Zugegeben, es ist ein schwieriges Format. Und eines der am schnellsten überholten. Dennoch ist es eine beliebte Spielerei, nach einer Saison in der Fußball-Bundesliga die „Gewinner und Verlierer" zu kategorisieren.
FORUM wagt es auch in diesem Jahr mit dem Wissen, dass auch dies eine Momentaufnahme ist – und ein „Verlierer" schon bald wieder ein Gewinner sein kann.
DIE GEWINNER
Bo Svensson: Wer, wenn nicht er, sollte in diesem Jahr Trainer des Jahres werden? Der Däne, der als Spieler von Jürgen Klopp und Thomas Tuchel geprägt wurde, übernahm Mainz 05 in scheinbar aussichtsloser Lage. Er rettete die Rheinhessen vor dem letzten Spieltag und ohne Relegation. Und machte sogar gleich noch klar, dass er in Mainz bleibe und sich mögliche Interessenten gar nicht zu melden bräuchten. Starker Typ!
Edin Terzic: Als Lucien Favre bei Borussia Dortmund gehen musste, übernahm sein Assistent Terzic. Der hatte einen durchwachsenen Start, legte aber einen grandiosen Schlussspurt hin. Der 38-Jährige gewann den DFB-Pokal, erreichte die Champions League, steigerte wöchentlich seine Sympathiewerte – und ließ viele fragen, warum der BVB eigentlich Marco Rose holt.
Oliver Glasner: Sein Verhältnis zu Sportchef Jörg Schmadtke war seit Glasners Kritik an ausgebliebenen Transfers zu Saisonbeginn belastet. Unbeirrt davon führte der Coach den VfL Wolfsburg in die Champions League. Und geht nun zu Eintracht Frankfurt.
André Silva: In Portugal gilt der Stürmer als neuer Cristiano Ronaldo. 28 Saison-Tore bedeuteten nicht nur Frankfurter Vereinsrekord, sondern auch Platz zwei in der Torjägerliste.
Max Kruse: Die halbe Bundesliga war im Sommer an Max Kruse interessiert, aber viele scheuten auch den Transfer des Enfant terrible. Union griff zu, und Kruse führte die Berliner in die Conference League. Kruse sei der „verrückteste Typ, den ich im Fußball gesehen habe", sagte Torhüter Andreas Luthe: „Aber ich gönne ihm alles, was er neben dem Platz macht."
Urs Fischer: Urs Fischer ist nach dem ewigen Christian Streich nicht nur der dienstälteste Trainer der Liga. Der Schweizer setzt auch jedes Jahr noch einen drauf. Erst Aufstieg, dann Klassenerhalt, nun Conference League. Eine weitere Steigerung wird aber schwer.
Pal Dardai: Unter Pal Dardai als Trainer geriet Hertha BSC nie in Abstiegsgefahr. Doch für die Ambitionen des Big City Clubs waren sowohl der Ungar als auch sein sachlicher Spielstil zu unglamourös. In der Not holte die Hertha ihn zurück, und Dardai wurde zum Retter. Den Klassenerhalt zelebrierte er Zigarre rauchend mit einem denkwürdigen Interview im ZDF-Sportstudio. Von wegen unglamourös!
Stefan Ortega: Der Torhüter von Aufsteiger Bielefeld gehörte vor der Saison zu den heißesten Geheimtipps für alle Managerspiele. Und alle, die ihn geholt haben, lagen richtig. Mit einer Durchschnittsnote von 2,81 war Ortega einen Wimpernschlag hinter
Nationalkeeper Manuel Neuer (2,80) laut „Kicker" der zweitbeste Torhüter der Liga. Bayern München zeigte Interesse an ihm als Neuer-Vertreter. Und am Ende rief sogar Bundestorwarttrainer Andreas Köpke an und sagte, Ortega solle sich für die EM fithalten, falls sich ein Torwart verletze.
Thomas Müller / Mats Hummels: Gemeinsam mit Jérôme Boateng wurden sie im März 2019 von Bundestrainer Joachim Löw aus der Nationalmannschaft ausgebootet. Nach einer starken Saison und enttäuschenden Ergebnissen seines Teams vollzog Löw nun die Kehrtwende und berief beide für die EM. Zahlreiche Fans und Experten hatten dies seit Monaten gefordert.
Robert Lewandowski / Erling Haaland: Der Rekord von Gerd Müller aus dem Jahr 1972 schien einer für die Ewigkeit. Doch dann kam Weltfußballer Robert Lewandowski – und erzielte 41 Tore für den FC Bayern München in einer Saison. Eines mehr als Müller. Der Norweger Erling Haaland hielt sich aus dem Wettschießen manchmal raus und beließ es bei 27 Treffern. Dafür wurde der 20 Jahre alte Dortmunder mit zehn Toren in nur acht Spielen Torschützenkönig der Champions League. Und zum begehrtesten Spieler Europas.
Jamal Musiala / Florian Wirtz: Die beiden Teenager rockten die Liga. Bayerns Musiala und Bayer Leverkusens Florian Wirtz schossen sich schon vor ihrem 18. Geburtstag in die Bundesliga, verzückten Fans und Experten und luchsten sich gegenseitig Rekorde ab. Der drei Monate ältere Musiala darf am Ende sogar mit zur EM mit der A-Nationalmannschaft. Wirtz bleibt als Trost die U21-EM.
VERLIERER
Jochen Schneider: In der zweiten Reihe in Stuttgart und Leipzig hatte sich Schneider einen guten Ruf erarbeitet. In vorderster Front auf Schalke wollte so rein gar nichts gelingen. Kein Trainer passte, kein Transfer passte. So wurden die stolzen Schalker phasenweise zur Lachnummer oder Opfer von Mitleid. Ende Februar musste Schneider dann gehen. Beachtlich: Er soll auf jede Abfindung verzichtet haben.
Frank Baumann: Bremens Sportchef musste sogar dann nicht gehen, als Werder als Schalkes Mitabsteiger feststand. Dabei steht Baumann im Mittelpunkt der Kritik. Besonders kurios: Das Modell, Spieler regelmäßig mit späterer Kaufpflicht verpflichten, die so hoch ist, dass sie alles bindet. Die von Davie Selke griff nach dem Abstieg nicht. Manche sagen, dass sei das einzig Positive am Absturz. So oder so: Baumann wird liefern müssen. Ganz schnell.
Florian Kohfeldt: Bremens Trainer eroberte die Szene im Sturm, wurde vom DFB nach seiner ersten Saison 2018 mit dem Trainerpreis ausgezeichnet. Doch weil der Kader das nicht hergab, musste Kohfeldt von seinem Offensiv-Fußball abrücken. Beim zweckmäßigen Spiel verloren er und das Team ihren Kompass. Und dann musste Kohfeldt nach dem vorletzten Spiel, zum seltsamsten aller Zeitpunkte, doch noch gehen. Die Zeit wird an dem tief im Verein verankerten Trainer genagt haben. Doch es bleibt spannend, wo und wie er zurückkehrt. Für die einen ist der 38-Jährige entzaubert. Für die anderen immer noch eines der größten Trainer-Talente des Landes.
Horst Heldt: Heldt wurde unweit von Köln geboren, er wurde beim 1. FC Köln zum Profi und hat aus seiner Liebe zu Stadt und Verein nie ein Geheimnis gemacht. Also war es eine emotionale Sache, als er im November 2019 als Sportchef beim FC anheuerte. Doch dann bewies er in schwierigen Zeiten in zwei Transferphasen kein glückliches Händchen. Zwischenzeitlich stand der FC ohne einsetzbaren Stürmer da. Und so musste Heldt am Ende trotz Klassenerhalts gehen.
Marco Rose: Im Februar war Rose ein gefeierter Mann. Mönchengladbach hatte er in die Champions League und dort ins Achtelfinale geführt. Schließlich legte Dortmund fünf Millionen für ihn hin. Vom Tag der Verkündung an stürzten Roses Beliebtheitswerte in Gladbach in den Keller. Und auch die Mannschaft taumelte, verpasste sogar die Conference League. Und weil Terzic (siehe oben) plötzlich fast alles gewann, wird Rose im Dortmunder Umfeld durchaus auch mit Skepsis empfangen.
Julian Brandt: Zwischenzeitlich galt Brandt als eines der größten deutschen Talente. Die 25 Millionen, die Dortmund für ihn nach Leverkusen überwies, sahen aus wie ein Schnäppchen. Doch einem mäßigen ersten Jahr beim BVB folgte ein ganz schwaches zweites. In 45 Pflichtspielen war Brandt nur an sechs Toren beteiligt. Beim „Kicker" erhielten nur drei Spieler, die nicht bei Schalke spielen, über die Saison hinweg eine schlechtere Durchschnittsnote. Und am Ende verzichtete sogar Bundestrainer Löw für die EM auf ihn. Mit 25, im besten Fußballer-Alter, muss der 35-malige Nationalspieler bei der Euro zuschauen.
Loris Karius: 2018 schien Loris Karius auf dem Gipfel. Doch das größte Spiel seiner Karriere wurde zum schlimmen Wendepunkt. Beim 1:3 im Champions-League-Finale in Liverpool patzte er, offenbar nach einem Ellbogenschlag angeknockt, zweimal. Er verlor seinen Stammplatz und kehrte nach einem Leihgeschäft bei Besiktas Istanbul zu Union in die Bundesliga zurück. Doch es spielte Andreas Luthe, 34 und bis dahin fast auf jeder Station Ersatz-Torhüter. Als Luthe sich verletzte, kam Karius ins Tor, verlor seinen Platz aber wieder. Und zieht nun weiter.
Roman Bürki: Der ein oder andere nörgelte immer schon mal ein bisschen rum an Roman Bürki. Der Schweizer galt aber doch als zumindest solider Rückhalt des BVB. Unter Terzic verlor er nun seinen Stammplatz an Landsmann Marwin Hitz, im Sommer kauften die Dortmunder mit dem Stuttgarter Gregor Kobel noch einen Schweizer als neue Nummer eins. Bürki soll sich einen neuen Verein suchen.
David Wagner: Jürgen Klopp, dessen Trauzeuge Wagner war, war sich sicher, dass sein Freund jeden Verein trainieren könnte. Auf Schalke begann es gut, im Januar 2020 waren die Königsblauen Fünfter und Wagner wurde gelobt. Es folgten bis zur Sommerpause 16 Spiele ohne Sieg und nach zwei Spielen und 1:11 Toren in dieser Saison musste Wagner schon gehen. Noch schlimmer aber: Die halbe Liga suchte in den vergangenen Wochen neue Trainer. Wagners Name tauchte aber in keinen Gerüchtespalten auf.
Achim Beierlorzer: Letzteres gilt auch für Beierlorzer. In Köln schon nach vier Monaten beurlaubt, fand er in Mainz sofort einen weiteren Bundesligisten. Musste, unter anderem nach einem Streik des Teams, aber auch schon nach dem zweiten Spieltag gehen. Und ist offenbar fürs Erste vom Karussell gefallen. Holger Schmidt