Der breite Einsatz von Kurzarbeit in der Corona-Krise hat in großem Umfang Beschäftigung gesichert und Massenarbeitslosigkeit verhindert. Trotzdem wird es in einzelnen Branchen zu Entlassungen kommen.
Die Corona-Pandemie hat das Unternehmen H.O.F. in die größte Krise seiner Geschichte gestürzt. Das in der Eventbranche tätige Industrieunternehmen aus Nordrhein-Westfalen stellt Veranstaltungsequipment her, zum Beispiel Bühnendächer, Trägerkonstruktionen oder Lichttechnik. Das mittelständische Unternehmen beschäftigt an seinem Sitz in Mettingen im Landkreis Steinfurt 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Event- und Messebranche ist vom faktischen Veranstaltungs- und Versammlungsverbot besonders stark betroffen. „Unser Umsatz ist seit Beginn der Pandemie um die Hälfte eingebrochen", sagt H.O.F.-Geschäftsführer und Firmengründer Hans-Wilhelm Flegel (62). Das Unternehmen stellte zwar schon früh auf die Produktion von Spuckschutzwänden und Desinfektionsmittelspendern um. Damit konnte der Umsatzverlust aber nur zu einem Bruchteil kompensiert werden.
H.O.F. musste deshalb die Belegschaft in Kurzarbeit schicken. Im vergangenen Jahr waren es, je nach Abteilung, zwischen 60 und 80 Prozent. Aktuell sind es noch 14 Mitarbeiter. Um den Verdienstausfall auszugleichen hat das Unternehmen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, das von der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlt wird. „Ohne das Kurzarbeitergeld hätten wir ein Drittel der Belegschaft entlassen müssen, wenn nicht die Hälfte."
Laut einer im Mai veröffentlichten Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), das zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehört, hat das Kurzarbeitergeld in Deutschland 2,2 Millionen Arbeitsplätze erhalten. Seit Anfang der Pandemie sind etwa 30 Milliarden Euro an Kurzarbeitergeld bewilligt worden.
30 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld
Die Bundesregierung hatte die Zuschüsse für die ausgeweitete Kurzarbeit im Sommer 2020 verlängert. Bis Ende Juni 2021 gilt der vereinfachte Zugang zur Kurzarbeiterregelung: Für Betriebe bedeutet das, dass mindestens zehn Prozent der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sein müssen, damit das Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit bewilligt wird. Normalerweise ist es mindestens ein Drittel der Beschäftigten. Nach Angaben der Bundesagentur waren im Monat März 2021 2,6 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Zum Vergleich: Im April 2020 waren es fast sechs Millionen Menschen.
Lars Feld, der die Verlängerung der vereinfachten Regeln zum Kurzarbeitergeld immer wieder als strukturerhaltende und wettbewerbsverzerrende Maßnahme kritisiert hat, teilt die positive Bilanz der Studie dennoch vorbehaltlos. „Mit dem Kurzarbeitergeld konnte eine Massenarbeitslosigkeit vermieden werden", sagt der Freiburger Wirtschaftsprofessor, der zehn Jahre lang Mitglied der „Fünf Wirtschaftsweisen" war. Dieses Gremium berät die Bundesregierung in Wirtschafts- und Konjunkturfragen.
Im Mai hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, die Erleichterungen für Firmen verlängern zu wollen, zunächst um drei Monate bis Ende September 2021. Konkret geht es um Sozialversicherungsbeiträge für ausgefallene Arbeitsstunden. Bis Ende Juni werden die Beiträge zur Sozialversicherung komplett vom Staat übernommen. Diese Regelung will Heil verlängern. Ansonsten würde nur noch die Hälfte der Beiträge gezahlt.
Die angestrebte Verlängerung der Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge sieht Wirtschaftsexperte Feld nun kritisch (vgl. Interview). „Nur eine innovations- und investitionsfreundlichere Politik kann Jobs längerfristig sichern und neue Arbeitsplätze schaffen."
Steuerreform soll Investitionen fördern
Statt die Versicherungsbeiträge zu erstatten sollten die Unternehmen an anderer Stelle finanziell entlastet werden. Konkret fordert Feld eine Änderung der Neuberechnung der Körperschaftssteuer. Er wendet sich dagegen, dass Investitionen, die über frisches Eigenkapital, also Beteiligungen, finanziert werden, steuerlich diskriminiert werden. Dies sei zum Nachteil vor allem junger Unternehmen.
Auch der Arbeitgeberverband BDA spricht sich für das schrittweise Zurückfahren der vollständigen Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge aus und warnt vor einer „falschen Anreizsetzung". Der Strukturwandel würde so verzögert.
Lars Feld sieht das ähnlich. „Die Messe- und Eventbranche befand sich schon vor Ausbruch der Pandemie in einer Krise. Deshalb ist es wichtig und richtig, wenn sich die Branche jetzt neu aufstellt." Das Virus sei gekommen, um zu bleiben. „Die Kunden werden deshalb auch in Zukunft Vorsicht walten lassen und in den digitalen Raum ausweichen statt eine Messe oder eine andere große Veranstaltung zu besuchen." Die Gefahr für die betroffenen Mitarbeiter, in die Arbeitslosigkeit abzurutschen, schätzt Feld jedoch als gering ein, denn im Industrie- und Handwerksbereich herrsche überall Fachkräftemangel.
Trotz dieser eher düsteren Prognose blickt H.O.F.-Geschäftsführer Flegel optimistisch in die Zukunft: „H.O.F. war vor der Pandemie ein kerngesundes Unternehmen. Und wird es auch nach der Pandemie noch sein." Die steigende Impfquote in der Bevölkerung stimmt ihn zusätzlich zuversichtlich. Doch auch nach einem Abflauen der Pandemie werde man mit den Nachwirkungen zu kämpfen haben. Aktuell machen ihm die sich abzeichnenden Lieferengpässe bei den Vormaterialien Sorgen. „Wir sind auf Erleichterungen beim Bezug von Kurzarbeitergeld solange angewiesen, bis sich das öffentliche und wirtschaftliche Leben wieder vollständig normalisiert hat. Andernfalls sind Entlassungen nicht auszuschließen."