mixtur aus verschiedenen Personen, die mir im Laufe meines Lebens begegnet sind. Die Baroness ist korrupt und gierig nach Erfolg. Sie kann nie-manden neben sich gelten lassen. Sie ist der festen Überzeugung, dass sie alle ihre Konkurrenten vernichten muss. Das ist natürlich – wie auch der Film zeigt – letztlich sehr selbstzerstörerisch.
Bei aller visuellen Bravour und Grandezza – das Wichtigste ist und bleibt doch in jedem Film die Charakterzeichnung …
Emma Stone: Absolut. Deshalb sind mir die Szenen, die mit Emotionen aufgeladen sind, auch immer sehr, sehr wichtig. Wenn ich zum Beispiel, wie in „Cruella", in dieser Schlüsselszene mit dem langen Monolog meinem Charakter Tiefe geben und die Handlung vorantreiben kann, dann ist das schon sehr befriedigend für mich. Allerdings ist das auch jedes Mal ziemlich nervenaufreibend. Aber gerade deshalb liebe ich die Schauspielerei.
Wie halten Sie denn Ihre Nerven in Schach? Haben Sie beim Drehen Lampenfieber?
Emma Stone: Nein, überhaupt nicht. Ich gehe in die Szene hinein und bin dann ganz da und bei mir. Je präsenter ich bin, desto weniger nervös bin ich. Das ist einer der Gründe, warum ich Schauspielerin geworden bin. Denn im wirklichen Leben bin ich ziemlich unsicher und ängstlich. Wenn ich schauspielere, bin ich ganz im Hier und Jetzt. Da habe ich keine Zeit, mir über andere Dinge Sorgen zu machen. Das Beste an der Schauspielerei ist, dass ich für ein paar Momente alles um mich herum vergesse. Da fühle ich mich frei.
Sie sagten vorher, wie wichtig es für Sie war, die Entwicklung von Estella zu Cruella darzustellen. Können Sie noch etwas näher darauf eingehen?
Emma Stone: Estella hat früh gemerkt, dass sie mit ihrer Unbedarftheit sehr schnell an Grenzen stößt. Man nimmt sie nicht ernst. Man nutzt sie schamlos aus. Aber zum Glück lässt sie sich das nicht lange gefallen. Schließlich gelingt es Estella sogar, ihre scheinbaren Schwächen in Stärken umzuwandeln. Wie sie das macht, finde ich sehr interessant. Sie reagiert auf sehr kreative Art und Weise auf die gegebenen Umstände und lernt schnell, sie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Aus der netten Estella wird schließlich die diabolische Cruella. Diese Veränderung zu beobachten bereitet mir große Freude. Und ich würde mir wünschen, dass das auch für die Zuschauer ein höllischer Spaß wird.