Die deutsche U21-Nationalmannschaft hat am vergangenen Wochenende den dritten EM-Titel eingefahren. Nur wenige haben diesem Jahrgang diesen Coup zugetraut – Cheftrainer Stefan Kuntz hat es aber dennoch geschafft.
Auch nach diesem Titel gab es die üblichen Bilder. Während Siegtorschütze Lukas Nmecha und Vorlagengeber Ridle Baku ihr Zusammenspiel beim entscheidenden Treffer den 21 Journalisten in der Videoschalte erklärten, stürmte der Rest der Mannschaft den Presseraum und machte ihn kurzerhand zum Dancefloor – unter den Spielern auch ein sichtlich ausgelassener Stefan Kuntz. „Für jeden Spieler zählt nur der Titel", hatte Kapitän Arne Maier nach dem Viertelfinalsieg gegen Dänemark gesagt. Spätestens nach dem Halbfinalerfolg gegen die Niederlande war auch dem letzten deutschen Anhänger klar, dass diese Europameisterschaft jetzt schon als Erfolg zu werten war. Denn eins hat diese Mannschaft schon gezeigt: Fußball bei der Nationalmannschaft kann auch Spaß machen. Sie hatte wieder „Lust auf Fußball gemacht", wie es Stefan Kuntz als Ziel formuliert hatte.
Nach dem Spiel sagte dann David Raum, Linksverteidiger der Nationalmannschaft und bald Bundesliga-Spieler bei der TSG Hoffenheim, woher die Motivation für diese Europameisterschaft kam. „Wir wollten allen zeigen, dass der Transferwert nicht so viel zählt wie die Einheit", erklärte der Linksverteidiger. Denn schon zu Beginn der Mission Europameisterschaft wurde diesem Jahrgang die Qualität abgesprochen und nicht gerade viel zugetraut. Dann kam aber die gute alte Turniermannschaft zum Vorschein, von denen in Deutschland schon öfter die Rede war.
Denn nach einer holprigen Vorrunde entwickelte sich die Mannschaft von Stefan Kuntz letztlich zu einem hochverdienten Turniersieger. Auch im Finale wäre es durchaus möglich gewesen, mehr Tore zu erzielen. Das Prunkstück war aber die Defensive – denn es ließ gegen die torgefährlichste Offensive des Turniers keine große Masse an gefährlichen Torchancen zu. „Ich habe den Jungs gesagt: Ihr müsst ein Löwenherz und Adleraugen haben, aber auch eine Hyänenbande sein, die keiner leiden kann, aber alles bekommt, was sie will", plauderte Trainer Stefan Kuntz nach dem Spiel aus dem Nähkästchen. Die nackten Zahlen des Saarländers Kuntz zeigen schon, mit welcher Qualität er als Trainer seine Mannschaften führt: Drei Finalteilnahmen mit der U21 in Folge, bei der zwei Titelgewinne heraussprangen. Aber vor allem, wie die Spieler unter ihm auftreten und wie sie sich nach außen präsentieren, zeigt, welch großen Anteil der ehemalige Nationalspieler an diesem Auftreten hat. „Wir haben einfach Bock für ihn zu spielen", sagte der beste Torschütze des Turniers, Lukas Nmecha. Während dieses Turniers ist es einigen Spielern gelungen, sich in den Fokus zu spielen, der ihnen so lange verwehrt blieb. Ridle Baku und Florian Wirtz, die schon etablierte Bundesligaspieler sind und um die internationalen Plätze mitspielten, kennt fast jeder. Doch nun sind auch Namen wie Niklas Dorsch, Amos Pieper, David Raum und Nmecha in aller Munde. Vor allem Niklas Dorsch hat während dieses Turniers seine Qualitäten unter Beweis gestellt. Im Finale avancierte er zum besten deutschen Spieler, erinnerte teilweise an den nimmermüden Bastian Schweinsteiger 2014 bei der WM in Brasilien. Als er von Krämpfen geplagt den Platz verlassen musste, stachelte er die Einwechselspieler noch einmal ordentlich an. Ebenfalls nicht zu ersetzen war in der deutschen Schaltzentrale auch Arne Maier. Bei Arminia Bielefeld lange nicht gebraucht, kam er im Endspurt der Saison zu Einsatzminuten und führte die U21 als Kapitän zum Titel. Das Bollwerk im Abwehrzentrum steht den beiden Mittelfeldspielern in nichts nach. Nico Schlotterbeck und Amos Pieper köpften im Finale, was das Zeug hielt, gewannen Zweikampf um Zweikampf und eröffneten das Spiel zudem mit höchster Qualität. Auch das haben ihnen viele Experten nicht zugetraut. Diese Qualitäten, an die Stefan Kuntz immer geglaubt hat, machen es ihm umso schwerer, wenn er entscheiden muss, wen er am 22. Juli mit nach Tokio nimmt. Denn Olympia steht in diesem Jahr auch noch an.
„Selten so auf eine Feier gefreut"
Doch für Olympia darf Kuntz nur 18 Spieler nominieren und dabei zusätzlich auf einen größeren Spielerkreis zurückgreifen. Dazu gehören auch die nach dem 31.12.1996 geboren Spieler der Vizeeuropameistermannschaft von 2019, die die Qualifikation für das eigentlich 2020 geplante Turnier geschafft haben – wie unter anderem die Augsburger Felix Uduokhai und Marco Richter sowie Benjamin Henrichs (RB Leipzig) und Maximilian Mittelstädt (Hertha BSC). Möglich ist auch die Nominierung eines Kontingentes von drei Spielern ohne Altersbegrenzung, für das unter anderem Max Kruse im Gespräch ist.
Kuntz hat zwar angegeben, dass er den Kader zeitnah bekannt geben will. Nach dem Titelgewinn am vergangenen Wochenende hat er sicherlich noch keinen Gedanken daran verschwendet. Das Mannschaftsquartier im Finalort Ljubljana wurde vorsorglich in einem Industriegebiet aufgeschlagen, wo ungestört gefeiert werden konnte. Das haben Kuntz und sein Team-Manager nämlich in den Planungen schon mit einbezogen. „Ich habe mich selten so auf eine Feier gefreut", sagte der sichtlich gerührte Stefan Kuntz am Ende der Pressekonferenz. Neben seiner auffälligen Leistung auf dem Platz, gab auch Niklas Dorsch direkt nach dem Spiel ein auffälliges Interview: „Wir sind Europameister. 90 Minuten haben wir wieder gekämpft, das ist krank. Ich habe wieder Krämpfe bekommen, aber das ist mir so egal gerade. Das ist so geil, das Tor, wie wir es rausgespielt haben. Wir haben einfach gezeigt, dass wir gut Fußball spielen können. Was wir hier abgerissen haben, unglaublich. Es wird so gefeiert, ich hoffe, dass ich morgen das Flugzeug erwische, aber dafür sind die Verantwortlichen zuständig, dass sie mich zum Flughafen bringen." Das scheint wohl funktioniert zu haben. Stefan Kuntz und seine Jungs waren wie Hyänen – und haben am Ende das bekommen, was sie wollten.