Jugendliche in Corona-Zeiten, das setzt sich jetzt langsam durch, haben nicht nur Wissensdefizite, die die Schulen auffüllen könnten. Ihnen fehlt ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens.
Zwei Untersuchungen haben ein Licht auf die Situation der Kinder und Jugendlichen während der Pandemie geworfen. Die eine orientiert sich mehr an Kindern und Jugendliche, die andere an jungen Erwachsenen. Gemeinsam ist das Ergebnis der beiden Studien: Wer jung war, fühlte sich in der Corona-Zeit geistig wie körperlich eingeschränkt und abgehängt.
Die Copsy-Studie (Corona und Psyche) hat in zwei Längsschnittuntersuchungen dazu die Fakten geliefert. Danach leidet fast jedes dritte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. Sorgen und Ängste hätten gegenüber der ersten Untersuchung im Sommer 2020 noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden seien verstärkt zu beobachten. Erneut seien vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund betroffen.
Im Einzelnen fühlten sich nach der Studie vier von fünf der befragten Kinder und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie belastet und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Niedergeschlagenheit und Kopfweh deuteten auf Depressionen hin. Auch die ungesunde Ernährungsweise habe sich seit Beginn der Pandemie nicht verändert.
Zehnmal mehr Kinder als zuvor machten überhaupt keinen Sport. Stattdessen verbrächten sie noch mehr Zeit als zur Zeit der ersten Befragung mit Handy, Tablet, Spielekonsole und Fernseher. Über mehr Streit in der Familie, größere schulische Probleme berichteten 45 Prozent der Kinder und Jugendlichen.
„Besonders Kinder aus Risikofamilien unterstützen"
„Unsere Ergebnisse zeigen erneut: Wer vor der Pandemie gut dastand, Strukturen erlernt hat und sich in seiner Familie wohl und gut aufgehoben fühlt, wird auch gut durch die Pandemie kommen. Wir brauchen aber verlässlichere Konzepte, um insbesondere Kinder aus Risikofamilien zu unterstützen und ihre seelische Gesundheit zu stärken. Hier sind auch die Schulen gefragt, regelmäßig Kontakt zu ihren Schülerinnen und Schülern zu halten und ihnen dadurch Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Sonst besteht die Gefahr, dass vor allem Kinder aus Risikofamilien ihre Motivation und Lernfreude verlieren" sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Copsy-Studie und Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Hamburg. Die Fakten sind das Ergebnis der zweiten Befragung vom Dezember 2020 bis Januar 2021, die Forschende des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) durchgeführt haben. Kooperationspartner waren das RKI, die Hertie School (Klaus Hurrelmann) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Die Copsy-Studie ist bundesweit die erste und international eine der wenigen Längsschnittstudien. Die repräsentative Stichprobe umfasst mehr als 1.000 elf- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche sowie 1.500 Eltern von Sieben- bis 17-Jährigen. Der Online-Fragebogen enthielt Fragen zum Umgang der Kinder mit der Krisensituation, Fragen zu den Bereichen Schule, Freunde und Familie, zu psychischen Problemen wie Ängsten und Depressionen und zu psychosomatischen Beschwerden. Auch das Familienumfeld, der Medienkonsum und Ernährungsgewohnheiten wurden beleuchtet. Eine weitere Folgebefragung im Sommer 2021 ist geplant.
Einen anderen Schwerpunkt setzte der Forschungsverbund „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit" der Universitäten Hildesheim und Frankfurt mit seiner zweiten „JuCo"-Befragung im Herbst/Winter 2020, an der mehr als 7.000 Jugendliche und junge Erwachsene teilgenommen haben. 60 Prozent der Befragten waren 15 und 19 Jahre alt, der Altersschnitt lag bei 19 Jahren. Jeder Fünfte hatte einen Migrationshintergrund.
Eine Kernaussage – so die Verfasser: Die Corona-Pandemie hat Kindern und Jugendlichen wertvolle Zeit genommen. Im Einzelnen stimmten 45 Prozent der Befragten der Aussage zu, Angst vor der Zukunft zu haben, weitere 23 Prozent hatten zum Teil Zukunftsängste. Über ein Drittel gab an, sich in der aktuellen Situation einsam zu fühlen. Symptomatisch ist eine Aussage auf einem Fragebogen, die die Verfasser zitieren: „Alles was Spaß gemacht hat (Sport, mit Freunden treffen, Feiern gehen, entspannt in der Schule mit netten Leuten sein) wurde mir verboten, und auch wenn ich verstehe, dass das nötig ist fühle ich mich dadurch sehr einsam. Es ist einfach nicht das Gleiche wie vorher."
Auch wenn sie manches absurd finden, gibt ein großer Teil der Jugendlichen an, sich an die Regeln zu halten. Der Bericht fasst zusammen: gehen jeden Tag in die Schule, ohne dass immer Abstand eingehalten werden kann; sitzen in unterschiedlichen Lern- und Arbeitsgruppen aus 15 bis zu 30 Leuten zusammen, die zudem alle aus verschiedenen Haushalten kommen, dürfen aber am Nachmittag nur eingeschränkt Kontakte haben. Und schließlich müsse man bereit sein, all das zu ignorieren, um für den nächsten Test zu lernen: „Es ist einfach emotional ermüdend", wird aus den Antworten zitiert. Die Freizeitgestaltung hat sich für 81 Prozent aller Befragten angesichts der Einschränkungen verändert. Die Möglichkeit, Sport zu treiben, den eigenen Hobbys nachzugehen, fehlt ihnen komplett. Das Gefühl der Einsamkeit wächst.
„Jugendbeteiligung muss jetzt gestärkt werden"
Schon bei der ersten Befragung im Frühjahr 2020 habe sich gezeigt, dass ein großer Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Gefühl hat, nicht gehört zu werden. Knapp 60 Prozent gaben an, den Eindruck zu haben die Situation junger Menschen sei Politikern nicht wichtig, und fast 65 Prozent meinten, dass ihre Sorgen in der Politik nicht gehört werden. Sie wollten nicht auf ihre Rolle als „Homeschooler" reduziert werden, sondern einbezogen werden, wenn es um die coronagerechte Umgestaltung ihrer Schule gehen sollte. Statt ihre Kompetenzen zu nutzen, entlasse die Schule sie in Passivität. „Möglichkeiten einer breiten Jugendbeteiligung müssen gerade jetzt gestärkt werden. Junge Menschen müssen in Gremien und im politischen Alltag viel stärker involviert werden und ihre Mitbestimmung auch in der Ausgestaltung der Corona-Maßnahmen in Betrieben, Schulen und Universitäten fördern", schrieben die Verfasser Anfang 2021 den Schulpolitikern ins Stammbuch.
Der Forschungsverbund „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit" setzt sich zusammen aus dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik an der Stiftung Universität Hildesheim und dem Institut für Sozialpädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt. Zum Team gehören Sabine Andresen, Lea Heyer, Anna Lips, Tanja Rusack, Wolfgang Schröer, Severine Thomas und Johanna Wilmes. Thomas hat in einem Interview gesagt, es sei falsch, einer „ganzen Generation, auch im Blick auf deren Zukunft, den Stempel „Corona-Generation aufzudrücken". Sie fände es wichtiger, mit jungen Menschen über ihr aktuelles Lebensgefühl im Gespräch zu bleiben.