Die Generationen „Y" und „Z" sind soweit durch. Das neue Alphabet beginnt mit „C" wie „Corona-Generation". Eine verlorene Generation? Oder eine mit Chance auf neue Perspektiven? Jedenfalls eine, die sich nicht abstempeln lassen will.
Es gibt sie schon lange nicht mehr: „die Jugend". Einigermaßen greifbar war vielleicht noch die „Generation X", die Jahrgänge der „Babyboomer". Dass die folgende Generation als „Y" daher kam, lag nicht nur am Alphabet. Diese „Generation Why", die „Millenials", firmieren nicht umsonst unter dem Beinamen „Generation Me": Nicht mehr Erfüllung im Job und durch Karriere, sondern Freizeit und Selbstverwirklichung werden prägend. Die folgende „Generation Z" steht im Zeichen technischer rund kommunikativer Brüche, es ist die Generation der Digital Natives.
Danach wäre erst einmal Schluss. Mit dem Alphabet und der Vorstellung, was am Ende die prägenden Linien für die sind, die in den letzten Jahren das Licht der Welt erblickt haben. Ein großes Szenario, das dieser Generation gemeinsam ist, hatte sich bereits abgezeichnet: Es geht um die letzte Chance, den Kipp-Punkt beim Klimawandel doch noch zu vermeiden. Und seit letztem Jahr steht das zweite Szenario fest: die Folgen der globalen Pandemie, die phasenweise das Leben in allen Teilen der Welt ausgebremst hat. In beiden Fällen steht bislang nur eines fest: Es wird und muss Neuanfänge geben.
Kinder und Jugendliche sind die, die am wenigsten für die Pandemie können, aber am meisten darunter leiden. Dieser Satz hat schon so etwas wie einen Allgemeingültigkeitsstatus erreicht. Tatsächlich sind die Folgen der Pandemie und der massiven Einschränkungen gerade für junge Menschen ziemlich offensichtlich. Und dabei ist längst nicht ausgemacht, mit welchen Spätfolgen wir uns in ein paar Jahren rumschlagen müssen. Kein Wunder, wenn intensiv diskutiert wird, ob wir es mit einer „verlorenen Generation" zu tun haben.
Kein Bock auf verlorene Generation
Krisen gab es zwar auch schon vorher, und auch schon vorher haben junge Menschen die Auswirkungen massiv erlebt, wenn beispielsweise in wirtschaftlichen Krisenjahren die Entwicklungen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nach allem Möglichen aussahen, nur nicht nach hoffnungsvollen Zukunftsperspektiven.
Corona hat allerdings eine ganz andere Qualität. Von den Auswirkungen ist kein einziger Lebensbereich ausgenommen, und das rund um den Globus. Corona trifft alle – aber nicht alle gleich, wie sich ziemlich schnell gezeigt hat. Im globalen Maßstab ist Unicef in großer Sorge und warnt vor einer „verlorenen Generation". „Die Zukunft einer ganzen Generation ist in Gefahr", warnt das UN-Kinderhilfswerk. Der globale Blick auf die Folgen der Pandemie rechtfertigt die Besorgnis. Besonders Leidtragende sind Kinder und Jugendliche, in anderen Regionen der Welt in höchst dramatischer Weise. Die Folgen der Einschränkungen würden „verheerend" sein.
Hierzulande ist inzwischen unbestreitbar, dass junge Menschen abhängig von ihrem sozialen Umfeld unterschiedlich durch die Krise kommen oder unter ihr leiden. Gemeinsam ist ihnen allerdings, dass es zeitweise eben nichts Gemeinsames geben durfte. Kein Schule, kein Vereinsleben, keine Partys, nicht einmal Schippchen klauen auf dem Kinderspielplatz.
Schon vor einem Jahr, als die erste Welle langsam zu Ende ging und die Folgen des ersten echten und weitreichenden Lockdowns, in dem das öffentliche Leben so gut wie komplett heruntergefahren war, sichtbar wurden, klangen die Schlagzeilen ziemlich alarmistisch. Die Sorge um die psychischen Folgen gerade für Kinder und Jugendliche aufgrund der weggefallenen Kontakte sowie um deren künftige berufliche Chancen wegen geschlossener Schulen beherrschte die Diskussion. Später gesellte sich ein ganz anderes Bild dazu, das Schüler und „freilaufende" Jugendliche als Superspreader und damit Gesundheitsgefährder zeichnete.
Stefan Höhne, Kulturwissenschaftler und Historiker, wies auf seinem Blog in einem Beitrag über die „Sozialfigur der ‚Corona-Kinder‘" auf diesen Zwiespalt hin. Auffallend in der Diskussion um eine „verlorene Generation" sei auch, dass vor allem die Sorge um die Bildungschancen und damit oft verbunden die künftige Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund stünden.
Es war Thomas Krüger, ehrenamtlich Präsident des Kinderhilfswerks und hauptamtlich Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung, der vor genau einem Jahr das Wort von der „verlorenen Generation" gebrauchte. Ein Begriff, der bis dahin auf die Nachkriegsgeneration gemünzt war. Für Krüger war die Situation für die Kinder ein „schwerer Eingriff in ihre Lebenswelt, in ihre Grundrechte und beeinträchtigt ihre psychosoziale Entwicklung". Wo er inhaltlich die Situation zutreffend beschrieb, hagelte es aber zugleich Kritik an der Begriffswahl „verlorene Generation". Und das sowohl aus der Expertenwelt – vor allem aber von den so Eingeordneten selbst. „Wir sind keine verlorene Generation – und keine Corona-Generation", wehrten sich nicht nur Schülersprecher oder Vertreter von Jugendverbänden.
Chance auf Korrektur von Irrwegen
Übrigens kein rein deutsches Phänomen. In Österreich hat der Radiosender Ö3 seine Hörer zu einer Umfrage aufgerufen, die rund 35.000 Antworten wurden wissenschaftlich ausgewertet vom Sozialforschungsinstitut SORA. Ergebnis: Rund zwei Drittel lehnen Bezeichnungen wie „verlorene Generation" ab und sehen die Zukunft positiv. Mehr als die Hälfte sieht es als eine Chance, „es in Zukunft besser zu machen" – aber „das geht nur gemeinsam".
Stefan Höhne bemerkt in seinen Analysen zur „Sozialfigur Corona-Kinder", dass Jugendliche auffallend häufig, ja nahezu ausschließlich „als passive Subjekte in den Blick geraten", sei es „als unwissende Gefahrenträger, volkswirtschaftliche Ressource oder traumatisierte Leidtragende". Kurzum: „Es wird zwar viel über sie, aber kaum mit ihnen gesprochen".
Genau diese Aspekte unterstreicht die Vorsitzende des Landesjugendrings Saar eindringlich (siehe Interview Seite 34), und steht damit alles andere als alleine.
Ohne Zweifel hat die Pandemie ganz erhebliche Probleme aufgeworfen – und mindestens ebenso viele, die latent ohnehin da waren, so sichtbar gemacht, dass sie schwerlich wieder aus dem Blickfeld verschwinden können. Aber diese Erfahrungen können auch eine Chance sein. Die lassen sich aber nur entdecken und entwickeln, wenn junge Menschen selbst und unmittelbar beteiligt werden, selbst gestalten können. Man muss sie nur lassen. Schließlich geht es bei beiden großen Herausforderungen, dem Klimaschutz wie der Pandemie-Folgen-Bewältigung, um nicht weniger als die Frage ihrer zukünftigen Chancen.
Und die könnten durchaus hoffnungsvoll aussehen, wie ein Szenario von Tristan Horx vom Zukunftsinstitut zeigt. 2030 werden Schulen nichts mehr mit denen von heute gemeinsam haben. Schüler profitieren vom „Post-Corona-Investitionsboom". 2040 gilt Ähnliches für das Arbeitsleben, und 2050 wird diese Generation die Geschicke einer postfossilen Wirtschaft lenken. Vorausgesetzt, „der Wiederaufbau nach Corona ist zugleich eine große Korrektur bisheriger Irrwege".
Eine Vision, die im Positiven womöglich so überzeichnet ist wie im Negativen die Annahme, dass nach eineinhalb Jahren Krise mit durchaus drastischen Einschnitten eine ganze Generation verloren sei. Die Realität hat von beidem etwas – und vor allem dazwischen ganz viele Nuancen und Facetten.