Von Bern über Potsdam und Weimar, mit erneuter Zwischenstation Bern, nach Cottbus – der Schweizer Stephan Märki ist seit Beginn der Spielzeit Intendant am einzigen staatlichen Theater Brandenburgs. FORUM sprach mit ihm über seine ersten Monate an dem Vierspartenhaus unter Corona-Bedingungen.
Herr Märki, wie kam es dazu, dass Sie Intendant in Cottbus wurden?
Ich wurde von der Findungskommission angesprochen und war sofort interessiert. Denn bereits in meiner Potsdamer Zeit war das Cottbuser Theater einer meiner Sehnsuchtsorte.
Aus welchem Grund?
Es ist eines der schönsten Theater. Und vor allem war es nach der Wende eines der wichtigsten; unter Christoph Schroth, dessen Aufführungen in Schwerin ich schon vor 1989 mit großem Interesse von München aus besucht hatte. Die Energie, die das Cottbuser Theater damals ausstrahlte, war unfassbar stark.
Sie haben in Cottbus die Nachwirkungen einer Krise geerbt: Das Orchester und der Generalmusikdirektor hatten sich entzweit. In der Folge trat Ihr Vorgänger zurück, Intendant Martin Schüler. Worin liegt die besondere Herausforderung Ihrer Amtsübernahme?
Im Laufe von Schülers langjähriger Intendanz wurden manch notwendige Kommunikationsprozesse vernachlässigt und Dinge, die schon viel älter sind, ins Heute getragen. Das lässt sich kaum vermeiden. Da gibt es einiges aufzuarbeiten, und das wird auch geschehen. Die Pandemie war aber hierbei nicht gerade förderlich.
Wie läuft die Aufarbeitung der Geschehnisse?
Wir bemühen uns um einen Austausch, so gut es momentan geht. Das Theater muss in vielerlei Hinsicht eine sehr veränderungsträge Zeit bewältigen, das ist nicht ganz einfach. Aber, wie Sie sagen: Es ist eine besondere Herausforderung und auch eine wichtige Chance.
In einem Online-Forum las ich den Vorwurf, Sie hätten zu wenig jüngere und ostdeutsche Künstler eingestellt.
An mich wurde dieser Vorwurf noch nie herangetragen. Was ist jung? Was ist alt? Ist ostdeutsch die Herkunft oder eine Sozialisation? Ich finde das etwas vage. So eine Bemerkung dient ja nur der polemischen Provokation. Ich halte allerdings Identitätspolitik nicht für eine Lösung für Probleme gesellschaftlicher Anerkennung.
Als neue Schauspieldirektorin haben Sie Ruth Heynen engagiert, die zuletzt Chefdramaturgin am Nationaltheater Luxemburg war. Was schätzen Sie an ihr?
Ich habe Ruth Heynen über Armin Petras kennengelernt, der als Hausautor und ständiger Regisseur zum erweiterten Team gehört. An ihr schätze ich unter anderem ihren ungeheuren künstlerischen Verstand und ihre künstlerische Kompromisslosigkeit.
Sie sind Intendant und Operndirektor in Personalunion. Ist das eine geeignete Konstellation, um die Verletzungen zu heilen, die während der Krise des Hauses entstanden waren?
Die Frage müssten Sie dem brandenburgischen Kulturministerium stellen, das diese Entscheidung getroffen hat. Ich glaube aber nicht, dass die Frage sich so stellt. Strukturen sind zwar wichtig, aber es kommt letztlich doch darauf an, dass und wie Menschen miteinander kommunizieren und umgehen.
Cottbus und die Lausitz haben ihre besonderen gesellschaftlichen Probleme.
In der Lausitz vollzieht sich der wohl letzte große industrielle Wandel Mitteleuropas; hier fallen die letzten Arbeitsplätze der fossilen Energieversorgung weg. Damit gehen tiefgreifende, auch kulturelle Veränderungen einher, wie andere Teile Europas sie noch vor sich haben. Europäische Diskussionen konzentrieren sich hier wie in einem Brennglas.
Wie reagieren Sie darauf als Theatermacher?
Wir verstehen Theater als einen Ort, an dem sich die Gesellschaft darüber verständigt, wie wir leben wollen. Wir möchten ins Bewusstsein rücken, wie sehr die Lausitz von Unbeständigkeit geprägt ist, wie viele Brüche sie bewältigt hat. In Cottbus haben gesellschaftliche Fragen eine ganz greifbare Relevanz. Deshalb ist Theaterarbeit hier so beglückend.
Für wen machen Sie in Cottbus Theater? Eher für die Menschen in der Region oder für Besucher von außerhalb?
Wer Theater macht oder eines leitet, hat immer die Quadratur des Kreises im Blick. Künstlerische Arbeit hat immer etwas mit Utopien und Illusionen zu tun. Wenn ich also sage „Ich möchte für alle Theater machen", dann ist diese Aussage zugleich unpräzise und exakt.
Was heißt das konkret?
Natürlich möchte ich in erster Linie für Cottbus und dessen Umgebung Theater machen. Das beinhaltet aber auch, dass das Theater nicht regional gebunden bleibt. Wir möchten mit unserem Programm Grenzenlosigkeit vermitteln, ohne dabei beliebig zu werden.
Wie lässt sich Grenzenlosigkeit vermitteln?
Wir stellen uns bei unseren Produktionen die Frage nach räumlichen, zeitlichen, künstlerischen Bezügen. Deshalb kooperieren wir mit hier verwurzelten, international tätigen Regie-Teams wie denen von Andrea Moses oder Armin Petras. Aber auch mit Regisseuren, die einen Blick von außen bringen und mit unseren festangestellten Ensembles arbeiten.
Welche Funktion kann das Theater in der Pandemie einnehmen?
Das Theater kann in der Pandemie keine Funktion haben; das ist ja die Crux. Das Theater ist keine Kirche, keine Partei, kein Leitartikel. Nur wird die enorme Bedeutung dieser Funktionslosigkeit nicht genug wahrgenommen. Eine Gesellschaft braucht aber dringend solche „funktionslosen" Räume; sie sind lebensrelevant. Sonst überlassen wir alles Nachdenken und Andersdenken den so genannten Querdenkern.
Cottbus und der Süden Brandenburgs gelten als Region, in der sich rechtsextremistisches Gedankengut breit gemacht hat. Ist es eine Aufgabe des Theaters, gegen Rechtsradikale Stellung zu beziehen?
Kunst ist immer politisch. Kunst ist eine Form menschlichen Tuns, die sich mit grundsätzlichen Fragen des Lebens auseinandersetzt. In ihrem tiefsten, innersten Prinzip muss Kunst also gegen alle Formen von Ablehnung und Abgrenzung sein. Das ist aber erstmal ein Widerspruch.
Weshalb?
Gegen das Gegen sein. Das ist vielleicht der Widerspruch, den Kunst immer praktiziert, wenn sie Kunst bleiben will. Kunst sorgt dafür, dass wir das Bewusstsein der eigenen Belanglosigkeit nicht verlieren. Und zugleich erhält sie den Wunsch am Leben, über diese Belanglosigkeit hinauszuwachsen. Es ist also nicht die Aufgabe, sondern vielmehr die Voraussetzung von Kunst, anders zu denken als hassend und ausgrenzend.
Halten Sie die Corona-Maßnahmen im Kulturbereich für sinnvoll und notwendig?
Der Mensch ist kein sonderlich anpassungsstarkes Wesen. Ich halte alle Maßnahmen, die zu einer Eindämmung der Pandemie beitragen können, für sinnvoll und notwendig, weil die Organisation von solidarischem Verhalten eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften ist. Wir müssen lernen, und haben das ja auch schon, mit dem Virus umzugehen.
Befürchten Sie, dass Corona eine Kürzungswelle bei den Kultur-Etats der Länder und Kommunen nach sich zieht?
Natürlich. Wir sind bereits jetzt in der Diskussion mit den politischen Vertretern, um das abzuwenden, damit die Diskussionsvielfalt bewahrt wird und das gesellschaftliche Leben nicht verarmt. Sonst bleiben nur marktgängige Angebote übrig, die bestätigen, was man schon kennt. Wenn wir die Vielfalt nicht mehr fördern, müssen wir uns über eine Radikalisierung der Menschen nicht wundern.
Wie kann man in diesen Zeiten einen Spielplan auf die Beine stellen?
Wir haben die kommende Saison schon sechsmal neu geplant; jeden einzelnen Tag und wollen mit kleineren Aufführungen und Open-Air-Angeboten starten. Das Programm für die nächste Saison wird dann nach der Sommerpause präsentiert. Da auch Inszenierungen nachgeholt werden, gerät der Spielplan ziemlich bunt zusammengewürfelt. Wir richten uns jetzt darauf ein, dass die Vorstellungen bis Jahresende unter Corona-Bedingungen stattfinden. Ein Riesenproblem bleiben die groß besetzten Opern und Sinfoniekonzerte.
Kommt Ihre eigene „Carmen"-Inszenierung noch, die Sie aus Bern mitgebracht haben? Damit wollten Sie im Herbst 2020 ja ursprünglich Ihren Regie-Einstand in Cottbus geben.
Die „Carmen" wird erst im Sommer 2022 kommen. Dabei hatten wir die Inszenierung schon premierenreif geprobt, an wechselnde Corona-Bedingungen und auch an die Cottbuser Bühne angepasst. Es ist fast eine Neuinszenierung.
Bereuen Sie es manchmal, unter so widrigen Umständen Ihren Posten angetreten zu haben?
Nein, überhaupt nicht.