Kinder- und Jugendpolitik steht in der Regel nicht ganz oben auf der politischen Agenda. Das soll und muss sich ändern. Wie das gehen kann, hat eine außergewöhnliche und bundesweit beachtete Anhörung im Saarländischen Landtag gezeigt.
Magnus Jung ist selbst noch sichtlich beeindruckt von einer Woche intensiver Anhörungen im Parlament: „Ich glaube, dass man in einigen Jahren in der Rückschau sagen wird, dass die Anhörung zur eigenständigen Jugendpolitik im Saarländischen Landtag der Auftakt zu einem Neubeginn in der saarländischen Kinder- und Jugendpolitik war, weil wir erstmals unter dieser Überschrift ein neues Verständnis entwickelt haben." Für den Ausschussvorsitzenden geht es vor allem darum, eine neue „Haltung" in der Politik zu entwickeln. „Die Haltung ist, dass alle Fragen, die Kinder und Jugendliche betreffen, Kinder und Jugendpolitik sind, also nicht nur die klassischen Bereiche wie außerschulische Jugendarbeit oder Bildungs- und Ausbildungsfragen. Die Themen Verkehr und Mobilität sind natürlich jugendpolitische Themen, oder das Thema Digitalisierung, die Klimapolitik oder die Stadtentwicklung. Und wer will kann auch das Thema Finanzen als jugendpolitisches Thema sehen im Sinne der Nachhaltigkeit: Was hinterlassen wir der nächsten Generation?"
Im Grunde wird damit Kinder- und Jugendpolitik zu dem, was man klassischerweise als Querschnittsaufgabe bezeichnen würde. Und vor allem: Es betrifft nicht nur die meisten Politikbereiche, sondern auch alle politischen Ebenen, betont Magnus Jung, weshalb es darum gehen müsse, „dass Kinder und Jugendliche in ganz vielen Politikfeldern gefragt werden müssen, dass ihre Interessen wahrgenommen und berücksichtigt werden. Das ist ein anderer Politikansatz. Dabei geht es um Inhalte und darum, wie man diese Beteiligung organisiert und wie man bisherige Politikansätze verändert. Das ist eine Herausforderung auf Bundesebene, auf Landesebene, aber auch sehr stark auf der kommunalen Ebene. Wir haben gehört, dass das auf Bundesebene schon seit zehn Jahren diskutiert wird und das Bundesjugendministerium eine Strategie entwickelt, dass einige Länder Beschlüsse gefasst haben, und jetzt beginnt das Saarland, Politik in diesem Sinn zu formulieren".
Junge Menschen in ganz vielen Politikfeldern gefragt
Wenn es dann konkret werden soll, macht Magnus Jung vor allem vier Handlungsfelder aus, teils mit bekannten klassischen Anliegen, teils mit neuen Ansätze. „Das ist das Thema Wahlalter mit 16. Ich bin mir sicher, dass das in der nächsten Legislatur kommen wird. Die CDU ist mit ihrer ablehnenden Haltung isoliert, sogar die Katholische Kirche hat sich dafür ausgesprochen, es gibt viele Bundesländer, die das bereits haben. Wer das aufhalten will, den kann man nur als rückständig bezeichnen."
Punkt zwei ist ein Jugendcheck in einer institutionalisierten Form. „Diese veränderte Haltung, von der ich gesprochen habe, muss die Regierung in ihren Gesetzesvorhaben berücksichtigen, es muss aber auch Auswirkungen haben in den Beratungen und Beschlussfassungen des Parlaments. Es reicht nicht aus, wenn man auf einem Blatt neben haushaltspolitischen-, frauenpolitischen, familienpolitischen, bürokratischen Auswirkungen auch jugendpolitische Auswirkungen dazu schreibt. Wenn man aber beispielsweise eine Stelle schafft, die das aus unabhängiger Sicht untersucht, dann wäre das sicherlich häufig unangenehm, aber es wäre ein Punkt, wo man diese Haltung wahrnehmbar machen kann."
Vor allem aber wird sich die Frage, ob eine Politik kinder- und jugendorientiert ist, dort deutlich, wo die jungen Menschen leben, wohnen, zur Schule oder Ausbildung gehen, ihre Freizeit verbringen, also in den Kommunen. Dort hat der Ausschuss einiges ausgemacht, das zeigt: Es gibt noch viel Luft nach oben.
„Auf der kommunalen Ebene besteht weitgehend Konsens, dass Jugendräte oder Beiräte keine Kann- sondern eine Muss-Bestimmungen werden soll. Das muss vor der nächsten Kommunalwahl (2024) Gesetz werden. Was wir darüber hinaus brauchen sind niedrigschwelligere Angebote. Da muss Kommunalpolitik noch viel lernen. Es ist mit Verwaltung und gängigen Strukturen schwierig, Beteiligungsprozesse so hinzukiegen, dass Jugendliche auch angesprochen werden". An dem Punkt denkt Magnus Jung vor allem an Unterstützung für die Kommunen. „Eigentlich bräuchten wir ein großes Qualifizierungsprojekt, um Kommunalpolitik jugendfreundlich zu machen. Ich glaube, da ist viel mehr guter Wille da, als man meint, aber viele tun sich schwer. Ich glaube, dass eine neue Form von beteiligungsorientierter Jugendarbeit entstehen müsste. Das wäre im Übrigen eine super Demokratiebildungsarbeit".
Jung sieht sich durch die intensive Anhörung auch in dem Ansatz bestätigt, den Blick auch auf die Bereiche zu legen, wo es nicht unmittelbar um Politik geht, die aber den unmittelbaren Lebensalltag junger Menschen beeinflussen. „Beispielsweise Verkehrsunternehmen, die ihre wichtigste Benutzergruppe stärker in die Planungen einbinden sollten. Oder es gibt den Vorschlag zu SchulwegÂerkundungen, also Schulwege mit den Schülern abzugehen und mit deren Augen Verkehrssituationen sehen, die man als Erwachsener gar nicht sieht. Das sind alles Dinge, die man leicht machen kann und sicherlich schnell zu Verbesserungen führen. Es scheint auch Schulen zu geben, die ihren Schülern verbieten, mit dem Fahrrad zu kommen, weil es an der Schule zu wenig Fahrradstellplätze gibt. An solchen banalen Dingen kann man zeigen, was eine eigenständige Kinder- und Jugendpolitik machen kann".
Viel davon klingt nach Selbstverständlichkeit, die Beispiele zeigen, dass vieles in der Praxis aber eben gar nicht so selbstverständlich ist.
Letztlich geht es aber zunächst in erster Linie darum, überhaupt die Herausforderung wahr- und ernst zu nehmen. „Es ist ein gewisser Kulturwechsel, den wir erreichen wollen. Und ich glaube, dass die Anhörung einen neuen Denkprozess dazu in Gang gesetzt hat", betont Magnus Jung.
„Wir wollen einen Kulturwechsel erreichen"
Eine gewisse neue Kulturerfahrung hat schon die Art dieser Anhörung im Parlament gebracht. „Formal hat die Anhörung neue Maßstäbe gesetzt. Es war die erste Anhörung im Saarländischen Landtag, die live gestreamt worden ist auf Youtube und Facebook, als größtmögliche Transparenz und Beteiligung, weil auch Zuschaueranregungen in der Anhörung mit aufgenommen wurden. Und einen Fishbowl im Rahmen einer parlamentarischen Anhörung hat es auch noch nicht gegeben. Das war super und produktiv, vor allem, weil das nicht nur von den Verbandsvertretern ausging, sondern von den Jugendlichen selbst. Eine viertägige Anhörung zur Jugendpolitik hat es wohl auch bislang in keinem anderen Parlament gegeben. Damit haben wir auch für die Parlamentsarbeit neue Maßstäbe gesetzt". Zumindest hat man auch außerhalb der Landesgrenzen durchaus registriert, mit welchen Formaten und Ideen der saarländische Landtag versucht, Belange von Kindern und Jugendlichen deutlich in den Vordergrund zu rücken.
Was im Übrigen schon vor Corona auf der Agenda stand, aber wegen der Rahmenbedingungen im vergangenen Jahr zunächst verschoben und jetzt schließlich als Onlineformat durchgeführt wurde, betont Magnus Jung.
Natürlich gab es auch eine Diskussion über die Auswirkungen der Pandemie, darüber, dass „Kinder und Jugendliche diejenigen sind, die in der aktuellen Corona-Situation am meisten aushalten müssen und am wenigstens dafür können, dass sie die Ungehörten sind, deren Zukunft verspielt wird. Es gibt unbestritten bei vielen Jugendlichen eine große Hoffnungslosigkeit."
Ein Grund mehr, den Bedürfnissen dieser Generation einen viel größeren Raum einzuräumen. Die Ergebnisse der Anhörung werden in einem Papier samt Forderungen des Parlaments an die Regierung zusammengefasst. In einer Plenarsitzung nach der Sommerpause soll dann debattiert werden, welche konkreten Schlüsse das Land aus der Anhörung ziehen soll. Letztlich entscheidend aber sei, „dass man diese Flamme, die jetzt entzündet ist, am Brennen halten wird."