Kaum einer hat die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche so unmittelbar erfahren wie Sozialarbeiter an Schulen. Diplom-Sozialpädagogin und Schulsozialarbeiterin Sabine Staub von der Freiwilligen Ganztagsgrundschule Rodenhof kennt die Probleme, berichtet aber ebenso über viele positive Erfahrungen.
Frau Staub, früher wurde die Schulsozialarbeit mit einem gesellschaftlichen Reparaturbetrieb verbunden. Ist dieser Gedanke immer noch aktuell?
Nein, dieser Gedanke gehört eindeutig der Vergangenheit an. Heute setzen wir auf präventive Hilfsangebote, wie etwa Sozialkompetenztrainings und die Erweiterung der Netzwerkarbeit im multiprofessionellen Sinne. Damit versuchen wir, der gesellschaftlichen Situation an den Schulen gerecht zu werden.
Inwiefern hat sich die gesellschaftliche Situation verändert?
Kinder verbringen heutzutage wesentlich mehr Zeit am Schulstandort als das noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Das liegt am familiären Prozess, in dem ein Elternteil oder gleich beide berufstätig sind und die Kinder deshalb in das Schulgeschehen wesentlich stärker eingebunden werden. Dadurch sind das Schulleben und die Schulorganisation sehr vielfältig geworden.
Natürlich spielen auch weitere Aspekte in die Schulsozialarbeit mit rein. So brauchen Kinder mit Migrationshintergrund beispielweise Unterstützung, aber auch Kinder, die aus bildungsfernen Familienstrukturen kommen. Deshalb ist eine unserer zentralen Aufgaben, diese Kinder durch unsere Arbeit an die Schule heranzubringen.
Wie hat sich die Arbeit im Zuge der Pandemie verändert?
In der Zeit des harten Lockdowns haben wir uns schnell neu orientiert und alle uns zur Verfügung stehenden medialen Kanäle genutzt, um alle Eltern immer wieder zu erreichen, zu befragen und zu beraten. In dieser Ausnahmesituation – viele Elternteile hatten plötzlich Homeoffice und musste gleichzeitig die Kinderbetreuung übernehmen, manche kamen sogar in prekäre finanzielle Lagen – haben wir versucht, Netzwerkarbeit zu leisten, Verknüpfungen herzustellen. Parallel waren wir auch sehr intensiv beraterisch tätig.
Waren die Eltern kooperativ?
Da wir an diesem Schulstandort schon früher sehr viel auf die präventiven Hilfsangebote und die direkte Präsenz gebaut haben, konnten wir wirklich alle Eltern erreichen, die auch sehr offen uns gegenüber waren. Das lag daran, dass man uns und unsere Arbeit einfach gekannt hat, und wusste, dass wir hier auch eine gute Kooperation zu den Elternhäusern pflegen. Das hat in diesem Falle sehr sehr gut geklappt. Wobei ich nicht sagen kann, wie es an Gemeinschaftsschulen oder anderen Schulstandorten war.
In dem Wohnquartier, in dem wir uns hier bewegen, sind sehr viele Familien in beengten Wohnverhältnissen und haben kaum Möglichkeiten rauszugehen. Vor allem, als die öffentlichen Plätze gesperrt waren. Diese Extremsituationen waren sowohl für die Familien als auch für die Psyche der Kinder sehr belastend.
Deshalb war es in dieser Phase auch so wichtig, mit Hilfsangeboten die Eltern zu stützen, prekäre Situationen möglichst schnell zu klären, um dann individuell in der Familie eine Entspannungssituation zu schaffen.
Darüber hinaus hatten wir natürlich auch Eltern, die gar keinen Internetanschluss haben. Das heißt, sie können mit den medialen Mitteln, die jetzt gängig sind – wie Online-Schule Saarland (OSS), gar nichts anfangen. Somit war es in diesen Fällen besonders wichtig, den persönlichen Kontakt zu pflegen, um zum Beispiel Wochenpläne oder Unterrichtseinheiten vorbeizubringen oder uns zu einem persönlichen Gespräch an einem Ort mit den Eltern zu treffen. Mit diesem Türöffner konnte ich nicht nur nachhören, wie es der Familie geht, sondern parallel auch die Kinder sehen.
Also hat die Pandemie Schüler, Eltern und die Schule näher zusammengebracht?
Gewissermaßen schon. Wir haben zum Beispiel einige Familien, die eher im bildungsfernen Bereich waren und die dadurch, dass wir uns sehr viel häufiger persönlich gesehen haben, ein ganz neues Verständnis von der Schule und von der Kooperation bekommen konnten, auch von persönlicher Bindung. Dadurch ist der reguläre Schulaufenthalt der Schüler jetzt sogar stärker gegeben.
Können wir dann überhaupt von einer „verlorenen Corona-Generation" sprechen? Und wenn ja, wie lässt sich diese wieder auffangen?
Allgemein würde ich das schon sagen. Vor allem im Hinblick auf die Erfahrung, die die Kinder in Zeiten des harten Lockdowns machen mussten. Für viele bedeutete diese Regelung gleichzeitig auch eine Minimierung ihres Sozialverhaltens und das hat eindeutig Spuren hinterlassen.
Von daher sehe ich die Nach-Corona-Zeit als eine sehr große Aufgabe, wenn nicht sogar eine Mammutaufgabe, die Kinder noch mal an die normale Gruppendynamik und das soziale Gruppengefüge heranzuführen.
Das sind alles Elemente, wo wir individuelle Lösungen suchen müssen, aber auch den Bildungsrückstand von einigen Kindern natürlich wieder in den Vordergrund stellen möchten. Somit sind wir im Moment auf der Suche nach vielen individuellen Wegen. Das ist natürlich im allgemeinen Schulsystem eine ganz große Aufgabe, die wir auch nur durch die intensive Zusammenarbeit mit unseren Netzwerkpartner leisten können. Das geht weit über das Allgemeinschulische hinaus.
Wie können solche individuellen Lösungen aussehen?
Wir müssen die soziale Kooperation nochmals weiter in den Vordergrund stellen und mit Kleingruppen intensiver arbeiten. Gerade jetzt in den Klassenstufen eins und zwei ist das ganz wichtig. Dabei denke ich an den schulpsychologischen Dienst sowie weitere therapeutische Maßnahmen, die wir vielleicht auch an die Schule anbinden können.
Auch die sozialräumliche Erziehungsberatung spielt eine große Rolle, um die Eltern in Erziehungsfragen zu unterstützen. Wenn ich zum Beispiel mit den Schülern im Gespräch bin, stellt sich dann ab und zu heraus, dass es auch familiäre, erzieherische Probleme gibt. Wenn das der Fall ist, spreche ich im weiteren Verlauf mit ihnen und schlage ihnen die sozialräumliche Erziehungsberatung vor. Das ist ein möglicher Weg.
Wie wird sich die Schulsozialarbeit im Hinblick auf die Zukunft verändern?
Ich erlebe, dass wir in einem sehr dynamischen Prozess sind. Einerseits sehen wir den Stellezuwachs, anderseits erleben wir hier durch die neuen medialen Mittel –
von OSS und anderen Möglichkeiten – dass wir auf ganz anderen Wegen an die Schüler herantreten können.
Meiner Meinung nach rücken individuelle Förderung und eine viel stärkere Vernetzung nach außen in den Fokus, wie der schulpsychologische Dienst. Für uns ist das ein sehr wichtiger Ansprechpartner. Vor allem in Hinblick auf die therapeutischen Angebote, wo wir oft auch an Grenzen stoßen, weil das gegenwärtige Angebot schlichtweg nicht reicht.
Zudem rücken auch Sozialkompetenzen, wie etwa die Interaktion mit anderen Kindern, in den Vordergrund: Wie löse ich Konflikte? Wie gehe ich mit Aggressionen um? Wie gehe ich wertschätzend in und mit einer Gruppe um? Kinder, die vorher alleine waren, sind mit solchen, für uns scheinbar simplen Fragen, überfordert.
Deshalb ist eine Intensivierung des präventiven Angebots in den Klassen auch so notwendig. Im Klartext bedeutet das, den Klassenrat, sowie die Streitschlichtung noch mal aufleben zu lassen. Das alles sind Elemente, die in der letzten Zeit sehr eingeschränkt waren, beziehungsweise ganz ruhen mussten. Und das noch mal einzuführen und die Kinder daran heranzuführen, das ist jetzt die ganz große Aufgabe.
Darüber hinaus spielen auch Elternhäuser eine ganz gravierende Rolle. Wenn zu Hause Probleme vorherrschen, wie der Jobverlust eines oder beider Elternteile, sind die Kinder auch belastet. In einer solchen extremen Situation sind die Schüler natürlich nicht aufnahmefähig und können deshalb auch nicht richtig lernen. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Vor allem, weil wir auch nicht wissen, welche Auswirkungen diese ökonomische Krise auf die Kinder hat und haben wird. Deshalb gilt es, auch in diesem Bereich einen Schwerpunkt zu setzen.